Das Regierungsprogramm: 11x Anti-Rechtsextremismus

Im Regierung­spro­gramm 2020 bis 2024 find­et sich ein Bün­del an Maß­nah­men gegen Recht­sex­trem­is­mus, das, wenn es tat­säch­lich kon­se­quent umge­set­zt wird, dur­chaus als ambi­tion­iert beze­ich­net wer­den kann. Der Tirol­er FPÖ-Chef Abw­erzger wet­terte bere­its am 3. Jän­ner gegen die im Regierung­spro­gramm ange­führten Punk­te, weil: „Kein einziges Wort vom Link­sex­trem­is­mus.” Das ist schon ein­mal ein gutes Zeichen, wenn sich FPÖ-Mit­glieder auf den Schlips getreten fühlen.

Wom­it die FPÖ eigentlich (!) zufrieden sein müsste, ist, dass es der Islam dank der ÖVP 15 Mal ins Papi­er geschafft hat, als Anti-Islam-Pro­gramm natür­lich, das den türkisen Feldzug gegen den „poli­tis­chem Islam“ und „Islamis­mus“ als Code an das rechte Pub­likum doku­men­tiert. Elf Erwäh­nun­gen sind rund um die Begrif­flichkeit „Recht­sex­trem­is­mus“ im türkis-grü­nen Regierung­spro­gramm zu find­en – sicher­lich ein Reko­rd, der zweifel­los auf die Grü­nen Ver­han­d­lerIn­nen zurück zu führen ist.

Da wäre ein­mal im Kapi­tel „Jus­tiz“ die bere­its seit Jän­ner 2017 ver­sproch­ene Evaluierung und etwaige Anpas­sung des Ver­bots­ge­set­zes. Nach­dem es zu frag­würdi­gen Urteilen gekom­men war, hat­te sich selb­st der dama­lige Jus­tizmin­is­ter Brand­stet­ter davon dis­tanziert: Er sei ja selb­st auch alles andere als glück­lich über solche Entschei­dun­gen’, sagte Brand­stet­ter. Wenn sich Schwächen im legis­tis­chen Sys­tem zeigen, müsse man das ganz offen disku­tieren. Er wolle sich das auch gemein­sam mit der Israelitis­chen Kul­tus­ge­meinde und dem Mau­thausen-Komi­tee anschauen. Er habe das Gefühl, dass es bei Ver­fahren nach dem Ver­bots­ge­setz von den zuständi­gen Geschwore­nen­gericht­en auch zu Freis­prüchen komme, die man nicht nachvol­lziehen könne, betonte Brand­stet­ter. Da es dort keine Begrün­dun­gen gibt, strebt der Min­is­ter hier Änderun­gen an.“ (derstandard.at, 4.1.17)

Kampf gegen den Anti­semitismus – Über­ar­beitung des Verbotsgesetzes:o Evaluierung und allfäl­lige legis­tis­che Über­ar­beitung des Ver­botsG unter dem Aspekt der inländis­chen Gerichts­barkeit, ins­beson­dere in Hin­blick auf die Äußerungs­de­lik­te der §§ 3g und 3f Ver­botsG und Schließen weit­er­er Lück­en (z.B. Teilleugnung).
Prü­fung ein­er Möglichkeit der Einziehung von NS-Devo­tion­alien unab­hängig von der Ver­wirk­lichung ein­er mit Strafe bedro­ht­en Hand­lung und Evaluierung des Abzeichengesetzes

Mit „Teilleug­nung“ ist eine Teilleug­nung der Shoa gemeint, die Aus­lös­er für die Diskus­sion um die Tauglichkeit des Ver­bots­ge­set­zes war, nach­dem ein Welser Recht­san­walt die Exis­tenz von Ver­ga­sun­gen in Mau­thausen geleugnet hat­te und dafür freige­sprochen wurde. Exper­tIn­nen monierten eben­falls die Auf­nahme der Leug­nung der Kriegss­chuld ins Ver­bots­ge­setz und eine Über­prü­fung der Geschwore­nen­gerichts­barkeit im Falle von Ver­stößen gegen das Verbotsgesetz.

Eine Rei­he an Maß­nah­men ist im Kapi­tel „Inneres“ gelis­tet. Da find­et sich die von Exper­tIn­nen schon sehr lange geforderte Schaf­fung ein­er Forschungsstelle für Recht­sex­trem­is­mus und Anti­semitismus, die im Doku­men­ta­tion­sarchiv des öster­re­ichis­chen Wider­standes (DÖW) ange­siedelt wer­den und den unter Schwarz-Blau I abgeschafften jährlichen Recht­sex­trem­is­mus­bericht auf Daten­ba­sis des Innen- und Jus­tizmin­is­teri­ums erstellen soll. Ein neu zu organ­isieren­des BVT soll zukün­ftig recht­sex­treme Burschen­schaften wieder beobacht­en und im Ver­fas­sungss­chutzbericht eine Ein­schätzung liefern. Das chro­nisch unter­fi­nanzierte DÖW soll laut Regierung­spro­gramm gestärkt wer­den – wir hof­fen, dass das nicht nur bei diesem papiere­nen Zus­pruch bleibt.

Neben dem Beken­nt­nis zu diversen Maß­nah­men von der Präven­tions- bis zur Ausstiegs- und Deradikalisierungsar­beit (mobile Kom­pe­ten­zstelle, dig­i­tale Plat­tform, Schul­work­shops, inter­diszi­plinäres Pilot­pro­jekt …) sind Forschungsvorhaben zur Demokrati­estärkung und diverse Mon­i­tor­ingziele genannt.

Ein jährlich einzu­berufend­er Koor­di­na­tion­sauss­chuss soll „zwis­chen Regierung, Par­la­ment, Län­dern und der Zivilge­sellschaft über Maß­nah­men zur Bekämp­fung des Recht­sex­trem­is­mus“ sprechen. Wir sind ges­pan­nt, wie dieses Prozedere stat­tfind­en und vor allem zu welchen konkreten Ergeb­nis­sen es führen wird.

Aus eini­gen Punk­ten ist das Grün-Türkise Ping-Pong abzule­sen: Beka­men die Grü­nen eine Maß­nahme, eine For­mulierung gegen Rechtsextremismus/Rassismus, gibt’s dazu sich spiegel­nde Forderun­gen der ÖVP zum „poli­tis­chen Islam“. Dazu gehört eine „Doku­men­ta­tion­sstelle für den religiös motivierten poli­tis­chen Extrem­is­mus (poli­tis­ch­er Islam)“, die „nach Vor­bild des DÖW“ ein­gerichtet wer­den soll. Um diesem Maßstab gerecht zu wer­den, wird die Stelle zuerst ein­mal damit beschäftigt sein, eine wis­senschaftlich taugliche, klar abge­gren­zte Def­i­n­i­tion für den „poli­tis­chen Islam“ vorzule­gen, näm­lich in der Form, wie dies das DÖW für den Begriff „Recht­sex­trem­is­mus“ seit etwa 30 Jahren praktiziert.

Ins­ge­samt messen sich alle im Pro­gramm gelis­teten Punk­te zum Recht­sex­trem­is­mus daran, ob sie auf dem Boden der poli­tis­chen Real­ität auf­schla­gen oder seit­ens der ÖVP nur ver­bale Zugeständ­nisse in einem The­men­feld sind, das den Grü­nen immer beson­ders wichtig war.

In der Gedenkpoli­tik ist die seit mehr als zehn Jahren von diversen Min­is­terIn­nen angekündigte Möglichkeit, „dass alle Schü­lerin­nen und Schüler im Rah­men des Unter­richts zumin­d­est ein­mal die KZ-Gedenkstätte Mau­thausen besuchen kön­nen“ enthal­ten. Hier müssten zuerst die Kapaz­itäten der Gedenkstätte aus­geweit­et, Schließ­tage rück­gängig gemacht und auch andere logis­tis­che Änderun­gen (wie etwa einen öffentlichen Zubringer direkt zur Gedenkstätte) vorgenom­men wer­den. Wenn das zum Verkauf ste­hende Are­al der KZ-Gedenkstätte Gusen tat­säch­lich durch die Repub­lik erwor­ben wird, wäre vernün­ftiger­weise gle­ich eine erweit­erte Gestal­tung mitzu­denken, wom­it auch die Gedenkstätte Mau­thausen ent­lastet wer­den könnte.

Mit Inter­esse wird der „Gedenk­di­enst“ wahrgenom­men haben, dass er aufgew­ertet und gestärkt wer­den soll. Wenn das nicht zum net­ten Lip­pen­beken­nt­nis verkom­men soll, muss dies let­ztlich in erster Lin­ie über höhere finanzielle Zuwen­dun­gen passieren.

Faz­it: Es wird einiges Behar­rungsver­mö­gen brauchen, um die angekündigten Maß­nah­men auch umzuset­zen. Wenn dies jedoch gelingt, kön­nte wirk­lich etwas weit­erge­hen. Notwendig wäre dies angesichts der in den let­zten Jahren drama­tisch gestiege­nen Anzahl an recht­sex­tremen Delik­ten und der recht­ster­ror­is­tis­chen Anschläge der jün­geren Zeit allemal.