Fans des HGM: Sellner, Semlitsch und der Christchurch-Attentäter
Im Mission-Statement auf der Homepage des HGM will man sich unter dem Leitspruch „Kriege gehören ins Museum“ als „lebendiger Ort der Geschichtsvermittlung“ präsentieren. Nicht nur um kriegerische Konflikte ab dem 16. Jahrhundert soll es dabei gehen, sondern auch um „die jeweiligen Wechselbeziehungen des Militärs mit politischen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen“. Folgerichtig heißt es weiter, dass es bei der musealen Auseinandersetzung mit moderner Militärgeschichte gelte, „etwaigen nationalen, politischen oder emotionalen Instrumentalisierungen vorzugreifen“. (1)
Dieser hehre Anspruch wird aber bis zu einem gewissen Grad bereits in derselben Eigendarstellung unterlaufen. Denn an anderer Stelle wird dort klargestellt, dass bei der Vermittlung der österreichischen Militärgeschichte „weniger dramaturgische Inszenierungen als die Präsentation einzigartiger Exponate mit ihrer ganz besonderen Aura im Vordergrund“ stehen. Der Verweis auf die „ganz besondere Aura“ ist eine schöngefärbte Formulierung für die oftmals völlig unkommentierte Zurschaustellung historischer Objekte, die zu Instrumentalisierungen geradezu einlädt.
So veröffentlichte der Chef der rechtsextremen Identitären, Martin Sellner, am 22. Jänner 2018 ein etwa zwölf Minuten langes Video von einem HGM-Besuch (2). Mit von der Partie war IB-Ideologe Martin Semlitsch (aka Lichtmesz). Unter dem Titel „Lebendige Geschichte – Heeresgeschichtliches Museum Wien“ beschwören die beiden voller Enthusiasmus eine glorreiche Vergangenheit, um uns ein bisschen Kultur erlebbar zu machen, „in diesen traurigen und abgeflachten Zeiten“, wie Sellner am Anfang erklärt. Den „abgeflachten Zeiten“ werden die kriegerischen und heroischen gegenübergestellt.
Im HGM-Vorraum (der Feldherrnhalle), wo in Form von Marmorstatuen „die wichtigsten Feldherren der österreichischen, glorreichen Militärgeschichte“ in einer „Traditionslinie“ gezeigt werden, sind es – wenig überraschend – ausgerechnet zwei historische Akteure der Türkenbelagerung, die mit Namen im identitären Clip eingeblendet werden.
Danach zeigt uns Sellner eine Auswahl seiner liebsten Ausstellungsstücke. Zuerst ein Schlachtgemälde von der Wiener Befreiung von der Türkenbelagerung im 17. Jahrhundert, einschließlich der direkt über dem Gemälde angebrachten „Sturmsense“. Bei Letzterem handelt es sich um eine Mischung aus Lanze und Sense, die im Kampf verwendet wurde. Sellner erklärt begeistert, dass damit die „einfache Stadtbevölkerung, Studenten und Bauern“, die Stadt verteidigt hätten. Die „Sturmsensen“ hätten als „lebendige Mauern den Feind abgehalten“; diese Waffe drücke „eine echte Verteidigungsbereitschaft der Wiener aus“. Die erste identitäre Gruppe in Wien habe die Sturmsense als Logo geführt, erzählt Sellner schließlich stolz und schließt damit den Bogen von der (völkischen) Verklärung einer historischen Wehrhaftigkeit hin zur eigenen imaginierten Wehrhaftigkeit gegen vermeintliche Eindringlinge.
Sein zweites Lieblingsstück ist der „Mörser von Belgrad“, der in der Ausstellung „gegen ein türkisches Prunkzelt“ gerichtet steht. Der Mörser habe „in einem typisch österreichisch-habsburgerischen Mirakel“ das Pulverlager des türkisch belagerten Belgrad getroffen und „die ganze Stadt verwüstet und zur Belagerung reif gemacht“. Sellner nennt das historische Massaker nochmals ein „echtes österreichisches Mirakel“.
Zumindest verbal ergriffen zeigt sich dann Lichtmesz: Beim Anblick der Objekte rund um das Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand, habe es ihm „richtig einen Schauer über den Rücken gejagt“, denn: „Der erste Weltkrieg war eigentlich genau der Krieg, der nie hätte passieren dürfen, diese große Katastrophe für Europa, von der wir uns eigentlich bis heute nicht erholt haben“.
Sein „drittes Lieblingsstück“ präsentiert uns Sellner zuletzt. Dabei handelt es sich um eine Halle, deren Wände mit Marmortafeln ausgestattet sind, in die die Namen gefallener Feldherren vom Mittelalter bis zum Ende der Habsburgermonarchie eingraviert sind. Sellner fügt den historischen Raum ganz verzückt in seinen völkischen Kult von Einheit und Tod ein: Er finde es „wunderschön, ein Zeichen von tiefem Respekt auch vor den Leuten, dass sie hier in einer großen Einheit, wie in so einem byzantinisch-habsburgerischen Walhalla fast schon, zusammengefasst sind, wirklich eine wunderschöne Tradition, und es muss eine Ehre sein, wenn du einen Verwandten hast, der in diesem Saal verewigt ist“.
Sellner beendet das Video folgerichtig mit einem sinnbildlichen Verweis auf den noch kommenden (identitären?) Kampf: „Und das Beeindruckendste an diesem Saal (…), das ist eine noch leere Tafel, für kommende Gefallene.“
Die Geschichtsbegeisterung der beiden völkischen Aktivisten äußert sich als pathetisches Abfeiern von Heldentum, Wehrhaftigkeit und Opferkult. Über den Zweiten Weltkrieg und die Nazibarbarei wird geschwiegen, während der Erste Weltkrieg zu der großen Katastrophe erklärt wird. Auch das überrascht wenig, denn im völkisch-identitären Narrativ werden die deutsch-österreichischen Verbrechen gerne mit dem Verweis darauf relativiert, dass die Alliierten-Verträge nach dem ersten Weltkrieg das „deutsche Volk“ derartig in die Knie gezwungen hätten, dass sich aus dieser Kränkung quasi der NS ergeben hätte.
Dass dieser identitäre Filmdreh im HGM möglich war, kann dem Museum selbstverständlich nicht zum Vorwurf gemacht werden; schließlich wäre es schwierig, solche Aufnahmen in dem riesigen Gebäude zu verhindern. Das Problem besteht vielmehr darin, dass das Museum selbst (bzw. die museale Aufbereitung) solch verzerrenden Darstellungen inhaltlich nichts entgegenhält: Es fehlt durchwegs an kritischen Kontextualisierungen der gezeigten Objekte (3). Diese werden vielmehr lediglich ausgestellt (Stichwort „Aura“) und mitunter derart angeordnet, dass verklärende Heldenerzählungen schlichtweg nahegelegt werden. Somit bleibt der oben zitierte Anspruch, politischen Instrumentalisierungen entgegenwirken zu wollen, eine bloße Plattitüde.
Auch der Attentäter von Christchurch, der sich zweimal in Wien aufgehalten hat, besuchte offensichtlich das Heeresgeschichtliche Museum. Jedenfalls veröffentlichte er Fotos, die auf einen Besuch hindeuten (die Screenshots von seinem FB-Konto haben wir von der Redaktion von T‑Online erhalten) und die Sellners Startfoto beim Video, die Feldherrnhalle, als Motiv zeigen. Ob er alleine oder auf direkte oder indirekte Empfehlung von Sellner, mit dem er über mehrere Monate intensiven Mail-Kontakt pflegte, das HGM besucht und fotografiert hat, ist unklar bzw. wohl Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen.
Fußnoten
1 Auf der Website dürfte der Satz versehentlich mit einem „aber“ anstatt eines „oder“ formuliert worden sein: „Dabei gilt es, etwaigen nationalen, politischen aber emotionalen Instrumentalisierungen vorzugreifen.“ Wir haben uns erlaubt, diesen Fehler in unserem Fließtext zwecks besserer Lesbarkeit direkt auszubessern.
2 Video: „Lebendige Geschichte – Heeresgeschichtliches Museum“ von 22.01.2018, online auf Youtube, zuletzt eingesehen: 17.6.19
3 Dies ließe sich auch für das Gebäude selbst, bzw. dessen Innengestalt, sagen; schließlich wurde das Museum als „k.u.k. Hofwaffenmuseum“ gegründet, ganz im anti-emanzipatorischen Geist der späten Habsburgermonarchie. Dazu schreiben Hannes Leidinger und Verena Mortitz: „Gebäude und Sammlungen des Arsenals ließen und lassen sich in seiner Gesamtheit als museales Objekt verstehen, das überkommene Herrschaftsstrukturen und antiquierte Geschichtsbilder verkörpert. Das enge historische Korsett setzte dem Geist der Innovation und Aktualisierung ebensolche Grenzen.“ (2011, S. 32)
Auch aus der Politik, vom Grünen Harald Walser, kam 2015 bereits ähnlich lautende, aber ungehörte Kritik: „Das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) beherbergt ein Sammelsurium an Militaria, ist inhaltlich in einem indiskutablen Zustand. (…) Das HGM ist in der bestehenden Form verzichtbar: Wozu unkommentierte Ehrbezeugungen für Feldherren in der ‚Ruhmeshalle’, deren Wände mit unzähligen Namen von Offizieren vom 17. Jahrhundert bis 1918 ausgefüllt sind? Wozu für die Geschichte ab 1918 eine mehr oder weniger unkommentierte Anhäufung von Reliquien von Protagonisten aus christlichsozialen Reihen und des „Ständestaats”? (…) Aus dem Nationalsozialismus ist eine Fülle von Waffen, Orden, Hakenkreuz-Devotionalien und Kriegsdarstellungen mit fragwürdigen Schautafeln, bei denen Nazi-Jargon übernommen wurde, zu sehen. Mit den ‚Vier im Jeep’ endet der Spuk. 1945 wird ganz in der Tradition der Nachkriegsgeschichtsschreibung als Gegensatz zu 1918 präsentiert – es ist ‚das freie Österreich’. Genau hier werden jene Merkmale sichtbar, die die dominante österreichische Geschichtsdarstellung über Jahrzehnte geprägt hatten: der Blick auf eine ruhmvolle Vergangenheit vor 1918, die Erste Republik als Negativfolie zur Zweiten und eine mehr als problematische Darstellung von Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Das bedarf nicht einer Korrektur, das bedarf einer völligen Neukonzeption.“ (derstandard.at, 12.8.15)
Literatur
Leidinger, Hannes/Moritz, Verena (2011): Die Last der Historie. Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien und die Darstellung der Geschichte bis 1945. In Rupnow/Uhl (Hg.): Zeitgeschichte ausstellen in Österreich: Museen – Gedenkstätten – Ausstellungen. Wien: Böhlau Verlag, S. 15–44.
zu Teil 2: Der zeitgeschichtliche Saal als Steilvorlage für rechtsextreme Umdeutungen der Geschichte
zu Teil 3: Rechtsextreme Literatur und Wehrmachtspanzer im Museumsshop
zu Teil 4: Eine Panzerschau mit NS-Reliquien
zu Teil 5: Der Minister lässt die Vorwürfe prüfen