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Blaues Gold – Zum zentralen Stellenwert von Apokalyptik in der rechtsextremen Ideologie

Die Cau­sa um das gehor­te­te FPÖ-Gold in einer Ost­ti­ro­ler Früh­stücks­pen­si­on zeigt an, in was für einem Aus­maß die Frei­heit­li­chen sich ihre eige­nen apo­ka­lyp­ti­schen Fan­ta­sien glau­ben. Es han­delt sich dabei nicht bloß um eine obsku­re Baga­tel­le. Sol­che Vor­be­rei­tung auf den Aus­nah­me­zu­stand ver­weist viel­mehr auf ein Poli­­tik- und Gesell­schafts­ver­ständ­nis, das tief hin­ein in die Nie­de­run­gen des völkischen […]

8. Jan 2020

Pen­si­on Enzi­an 

Bei einer Raz­zia, die Mit­te August im Zuge der Casi­nos-Affä­re durch­ge­führt wur­de, fan­den Ermitt­le­rIn­nen der Wirt­schafts- und Kor­rup­ti­ons­staats­an­walt­schaft (WKS­tA) in der Ost­ti­ro­ler Pen­si­on Enzi­an gehor­te­te Gold­bar­ren. Das Anwe­sen befin­det sich in Besitz einer Vor­feld­or­ga­ni­sa­ti­on der frei­heit­li­chen Wie­ner Lan­des­grup­pe: dem „Frei­heit­li­chen Bil­dungs­in­sti­tut St. Jakob in Ost­ti­rol“. 

War­um sich die FPÖ-Grup­pe aus Wien ein „Bil­dungs­in­sti­tut“ in Ost­ti­rol leis­tet, hat bereits 2013 Fra­gen auf­ge­wor­fen, als „Die Pres­se“ erst­mals über die Pen­si­on berich­te­te. Bereits damals drang aus dem FPÖ-Umfeld nach außen, dass Stra­che sehr eigen­wil­li­ge Vor­stel­lun­gen für die abge­le­ge­ne Pen­si­on gehabt haben dürf­te: Sie soll­te dem „inne­ren Füh­rungs­kreis“ der FPÖ als Zufluchts­ort die­nen für den Fall, dass in Euro­pa bür­ger­kriegs­ähn­li­che Zustän­de aus­bre­chen. In die­sem Zusam­men­hang soll Stra­che immer wie­der von einem „Tag X“ gespro­chen haben. 

Die Raz­zia im Som­mer 2019 – von der FPÖ euphe­mis­tisch zur „frei­wil­li­gen Nach­schau“ umin­ter­pre­tiert – för­der­te dann jene berühm­ten Gold­bar­ren zuta­ge, die in Tre­so­ren ver­staut waren, für die angeb­lich ledig­lich vier Per­so­nen einen Zugang haben. Einer davon ist der Wie­ner Vize­bür­ger­meis­ter Domi­nik Nepp, der dann auch nach Ost­ti­rol reis­te und die Tre­so­re mit dem frei­heit­li­chen Schatz vor den Augen der Ermitt­le­rIn­nen öff­ne­te. Die genaue Anzahl der Bar­ren ist bis heu­te unbe­kannt, denn die nota­ri­ell ver­sie­gel­ten Kas­set­ten mit dem Gold wur­den nicht an Ort und Stel­le geöff­net, und der ent­spre­chen­de Nota­ri­ats­akt wur­de der Staats­an­walt­schaft groß­teils geschwärzt über­ge­ben (sie­he aus­führ­lich Stan­dard oder Pro­fil). 

Zwei Mal „Im Zentrum“

Das frei­heit­li­che Gold­hor­ten ist zwar inzwi­schen aus der Medi­en­be­richt­erstat­tung ver­schwun­den (bzw. im Gewirr der FPÖ-Skan­da­le unter­ge­gan­gen), aber in den letz­ten bei­den Aus­ga­ben des ORF-Dis­kus­si­ons­for­mats „Im Zen­trum“ kam das The­ma zur Spra­che – mit bemer­kens­wert unter­schied­li­cher Stoß­rich­tung. 

In der Aus­ga­be von „Im Zen­trum“ am 15.12.2019 ging es um den Aus­schluss von Stra­che aus der FPÖ. Als das The­ma „Gold und Pen­si­on Enzi­an“ auf­kam, tra­ten gegen Fal­ter-Jour­na­lis­tin Nina Horac­zek, die lei­der die ein­zi­ge kri­ti­sche Stim­me blieb, gleich drei Für­spre­cher der blau­en Apo­ka­lyp­ti­ker an: Domi­nik Nepp selbst, ein „OE24“-Journalist und alt-FPÖ/BZÖ­ler Peter Wes­ten­tha­ler, der sich ganz beson­ders durch aggres­siv-schmie­ri­ges Klein­re­den her­vor­tat. Das „Argu­ment“ des Gold­horters Nepp und sei­ner Apo­lo­ge­ten war sinn­ge­mäß das Fol­gen­de: Jede Par­tei habe das Recht dar­auf, sich finan­zi­el­le Rück­la­gen zu sichern, nichts ande­res habe die FPÖ getan. Horac­zek frag­te nach, ob es nicht etwas selt­sam sei, dass man zu die­sem Zweck Gold­bar­ren (die sich noch dazu mit­un­ter aus der Klub­för­de­rung – also Steu­er­gel­dern – spei­sen) in den Alpen ver­steckt habe. Dar­auf Wes­ten­tha­ler süf­fi­sant: 

Darf ich nur kurz den bei­den Damen erklä­ren [gemeint sind Horac­zek und Mode­ra­to­rin Clau­dia Rei­te­rer, Anmk. SdR], wenn Sie zum Bei­spiel ein Unter­neh­men füh­ren wür­den oder eine Par­tei, dann wür­den Sie rela­tiv rasch drauf­kom­men, dass Wirt­schaf­ten, sodass man auch was ver­dient, und Rück­la­gen zu machen, nicht nur nicht ver­bo­ten ist, son­dern aus­drück­lich erwünscht in der Pri­vat­wirt­schaft und auch in einer Par­tei.

Das ist zwar eine hane­bü­che­ne The­men­ver­feh­lung, aber eine aus FPÖ-Per­spek­ti­ve nahe­lie­gen­de Ratio­na­li­sie­rung der Geschich­te: Alles ganz nor­mal, ledig­lich um finan­zi­el­le Rück­la­gen gehe es, die „bei­den Damen“ ken­nen sich eben mit rich­ti­gem „Wirt­schaf­ten“ nicht aus. Vom omi­nö­sen „Tag X“ spricht Wes­ten­tha­ler lie­ber nicht.

Nur zwei „Im Zentrum“-Sendungen frü­her (1.12.2019) bie­tet die Phi­lo­so­phin – und wis­sen­schaft­li­che Bei­rä­tin von SdR – Isol­de Cha­rim eine ganz ande­re Les­art der Ereig­nis­se. Sie bezeich­net die Pen­si­on und die Gold­bar­ren als Sinn­bild für „die Ursa­che des­sen, was in der frei­heit­li­chen Par­tei statt­fin­det“: Die FPÖ gehe „ihren eige­nen apo­ka­lyp­ti­schen Visio­nen auf den Leim“; und die­ser Glau­be dar­an, dass das Sys­tem gar nicht mehr tra­ge, sei die „ideo­lo­gi­sche Grund­la­ge für die mora­li­sche Ent­hem­mung“ (1). 

Die­se prä­zi­se und hell­sich­ti­ge Ein­schät­zung ver­sucht nicht das Irra­tio­na­le zu ratio­na­li­sie­ren, son­dern ver­weist auf die ideo­lo­gi­sche Grund­la­ge die­ses Irra­tio­na­len. Und die­se Dimen­si­on ist in der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur über Rechts­extre­mis­mus gut belegt.

Der Kata­stro­phen­dis­kurs als zen­tra­les Merk­mal des Rechts­extre­mis­mus 

Die Erzäh­lung vom kom­men­den Unter­gang ist ein zen­tra­ler Best­an­teil der völ­ki­schen Ideo­lo­gie. Andre­as Peham (DÖW) for­mu­liert die­ses defi­ni­to­ri­sche Merk­mal von Rechts­extre­mis­mus fol­gen­der­ma­ßen: 

(kul­tu­rel­ler) Ras­sis­mus und (oft codier­ter) Anti­se­mi­tis­mus, ein­ge­bet­tet in einen all­ge­mei­nen Deka­denz-/Ka­ta­stro­phen­dis­kurs, Behaup­tung einer dro­hen­den Zer­set­zung der Eigen­grup­pe und eines per­ma­nen­ten Not­stan­des zur Errei­chung dau­ern­der Mobi­li­sie­rung“ (Schie­del S. 119, FIPU)

Der Zusam­men­hang von dem Kata­stro­phen­dis­kurs mit Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus ist kein Zufall; die ent­spre­chen­de Erzäh­lung geht etwa so: Die auto­chtho­ne Gemein­schaft wird von eth­nisch defi­nier­ten Ande­ren überfallen/überschwemmt/zersetzt (=Ras­sis­mus) und die­ser Vor­gang wird von einer liberalen/„globalistischen“ Eli­te bewusst gesteu­ert (=Anti­se­mi­tis­mus). Die­sel­be gie­ri­ge Finanz- und Poli­ti­kel­i­te ist ver­ant­wort­lich für sämt­li­che Wirt­schafts­kri­sen (=mora­li­sie­ren­de Pseu­do-Kapi­ta­lis­mus­kri­tik). Hin­zu­zu­fü­gen wäre die­sem Ensem­ble der Anti­fe­mi­nis­mus, dem gegen­wär­tig eine beson­de­re Bedeu­tung als Brü­cken­bil­der tief in den kon­ser­va­ti­ven Main­stream hin­ein zukommt, und der sich eben­so umstands­los an den Unter­gangs­dis­kurs anschlie­ßen lässt; etwa so: Weil auto­chtho­ne Frau­en zu weni­ge Kin­der bekä­men und die Poli­tik nicht mehr fami­li­en­freund­lich sei, kön­ne das oben genann­te alles pas­sie­ren. Exem­pla­risch und brand­ak­tu­ell ist die Erzäh­lung vom „Gro­ßen Aus­tausch“, wo alle die­se Ideo­lo­ge­me unter dem Dach einer „Untergang-des-Abendlandes“-Fantasie zusam­men­kom­men. 

Der Deka­denz- und Kata­stro­phen­dis­kurs ver­weist zudem auf die sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Dimen­si­on des rechts­extre­men Syn­droms. Davon spricht der Frank­fur­ter Sozio­lo­ge und Phi­lo­soph Theo­dor W. Ador­no bereits 1967 in einem Vor­trag, der erst kürz­lich als Buch erschie­nen ist:

Die in der rechts­extre­men Ideo­lo­gie Befan­ge­nen seh­nen die Kata­stro­phe, die sie per­ma­nent zur Mobi­li­sie­rung beschwö­ren, in gewis­ser Wei­se her­bei – sie näh­ren sich von Welt­un­ter­gangs­fan­tai­sen (…), so wie sie übri­gens, wie wir aus Doku­men­ten wis­sen, auch der ehe­ma­li­gen Füh­rungs­cli­que der NSDAP gar nicht fremd gewe­sen sind“ (2019, S. 21ff). 

Ador­no bezeich­net die­ses „Anti­zi­pie­ren des Schre­ckens“ als „etwas sehr Zen­tra­les“ (ebd., S. 19), das nicht auf eine indi­vi­du­al­psy­cho­lo­gi­sche Dimen­si­on ver­engt wer­den darf. Viel­mehr wäre der Grund dafür in der unver­stan­de­nen Kri­sen­ten­denz der bür­ger­li­chen Gesell­schaft zu suchen. In der gesell­schaft­li­chen Ver­ar­bei­tung von Kri­sen, Krän­kun­gen und Ver­wer­fun­gen fin­det die extre­me Rech­te ihr Mate­ri­al. Der His­to­ri­ker Vol­ker Weiß stellt im Nach­wort zu dem Ador­no-Vor­trag einen Gegen­warts­be­zug die­ser Dia­gno­se her: Die Erfah­rung der Aus­tausch­bar­keit als Arbeits­kraft kann (…) im völ­ki­schen Phan­tas­ma eines ‚gro­ßen Aus­tauschs‘ eth­ni­scher Grup­pen mün­den“ (2019, S. 73). 

Fazit 

Das Den­ken in End­zeit-Sze­na­ri­en und die Lustangst vor jenem „Tag X“ sind nicht ledig­lich obsku­re Schrul­len von Ein­zel­per­so­nen, son­dern ent­sprin­gen viel­mehr dem Zen­trum der rechts­extre­men Ideo­lo­gie: Der völ­ki­sche Anti­li­be­ra­lis­mus appel­liert immer an eine ver­meint­lich bedroh­te Gemein­schaft (wobei öko­no­mi­sche, poli­ti­sche und sozia­le Ver­wer­fun­gen eth­nisch umge­deu­tet wer­den). 

Das blaue Gold, Stra­ches „Tag X“ und das kon­spi­ra­ti­ve Trei­ben um die Pen­si­on Enzi­an legen nahe, dass Frei­heit­li­che nicht nur zu Pro­pa­gan­da­zwe­cken mit Unter­gangs­vor­stel­lun­gen spie­len, son­dern selbst dar­an glau­ben. Das zeigt letzt­lich nur an, wie tief der Rechts­extre­mis­mus auch bei (ehe­ma­li­gen) Füh­rungs­ka­dern der FPÖ tat­säch­lich sitzt. 

Fuß­no­te

1 Das gan­ze Zitat von Isol­de Cha­rim: „Wenn man ein Bild haben will für die Ursa­che des­sen, was in der frei­heit­li­chen Par­tei statt­fin­det, dann ist es die Pen­si­on Enzi­an in Ost­ti­rol mit den dort gepark­ten Gold­bar­ren. Man muss ver­ste­hen, die sagen, sie kau­fen dort eine Pen­si­on für den Tag X, wo der Bür­ger­krieg aus­bricht und par­ken dort Gold­bar­ren; das heißt, die gehen sozu­sa­gen ihren eige­nen apo­ka­lyp­ti­schen Visio­nen auf den Leim, die glau­ben das sel­ber […]; und was hat das für Effek­te, wenn man davon aus­geht, dass das eige­ne poli­ti­sche Han­deln immer getra­gen ist von dem Glau­ben dar­an, dass die­ses gan­ze Werkl eigent­lich gegen Wand gefah­ren wird, dass das Sys­tem […] gar nicht mehr trägt? Das ist näm­lich die Grund­la­ge für die mora­li­sche Ent­hem­mung; das ist nicht ein Per­so­nen­kult allei­ne, das ist nicht nur ein cha­rak­ter­li­ches Defi­zit. Es gibt eine ganz grund­le­gen­de, ideo­lo­gi­sche Grund­la­ge für die mora­li­sche Ent­hem­mung. Und das zwei­te ist, was mit so einer Vor­stel­lung auch pas­siert, ist, dass näm­lich die Gemein­schaft, die poli­ti­sche Gemein­schaft, sozu­sa­gen voll­kom­men über­for­dert ist, was die eigent­lich leis­ten muss, die muss ja wie eine Sek­te funk­tio­nie­ren und das zeigt in der Oppo­si­ti­on, wo es ja star­ken Gegen­wind gibt, da kann das noch funk­tio­nie­ren, aber es zeigt sich jedes Mal wenn die FPÖ in die Regie­rung kommt, sprengt sie sich sel­ber in die Luft und da kom­men sozu­sa­gen die­se Riva­li­tä­ten, die sonst unter den Tep­pich gekehrt wer­den, her­vor.“ (You­tube, Min. 34:00)

Lite­ra­tur

Ador­no, Theo­dor W. (2019/1967): Aspek­te des neu­en Rechts­ra­di­ka­lis­mus. Vor­trag im Neu­en Insti­tuts­ge­bäu­de der Wie­ner Uni­ver­si­tät auf Ein­la­dung des Ver­bands Sozia­lis­ti­scher Stu­den­ten Öster­reichs. Mit einem Nach­wort von Vol­ker Weiß. Ber­lin: Suhr­kamp