Es ist der zweite Kongress dieser Art, der in der Grazer Innenstadt veranstaltet wurde. Bereits im Vorjahr, am 16. Januar 2016 versammelten sich 100 Identitäre für einen Jahresrückblick, ebenfalls im noblen Hotel Weitzer. Damals wurde das Zusammenkommen des aktivistischen Kerns der selbsternannten Bewegung gleich mehrfach genutzt: Noch in der Nacht wurde das linke Kulturzentrum SUb (2) von 15 zum Teil führenden Kadern der Gruppe angegriffen. Am Folgetag wurde eine Demonstration vor der damals geplanten AsylwerberInnenunterkunft in der Kirchnerkaserne abgehalten. Anschließend wurden GegendemonstrantInnen in einer Seitenstraße mit Hiebwaffen wie einem Teleskopschlagstock attackiert und verletzt. Schon diese Begleiterscheinungen des Vorjahres ließen nichts Gutes für dieses Wochenende erahnen.
Rückblick nach Vorn – zwischen Relativierung und der Suche nach Helden
Thomas Sellner (Obmann IBÖ und Leiter IB NÖ) und Roland Moritz (Leiter IB OÖ) referierten in zwei Beiträgen den Rückblick auf das Jahr 2016. Letzterer befasste sich vorwiegend mit Statistik: Mit der Entwicklung von Landes- und Bezirksgruppen (wobei sich, wenig überraschend, Steiermark und Wien als aktivistische Hotspots herausstellten), den identitären Kanälen auf sozialen Medien, dem Auf- und Ausbau von Infrastruktur wie dem geplanten Zentrum in Wien sowie den bestehenden in Graz und Linz. Diese brächten laut den Referenten Potential mit sich, würden aber in Kombination von Aktivismus, einem neuen „Sekretariat“ und der Kompensation von antifaschistischen Interventionen und laufenden Klagen gegen die rechtsextreme Gruppe zu steigenden Kosten führen. Auf diese anstehenden Gerichtsprozesse plant die IB laut Philipp Huemer (Leiter IB Wien) mit einer Kampagne zu reagieren. Unter dem Schlagwort der „Meinungsfreiheit” soll die Straffreiheit führender rechtsextremer Kader erwirkt werden.
Im Jahresrückblick fiel besonders der Beitrag von Thomas Sellner als Mischung von Geschichtsklitterung und ‚identitärem‘ Erlebnisaufsatz auf: „Die Stimmung ist angespannt. Immer wieder geht der Ablauf durch den Kopf. Zielstrebig und schnell, aber völlig wortlos marschieren sie auf ein Gebäude zu und betreten es. Die Gänge sind leer, die Gruppe wird langsamer. Rechts von ihnen ein paar Stufen, eine Tür …“
Selbst der Fußweg von einer Straßenbahnhaltestelle in ein Universitätsgebäude wurde so zu einem epischen Schlachtzug ruhmreicher Kämpfer stilisiert und die Identitären konnten zumindest in ihrer eigenen Nacherzählung zu jenen Helden werden, nach denen sie sich so sehr sehnen. Auffallend war dabei der wiederholte Versuch, den rechtsextremen Aktionismus als „diszipliniert“ und „gewaltfrei“ darzustellen: „Niemand wurde verletzt, nichts ist passiert, wir konnten es reibungslos durchführen“, hieß es etwa zu dem Saalsturm der Aufführung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen” im Wiener Audimax. Dass dabei sowohl performende Geflüchtete als auch Personen aus dem Publikum geschlagen bzw. gestoßen und in Folge acht Anzeigen wegen Körperverletzung gegen die IB erstattetet wurden, blendete Sellner in seiner Erzählung einfach aus – im Gegensatz zu den „Mainstream Medien“, die er pauschal als „Fake-News“ diffamierte.
Von „Infokrieg“ zu INFO-DIREKT
Da sich kritische Berichterstattung mit rechtsextremer Demagogie nicht gut verträgt, soll die rechtsextreme Medienarbeit zur Verbreitung „alternativer Fakten” (beschrieben als „Infokrieg“ und „Gegenöffentlichkeit“) weiter professionalisiert werden. Neben der weiteren Konzentration auf soziale Medien sollen ein „Filmstudio“ sowie eine „patriotische-Kennenlern-App” für einsame Rechtsextreme (mit „Patriotenradar“ und Terminkalender) aufgebaut werden.
Die Einladung Martin Sellners in ein Talk-Format von Servus TV wurde gleichermaßen als motivierend wie als Legitimation der rechtsextremen Gruppe aufgefasst. Trotzdem soll vor allem die Kooperation mit „alternativen Medien“ weiter vertieft werden. Explizit genannt wurden hierbei die deutschen Magazine Compact und Sezession sowie das dahinter agierende Institut für Staatspolitik. Als wichtige PartnerInnen in Österreich, wurden der FPÖ-nahe Blog unzensuriert.at und das Magazin INFO-DIREKT aus Linz hervorgehoben, das nicht nur mit einem Stand am Kongress vertreten war, sondern auch mit einem Referenten: Michael Scharfmüller, ein ehemaliger Führungskader des neonazistischen Bund freier Jugend (BfJ).
Fußnoten:
1 Vgl. Facebook-Posting der IBÖ vom 29.01.2017 12:10 Uhr bzw. INFO-DIREKT: Am Wochende: Identitärer Kongress und Antifa-Gewalt. Online aufrufbar unter: info-direkt-Homepage (Zugriffe am 1.2.2017) Anzumerken ist, dass unter den Teilnehmenden mit großem Abstand vorwiegend, unter den Vortragenden sogar ausschließlich, Männer anzutreffen waren.
2 Vgl. Newseintrag vom 20.01.2016 des SUb Graz. Online aufrufbar unter subsubsub.at (Zugriff am 1.2.2017)
3 Vgl. Der Standard vom 15.04.2016: Anzeigen wegen Körperverletzung nach Identitären-Aktion. Online aufrufbar unter: derstandard.at (Zugriff am 1.2.2017)
➡️ Was uns die Identitären auf ihrem Jahreskongress verrieten (Teil 2)