Steigende Zahlen
Vor wenigen Wochen berichtete der Kurier (vom 25.11.2016) davon, dass österreichweit in diesem Jahr bis Anfang November bereits 540 Ermittlungsverfahren wegen Verhetzung geführt wurden und die Zahl bis Ende des Jahres noch weiter steigen werde. 2015 waren es insgesamt „nur“ 513 gewesen. Wie selbstverständlich auch rassistische, antisemitische oder auch holocaustrelativierende bzw. ‑leugnende Äußerungen (vor allem im Internet) geworden sind, zeigt sich zudem an der gestiegenen Anzahl von Verbotsgesetzdelikten, die aktuell vor österreichischen Gerichten verhandelt werden. Die Hürde, auf Facebook oder anderen Foren schnell mal „die Wiedereröffnung von Mauthausen“ zu fordern oder zu einer „Koranverbrennung mit Spanferkelessen und Freibier“ aufzurufen, scheint in letzter Zeit noch weiter gesunken zu sein. Obgleich also die Anzahl der für diese Delikte Angeklagten im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist, scheint sich hierzulande kaum jemand (mehr) dafür zu interessieren. Zumindest gehen die konstant wachsenden Zahlen nicht mit einem Anstieg an (kritischer) Berichtserstattung oder zumindest der Förderung und Ausweitung gesellschaftspolitischer Präventionsprogramme von menschenfeindlichen Einstellungsmustern einher. Im Gegenteil, Verbotsgesetz- und Verhetzungsanklagen scheinen in österreichischen Tageszeitungen keinen berichtswerten Gegenstand mehr darzustellen und so ist die Nichtberichtserstattung eher zur Regel geworden als die journalistische Beschäftigung mit Themen dieser Art.
Angriffe auf politische Gegner_innen
Aber nicht nur antisemitische Straftaten, wie sich zuletzt u.a. bei der Schändung des jüdischen Friedhofs in Wien zeigte oder rassistische Delikte wie der Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Himberg werden immer mehr und alltäglicher. Auch rechtsextrem motivierte Angriffe auf politische Gegner_innen haben sich in den letzten Wochen und Monaten gehäuft.
Dies verdeutlicht sich vor allem am Beispiel des Kulturverein w23 im ersten Wiener Bezirk. Er besteht inzwischen seit zehn Jahren und beheimatet unterschiedliche Gruppen und Projekte, deren Veranstaltungen sowie auch eine Bibliothek. Immer wieder kam es im Laufe der Jahre leider auch zu rechtsextremen und neonazistischen Angriffen. Waren es anfangs noch „einfache“ Nazi-Schmierereien gewesen, steigerte sich die Qualität dieser Einschüchterungsversuche, als im Oktober 2008 rund zehn vermummte Neonazis probierten, in die Vereinsräumlichkeiten zu kommen und die dort anwesenden Gäste zu attackieren. Auch in den darauf folgenden Jahren kam es immer wieder zu Schmierereien, Manipulationen der Schlösser sowie Mitte September 2016 zu einer „Attacke mit Kunstblut, welches an die Wand und Eingangstür der w23 geschüttet wurde“ versehen mit einem Zettel, auf dem „Österreich blutet auch durch eure Schuld“ stand. Kunstblut wurde auch im Übrigen auch bei den Angriffen auf den „Muslim Lifestyle Shop“ sowie die „Anarchistische Buchhandlung“ verwendet, die zum gleichen Zeitpunkt in Wien stattfanden.
Kein Einzelfall
Doch diese Attacke blieb kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in eine Serie von weiteren Angriffen, die in den darauf kommenden Wochen folgen sollten. Bereits zwei Wochen später wurde der massive Eisenrollladen unter Anwendung eines enormen Kraftakts beschädigt und versucht, sich Zutritt zu den Räumlichkeiten zu verschaffen, kurz darauf erneut die Schlösser verklebt sowie Buttersäure im Eingangsbereich verschüttet. Auch wurden immer wieder Aufkleber mit eindeutig rechtsextremen Parolen hinterlassen. Doch auch damit nicht genug. Ende Dezember 2016 versuchten Unbekannte erneut, sich Zutritt zu den Vereinsräumlichkeiten zu verschaffen und beschädigten dabei den inzwischen neuen Eisenrollbalken massiv. Der inzwischen entstandene Sachschaden bewegt sich im Bereich von mehreren Tausend Euros. Dennoch lassen sich die Betreiber_innen des Kulturvereins nicht einschüchtern, sondern erkennen in den Angriffe und Attacken „Einschüchterungsversuche“. „Sie sollen Angst schüren und ihren politischen Gegner_innen das Gefühl der ständigen Bedrohung vermitteln. Sie sind eine logische Folge des autoritären gesellschaftlichen Klimas. In den letzten Jahren haben die Aktivitäten von neofaschistischen und anderen rechtsextremen Gruppen wieder massiv zugenommen. Die Akteur_innen sind selbstbewusster geworden und fühlen sich in einer zunehmend menschenfeindlichen Gesellschaft sicherer und bestärkt“, heißt es in einem Statement zur Anschlagsserie. Die Angriffe können ihrer Meinung nach nicht losgelöst von anderen gesellschaftspolitischen Entwicklungen hierzulande betrachtet werden: „Wenn rassistische Hetze zur Tagesordnung gehört, Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten immer häufiger und faschistische Kontinuitäten zum „Grundkonsens” einer Gesellschaft werden, fühlen wir uns in der Notwendigkeit unserer Arbeit bestätigt. Wir halten es daher für unerlässlich, den Blick auf die herrschenden Zustände zu richten und sich gegen die rassistische und faschistische Normalisierung zu stellen.“
Ob österreichischen Tageszeitung erneut durch Nichtbeachtung der rechtsextremen Angriffsserie brillieren oder sich doch noch dazu aufraffen können, darüber zu berichten, bleibt bislang noch abzuwarten.
Hier die Aussendung des Kulturvereins W23 im Original:
Erneuter rechtsextremer Angriff gegen Kulturverein w23 (Link)
Am Nachmittag des 30. Dezember kam es wieder zu einem Angriff auf die Räumlichkeiten des Kulturvereins w23. Dieser ereignete sich nach dem gleichen Schema wie beim rechtsextremen Angriff Ende November: Mit massivem Kraftaufwand wurde versucht, sich über den Metallrollbalken Zutritt zu den Vereinsräumlichkeiten zu verschaffen und dieser erheblich beschädigt. Dieser Übergriff steht im Zusammenhang mit einer aggressiven und systematischen Angriffsserie, die im September 2016 begann.
In den letzten zwei Monaten gab es gleich vier schwerwiegende Angriffe durch Rechtsextreme auf die Räumlichkeiten des Kulturverein w23:
Ende November wurde mit massivem Kraftaufwand versucht, sich Zutritt durch den Metallrollbalken, der die Eingangstür der Räume schützt, zu verschaffen. Dabei wurde dieser derart beschädigt, dass er nur ausgetauscht werden konnte, und ein Sachschaden von mehreren tausend Euro war die Folge. Zwei Wochen später wurden die Schlösser der Rollbalken verklebt. Eine Woche darauf wurde Buttersäure im Eingangsbereich verschüttet. Am Nachmittag des 30. Dezember wurde erneut versucht, den Rollbalken aus Stahlwellblech aufzubrechen, um Zutritt zu den Vereinsräumlichkeiten zu erlangen. Erneut wurden die Schlösser verklebt. Dabei wurde der neue Rollbalken abermals erheblich beschädigt.
w23 schon früher Ziel von RechtsextremenSeit ihrer Eröffnung vor zehn Jahren ist die w23, die die Räumlichkeiten mit dem Mandelbaumverlag teilt, immer wieder Ziel von Angriffen durch Neonazis und andere Rechtsextreme geworden. Während es in den ersten Jahren verhältnismäßig ruhig war, kam es durch die verstärkten Aktivitäten von Alpen-Donau.info und anderen neonazistischen Gruppierungen zu einer Häufung von Vorkommnissen rund um die Vereinsräumlichkeiten.
Aus den Angriffen auf die Räume wurden Angriffe auf Menschen
In der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 2008 stürmte ein Trupp von zehn maskierten Neonazis die Räumlichkeiten und begann wahllos in die Menge der anwesenden Personen zu prügeln. Dieser geplante Angriff konnte schnell abgewehrt und Schlimmeres verhindert werden. Dennoch gab es zwei Leichtverletzte und geringen Sachschaden.
Rechtsextreme Angriffe nicht nur gegen die w23Die Zuspitzung autoritärer Verhältnisse in den letzten Jahren bestärkt Rechtsextreme darin, zunehmend aggressiv gegen alle vorzugehen, die sie als Feind_innen ausmachen. Wie die aktuellen Beispiele zeigen, schrecken sie dabei auch vor Gewalt nicht zurück. Diese ist im Rechtsextremismus angelegt – folglich ist anzunehmen, dass die Angriffe nicht bei zerstörten Rollbalken enden werden.
Gleichartige Angriffe wie die Farbattacke auf den Kulturverein w23 gab es zeitnah auch gegen das Bekleidungsgeschäft “Zahraa Muslim Lifestyle Shop” in Meidling und die “Anarchistische Buchhandlung” in Rudolfsheim-Fünfhaus. Die Rosa Lila Villa berichtet immer wieder von LGBTIQ*-feindlichen Schmierereien.
In Berlin-Neukölln gingen Nazis bei einem Angriff auf das linke Café k‑fetisch noch einen Schritt weiter: Hier wurde nicht nur ein Rollbalken aufgebrochen, sondern dahinter außerdem Feuer gelegt, das sich durch großes Glück nicht ausbreitete. Das Café befindet sich in einem Wohnhaus, die Täter_innen nahmen den Tod von Menschen billigend in Kauf. Dies ist Beispiel einer massiven Angriffswelle gegen Buchhandlungen, andere linke Räume und gezielte Attacken gegen Antifaschist_innen.
Ende Dezember wurde ein junge Frau* in Klagenfurt/Celovec von zwei Rassisten verprügelt und schwer verletzt, weil sie Zivil-Courage gezeigt und deren rassistische Pöbeleien widersprochen hatte. Die Reaktion der Polizei war symptomatisch für deren Umgang mit rechter Gewalt: Erst die zweite von ihr aufgesuchte Dienststelle nahm überhaupt die Anzeige der jungen Frau an.
Die Behörden Teil des ProblemsImmer wieder zeigt sich, dass von Behörden bei Angriffen Rechtsextremer wenig Unterstützung zu erwarten ist. Ein mit Fotos dokumentierter Angriff von mit Teleskopschlagstöcken und Gürteln bewaffneten Kader der „Identitären Bewegung” auf Antifaschist_innen führte zu einer Verfahrenseinstellung.
Neonazistische Hooligans, die eine Gewerkschaftsveranstaltung im EKH gestürmt und angegriffen hatten, wurden überwiegend nicht belangt – mehr noch, letztlich wurden Angegriffene im Zuge eines haarsträubenden Verfahrens verurteilt. Einige der Angreifer wiederum wurden später als „Securities” auf Demonstrationen der „Identitären” eingesetzt.
Zuspitzung autoritärer VerhältnisseDiese Angriffe und Attacken sind Einschüchterungsversuche. Sie sollen Angst schüren und ihren politischen Gegner_innen das Gefühl der ständigen Bedrohung vermitteln. Sie sind eine logische Folge des autoritären gesellschaftlichen Klimas. In den letzten Jahren haben die Aktivitäten von neofaschistischen und anderen rechtsextremen Gruppen wieder massiv zugenommen. Die Akteur_innen sind selbstbewusster geworden und fühlen sich in einer zunehmend menschenfeindlichen Gesellschaft sicherer und bestärkt.
(Neo-)Faschistische Ideologien haben Rückenwind und das äußert sich nicht „nur” in Online-Hetze, Kampf- und Kriegsrhetorik in tagespolitischen Auseinandersetzungen. Immer mehr Rechtsextreme und Neonazis nehmen „den Kampf fürs Abendland” in die eigene Hand und schreiten zur Tat.Bei all der notwendigen Auseinandersetzung mit Angriffen auf die eigene Infrastruktur wollen wir Folgendes festhalten: Wir sehen diese Attacken in einem größeren Kontext. Wenn rassistische Hetze zur Tagesordnung gehört, Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten immer häufiger und faschistische Kontinuitäten zum „Grundkonsens” einer Gesellschaft werden, fühlen wir uns in der Notwendigkeit unserer Arbeit bestätigt. Wir halten es daher für unerlässlich, den Blick auf die herrschenden Zustände zu richten und sich gegen die rassistische und faschistische Normalisierung zu stellen.
Der Kulturverein w23 versucht hierzu seit nunmehr 10 Jahren seinen Teil beizutragen. In den Räumlichkeiten finden regelmäßig Diskussionsveranstaltungen, Filmabende, Lesungen, Workshops und vieles mehr statt, außerdem gibt es die „Bibliothek von unten” und das „Archiv der sozialen Bewegungen”. Die w23 ist ein selbstverwalteter Raum mit (queer)-feministischem Selbstverständnis und bietet Platz für linke, emanzipatorische Projekte. Für sexistisches, LGBTIQ*-feindliches, rassistisches und antisemitisches Verhalten hingegen ist kein Platz. Wir lassen uns von der aktuellen Angriffswelle nicht einschüchtern und laden alle solidarischen Menschen herzlich ein, sich zu beteiligen.
Eine chronologische Auflistung der Angriffe auf die w23 findet ihr hier (Link).”
Weitere Infos:
— Presseaussendung des Vereins vom 4.1.2017: Erneut Angriff durch Rechtsextreme auf Kulturverein w23