Wr. Neustadt: Wiederbetätigung, Verhetzung und versuchte Nötigung

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Am Diens­tag, 15.11.2016, wur­de der Ver­bots­ge­setz­pro­zess gegen Micha­el S. in Wie­ner Neu­stadt fort­ge­setzt. Der 32-jäh­ri­ge Möd­lin­ger blieb bei sei­nen bis­he­ri­gen Aus­sa­gen und zeig­te sich wei­ter­hin gestän­dig bezüg­lich der Vorwürfe.

Zu Beginn der Ver­hand­lung mach­te der Ange­klag­te erneut auf sei­nen gesund­heit­li­chen Zustand auf­merk­sam und gab bekannt, einen Antrag auf „The­ra­pie statt Stra­fe“ gestellt zu haben, über die­sen wur­de bis­her nicht entschieden.Das Beweis­ver­fah­ren begann mit dem Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen. Dar­in kommt der zustän­di­ge Fach­arzt für Psych­ia­trie und Neu­ro­lo­gie auf­grund der ihm vom Rich­ter zuge­sand­ten Unter­la­gen zu dem Schluss, der hier Ange­klag­te sei zwei­fel­los als sucht­krank ein­zu­stu­fen. Es gebe jedoch kei­ner­lei Hin­wei­se auf ande­re Erkran­kun­gen, die zu einer Unzu­rech­nungs­fä­hig­keit zum Tat­zeit­punkt füh­ren wür­den. Die Fra­ge, ob sich der Ange­klag­te in einem Zustand der „voll­stän­di­gen Berau­schung“ befun­den hät­te, beant­wor­te­te der Gut­ach­ter vor allem wegen der Aus­sa­gen beim ers­ten Ver­hand­lungs­tag mit nein. Der Beschul­dig­te kann sich bis heu­te an Details des Tages und der Tat erin­nern, wodurch von einer Zurech­nungs­fä­hig­keit gege­ben sei.

Da es kei­ne wei­te­ren Anträ­ge durch Ver­tei­di­gung und Staats­an­walt­schaft gab, war das Beweis­ver­fah­ren recht zügig abgeschlossen.

Anti­fa­schis­ti­sches Staatssystem

Zu Beginn sei­nes Abschluss­plä­doy­ers ging der Staats­an­walt auf den his­to­ri­schen Kon­text des Ver­bots­ge­set­zes ein. Es wur­de am 8. Mai 1945, am Tag als die deut­sche Wehr­macht kapi­tu­lier­te, als Ver­fas­sungs­ge­setz erlas­sen. Der öster­rei­chi­sche Gesetz­ge­ber woll­te sich damit vom Natio­nal­so­zia­lis­mus abgren­zen und einen neu­en demo­kra­ti­schen Staat begrün­den. Auch heu­te stellt nie­mand ernst­haft in Fra­ge, dass die demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung und auch die­ses Bun­des­ver­fas­sungs­ge­setz die Grund­la­ge des öster­rei­chi­schen Staats­sys­tem ist, wel­ches auch ein anti­fa­schis­ti­sches ist und auch blei­ben soll, so der Staatsanwalt.

Landesgericht Wiener Neustadt - Bildquelle: Wikipedia/Onsemeliot unter CreativeCommons 3.0

Lan­des­ge­richt Wie­ner Neu­stadt — Bild­quel­le: Wikipedia/Onsemeliot unter Crea­tive­Com­mons 3.0

Von einer Distan­zie­rung des Ange­klag­ten zum rech­ten Gedan­ken war der Staats­an­walt nicht über­zeugt, das Haken­kreuz-Tat­too, die ein­schlä­gi­gen Fotos auf dem Han­dy und das Face­book-Pos­ting über Gott­fried Küs­sel ver­deut­li­chen für die Staats­an­walt­schaft ein anders Bild.

Urteils­ver­kün­dung

Die acht Geschwo­re­nen bekann­ten den Beschul­dig­ten in allen 3 Punk­ten (Ver­het­zung, Wie­der­be­tä­ti­gung nach Ver­bots­ge­setz, ver­such­te Nöti­gung) ein­stim­mig für schul­dig. Er habe am 21. Juni 2016 in einem Regio­nal­zug von Möd­ling nach Wien in einer für min­des­tens 30 Per­so­nen wahr­nehm­ba­ren Wei­se öffent­lich tür­ki­sche Fahr­gäs­te ras­sis­tisch beschimpft, sich im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sinn betä­tigt, indem er laut­stark „Heil Hit­ler“ geru­fen hat und somit eine typisch natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Paro­le pro­pa­gan­dis­tisch verwendet.

Auch den Tat­be­stand der ver­such­ten Nöti­gung, wonach er den Zeu­gen S. gefähr­lich bedroht habe, um ihn zur Löschung der Foto­auf­nah­men zu bewe­gen, sahen die Geschwo­re­nen als gege­ben an.
Durch Äuße­run­gen wie „ich mach dich fer­tig, ich polier dir das Gesicht“, sowie durch Schlä­ge gegen Ein­rich­tun­gen des Zuges und Trit­te gegen den Ruck­sack des Zeu­gen war der Sach­ver­halt für die Geschwo­re­nen klar.

Mitt­ler­wei­le ist der Beschul­dig­te in einer wei­te­ren Ver­hand­lung am 2.11.2016 zu 20 Mona­ten unbe­dingt ver­ur­teilt wor­den, da er 860€ mit der Ban­ko­mat­kar­te sei­ner Exfreun­din von ihrem Kon­to abge­ho­ben hat­te und die­se ihn dar­auf­hin anzeig­te. Zusätz­lich kam es zu einer Ver­ur­tei­lung wegen Sucht­mit­tel­be­sitz für den Eigen­be­darf. Die­se bereits rechts­kräf­ti­ge Ent­schei­dung wur­de bei der Straf­be­mes­sung im aktu­el­len Ver­fah­ren berücksichtigt.

Unter Beach­tung des besag­ten Urteils wur­de der Ange­klag­te zu einer Zusatz­frei­heits­stra­fe von 16 Mona­ten unbe­dingt ver­ur­teilt. Mit den 20 Mona­ten aus dem vor­he­ri­gen Ver­fah­ren muss er nun eine Haft­stra­fe von drei Jah­ren absit­zen, die Pro­be­zeit wur­de bereits am 2.11. auf fünf Jah­re erwei­tert. Der Beschul­dig­te ver­zich­te­te auf Rechts­mit­tel, wäh­rend die Staats­an­walt­schaft kei­ne Erklä­rung abgab; dem­nach ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Hin­weis: Sie­he auch unse­ren heu­ti­gen zwei­ten Arti­kel zum glei­chen Pro­zess hier.