Rechtsextremes im letzten großen Staatsmuseum. Teil 2: Der zeitgeschichtliche Saal als Steilvorlage für rechtsextreme Umdeutungen der Geschichte

Dem Heeres­geschichtlichen Muse­um (HGM) kommt als dem let­zten Muse­um Öster­re­ichs, das direkt einem Min­is­teri­um unter­ste­ht, eine beson­dere Bedeu­tung zu: Es repräsen­tiert durch die Form, wie auf die öster­re­ichis­che Geschichte geblickt wird, eine Art von staatlich­er Inter­pre­ta­tion der his­torischen Geschehnisse und Entwick­lun­gen. Dazu kommt: Durch das HGM wer­den Scharen von Bun­desheer­sol­datIn­nen und auch Schulk­lassen geschleust. Was die zu sehen bekom­men, darf dur­chaus als erschreck­end beze­ich­net wer­den. Am vir­u­len­testen tritt diese Prob­lematik freilich im zeit­geschichtlichen Saal 7 (1918–1945) zutage.

Recht­sex­tremer Opferrevisionismus

Zu der über­bor­den­den Fülle an Objek­ten – mitunter haufen­weise Kriegs- und Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al –  gibt es kaum Text oder son­st irgendwelche kri­tis­chen Ein­bet­tun­gen. In ein­er Studie von 2011 mit dem Titel „Zeit­geschichte ausstellen in Öster­re­ich“ heißt es dazu: „Die Objek­te der Ausstel­lung Repub­lik und Dik­tatur wirken wie Req­ui­siten eines Stück­es, dessen Text nicht vorgegeben ist.“ (Leidinger/Moritz 2011, S. 42) Der Schau sei ein „illus­tra­tiv­er Charak­ter zu attestieren“ (ebd.).

Dollfuß-Reliquiensammlung im HGM

Doll­fuß-Reliquien­samm­lung im Saal 7 des HGM (Foto SdR 2015)

Was das konkret bedeutet, erörtert die His­torik­erin Ina Marko­va in einem Kapi­tel ihres Buch­es „Die NS-Zeit im Bildgedächt­nis der Zweit­en Repub­lik“ (2018, S. 164–168). Die Autorin find­et über­aus kri­tis­che Worte für die HGM Dauer­ausstel­lung in Saal 7:

Generell arbeit­et die Ausstel­lung mit wenig fotografis­chem Mate­r­i­al, son­dern mit meist unkon­tex­tu­al­isierten Objek­ten. Grund­sät­zlich ist das Nar­ra­tiv jenes des ‚Phönix aus der Asche’ – vom ‚Staat, den nie­mand wollte’, zur Erfol­gs­geschichte der Zweit­en Repub­lik. Das HGM ist typ­isch für einen Zeit­geist, der sich in rück­wärts­ge­wandter Manier an das ‚große Erbe’ der Monar­chie klam­mert.“ (Marko­va 2018, S. 164)

Zu den weni­gen Tex­tquellen in Saal 7 zählt ein am Ein­gang erhältlich­es Infor­ma­tions­blatt (1), das einen Abriss der öster­re­ichis­chen Geschichte von 1918 bis 1945 liefert. Der Text ist kurz und inhaltlich frag­würdig. So wird etwa der Aus­tro­faschis­mus nicht als Faschis­mus (und geschweige denn als NS-Weg­bere­it­er im Sinne ein­er Faschisierung der Gesellschaft) benan­nt, son­dern ver­harm­losend umschrieben: Die Regierung Doll­fuß habe 1933 „die bish­erige demokratis­che durch eine ‚beruf­sständis­che’ Ver­fas­sung“ erset­zt. Der Holo­caust wird nicht ein­mal erwäh­nt! Lediglich von „Ver­fol­gung der Juden und der Geg­n­er des NS-Regimes“ ist die Rede, nicht von deren sys­tem­a­tis­ch­er Ermor­dung. Dafür wird der öster­re­ichis­che Wider­stand gegen den NS überbetont:

Trotz eines allmäh­lich erstark­enden Wider­standes und der Beteili­gung von Öster­re­ich­ern am Ver­such Hitler am 20. Juli 1944 zu beseit­i­gen, blieb das Land einge­bun­den in die poli­tis­chen und mil­itärischen Struk­turen des Deutschen Reich­es, erlebte schließlich von März bis Mai 1945 den Krieg auf eigen­em Boden, die Befreiung durch die Alli­ierten und die Kapit­u­la­tion der Wehrma­cht.

Handout HGM "Republik und Diktatur 1918-1945"

Hand­out HGM „Repub­lik und Dik­tatur 1918–1945”

Hier han­delt es sich um eine sehr prob­lema­tis­che Verz­er­rung: Denn während die öster­re­ichis­che Beteili­gung am NS-Ver­nich­tung­spro­gramm bzw. dem Ver­nich­tungskrieg in Osteu­ropa ver­schwiegen wird, wird der ver­gle­ich­sweise mar­ginale Wider­stand gegen den NS aktiv erwäh­nt. Zudem ist die Aus­druck­sweise des zitierten Satzes sug­ges­tiv und irreführend: Während im ersten Teil des Satzes Öster­re­ich­er bezüglich des Wider­stands gegen den NS als han­del­nde Akteure beschrieben wer­den, for­muliert man im zweit­en Teil des Satzes die Tat­sache, dass erst der Sieg der Alli­ierten dem mörderischen Treiben der deutsch-öster­re­ichis­chen Volks­ge­mein­schaft ein Ende gemacht hat, pas­siv-schick­sal­haft und euphemistisch: Das Land sei „einge­bun­den“ in den NS-Staat geblieben und habe den Krieg „erlebt“, anstatt aktiv daran beteiligt gewe­sen zu sein.

Saal 7 HGM (Foto SdR)

Saal 7 HGM (Foto SdR 2015)

Auch in ein­er Pub­lika­tion des HGM von 2016 find­en sich befremdliche For­mulierun­gen hin­sichtlich der öster­re­ichis­chen NS-Ver­gan­gen­heit. Der dor­tige Text zu Saal 7 gle­icht jen­em Infoblatt über weite Teile aufs Wort. Dankenswert­er­weise wird hier wenig­stens erwäh­nt, dass der Aus­tro­faschis­mus ein „autoritäres Regime“ war, „unter dem auch die Ver­fas­sung aufge­hoben wurde“ (HGM 2016, S. 130). Auch der Abschnitt zu Öster­re­ich als Teil des NS-Regimes stimmt weit­ge­hend mit dem oben zitierten übere­in, allerd­ings gibt es in der Pub­lika­tion einen zusät­zlichen Satz, der Bilanz zu den öster­re­ichis­chen Todes­opfern zieht. Dabei wer­den Opfer der Shoah und gefal­l­ene Wehrma­cht­sol­dat­en ohne jede Unter­schei­dung dargestellt:

Zieht man Bilanz, so gilt es festzuhal­ten, dass Öster­re­ich als Teil des Großdeutschen Reich­es rund 1,2 Mil­lio­nen Sol­dat­en zu stellen gehabt hat­te, dass eine Viertelmil­lio­nen [sic!] von ihnen gefall­en oder ver­misst war, dass rund 65.000 öster­re­ichis­che Juden getötet wor­den waren und schließlich der Luftkrieg und die Kämpfe auf öster­re­ichis­chem Boden die Gesamtzahl der Opfer der NS-Zeit auf 380.000 Men­schen hat­te anwach­sen lassen.“ (ebd., S. 131)

Publikation Ortner BMLVS

Pub­lika­tion Ort­ner BMLVS 2016

Die Opfer des NS-Ver­nich­tung­spro­gramms und Wehrma­cht­sol­dat­en unter die „Gesamtzahl der Opfer“ zu sub­sum­ieren ist nichts anderes als eine Steil­vor­lage für recht­sex­treme und revi­sion­is­tis­che Umdeu­tun­gen der Geschichte. Dass öster­re­ichis­che Wehrma­cht­sol­dat­en auch Täter waren, wird freilich auch hier nicht erwäh­nt. Als Medi­en­in­hab­er, Her­aus­ge­ber und Her­steller wird in der Pub­lika­tion übri­gens angegeben: Repub­lik Österreich/Bundesminister für Lan­desvertei­di­gung und Sport.

zu Teil 1: Das HGM als iden­titäre Projektionsfläche
zu Teil 3: Recht­sex­treme Lit­er­atur und Wehrma­chtspanz­er im Museumsshop
zu Teil 4: Eine Panz­er­schau mit NS-Reliquien
zu Teil 5: Der Min­is­ter lässt die Vor­würfe prüfen

Fußnoten

HGM-Infoblatt von Saal 7: „Repub­lik und Dik­tatur – Öster­re­ich 1918 bis 1945“; bei einem HGM-Besuch im Mai 2019 entnommen.

Lit­er­atur

Lei­dinger, Hannes/Moritz, Ver­e­na (2011): Die Last der His­to­rie. Das Heeres­geschichtliche Muse­um in Wien und die Darstel­lung der Geschichte bis 1945. In Rupnow/Uhl (Hg.): Zeit­geschichte ausstellen in Öster­re­ich: Museen – Gedenkstät­ten – Ausstel­lun­gen. Wien: Böh­lau Ver­lag, S. 15–44.
Marko­va, Ina (2018): Die NS-Zeit im Bildgedächt­nis der Zweit­en Repub­lik. Band 6, Der Nation­al­sozial­is­mus und seine Fol­gen. Innsbruck/Wien/Bozen: Stu­di­en­Ver­lag, S. 164–168.
Ort­ner, Chris­t­ian et al. (2016): Heeres­geschichtlich­es Muse­um im Wiener Arse­nal. Eine Pub­lika­tion des Heeres­geschichtlichen Muse­um. Medi­en­in­hab­er, Her­aus­ge­ber und Her­steller: Repub­lik Österreich/Bundesminister für Lan­desvertei­di­gung und Sport, BMLVS. Wien: Ver­lag Mil­i­taria GmbH.