Burschenschaften: Keine Bewegung beim Antisemitismus

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Der Wie­ner FPÖ-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te und Bur­schen­schaf­ter Udo Gug­gen­bich­ler mach­te am 21.4.15 eine Pres­se­aus­sendung zu Kor­po­ra­tio­nen und Anti­se­mi­tis­mus, in der er davon spricht, dass er gemein­sam mit ande­ren pro­mi­nen­ten Ver­tre­tern von schla­gen­den Ver­bin­dun­gen eine Erklä­rung unter­zeich­net habe, in der der Anti­se­mi­tis­mus von Kor­po­ra­tio­nen ver­ur­teilt wer­de. Wirklich? 

Die Erklä­rung rich­tet sich zwar direkt an die Israe­li­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de, „um der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de das Bemü­hen für ein von gegen­sei­ti­ger Ach­tung gepräg­tes Ver­hält­nis zu zei­gen“, wird aber den­noch auch öffent­lich abge­ge­ben. Das ist auch gut so, denn schließ­lich geht der Anti­se­mi­tis­mus der Kor­po­ra­tio­nen auch die Öffent­lich­keit etwas an. Und die wird über eini­ge Medi­en auch infor­miert: „In einer offi­zi­el­len Erklä­rung haben die schla­gen­den Bur­schen­schaf­ten den Anti­se­mi­tis­mus ver­ur­teilt und sich von eige­nen anti­se­mi­ti­schen Bekun­dun­gen in der Ver­gan­gen­heit distan­ziert“, schreibt die Salz­bur­ger Nach­rich­ten (22.4.2015).

In der „Klei­nen Zei­tung“ (22.4.2015) heißt es: „Gemein­sam mit ande­ren Ver­tre­tern von schla­gen­den Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen hat der Orga­ni­sa­tor des umstrit­te­nen Wie­ner Aka­de­mi­ker­balls, Udo Gug­gen­bich­ler, eine Erklä­rung unter­zeich­net, in der Anti­se­mi­tis­mus ver­ur­teilt wird.“

Die Aus­sendung ist unter­zeich­net von Udo Gug­gen­bich­ler und sonst nie­man­dem. Kein wei­te­rer (pro­mi­nen­ter) Ver­tre­ter einer Kor­po­ra­ti­on, kein Dach­ver­band, kei­ne ein­zel­ne Bur­schen­schaft ist ange­führt. Wer weiß, wie pin­ge­lig Kor­po­rier­te sind, wenn es um die Bezeich­nung und Zuord­nung ihrer Kor­po­ra­ti­on, ihres Dach­ver­ban­des geht, dann ver­wun­dert auch die sehr vage Bezeich­nung von Gug­gen­bich­ler: Schla­gen­de Ver­bin­dun­gen gibt es sehr vie­le und sehr unterschiedliche.

Gug­gen­bich­ler aber weiß das sehr genau: Er selbst ist Mit­glied von zwei aka­de­mi­schen Bur­schen­schaf­ten, der Albia (Wien) und der Armi­nia (Graz), und von zwei pen­na­len Ver­bin­dun­gen, der tech­ni­schen Ver­bin­dung Hol­len­burg (Fer­lach) und der Schü­ler­ver­bin­dung Gothia (Meran). Die bei­den aka­de­mi­schen Ver­bin­dun­gen sind Mit­glieds­bün­de im Dach­ver­band Deut­sche Bur­schen­schaft (DB), bei­de sind Mit­glie­der der extrem rech­ten „Frak­ti­on” Bur­schen­schaft­li­che Gemeinschaft.

Gibt es eine Distan­zie­rung des Dach­ver­ban­des Deut­sche Bur­schen­schaft vom Anti­se­mi­tis­mus im Ver­band? Weder aktu­ell noch in der Ver­gan­gen­heit. Die letz­te Erklä­rung der DB aus dem Herbst 2014 behan­delt einen Spen­den­auf­ruf für die (deut­sche) Bur­schen­schaft Vul­ka­nia in Chi­le. Ansons­ten ist die DB wohl mehr damit beschäf­tigt, ihre Schäf­lein zu zäh­len: Mehr als 40 Mit­glieds­bün­de haben in den letz­ten Jah­ren die DB wegen ihres deut­li­chen Rechts­kur­ses ver­las­sen – ein Minus von gut 40 Pro­zent, wie der Blog Bur­schen­schaf­ter­pack­taus vor­rech­net.

Eine Distan­zie­rung der Bur­schen­schaft­li­chen Gemein­schaft vom Anti­se­mi­tis­mus, wäre eine Sen­sa­ti­on, aber die gibt’s nicht. Blei­ben die ein­zel­nen Mit­glieds­bün­de. Fast alle von ihnen sind im Inter­net ver­tre­ten, die meis­ten auch auf Face­book. Zur Erklä­rung von Gug­gen­bich­ler herrscht da über­all dröh­nen­des Schwei­gen. Was denn auch sonst?

Gug­gen­bich­lers eige­ne Ver­bin­dung, die Armi­nia Graz, zählt den Chef des Reichs­si­cher­heits­haupt­am­tes (RSHA), SS-Bri­ga­de­füh­rer Ernst Kal­ten­brun­ner zu ihren Alten Her­ren. Das RSHA hat­te eine zen­tra­le Rol­le bei der soge­nann­ten End­lö­sung, der Ver­nich­tung und Aus­rot­tung der Juden. Die Armi­nia müss­te sich wohl von ein­mal von Kal­ten­brun­ner klar distan­zie­ren, soll­te sie die Absicht haben, sich ernst­haft vom Anti­se­mi­tis­mus los­zu­sa­gen – oder Gug­gen­bich­ler von der Arminia.


Ernst Kal­ten­brun­ner

Dann wären da noch der Öster­rei­chi­sche Pen­nä­ler­ring (ÖPR) und des­sen Mit­glieds­bün­de. Gug­gen­bich­ler kennt die und deren Pro­ble­me mit dem Anti­se­mi­tis­mus sehr gut – er ist schließ­lich seit ewig Vor­sit­zen­der des ÖPR. Das DÖW weist in sei­ner Stel­lung­nah­me zu dem angeb­li­chen Bruch der schla­gen­den Ver­bin­dun­gen mit dem Anti­se­mi­tis­mus dar­auf hin, dass der Anti­se­mi­tis­mus in der Volks­ge­mein­schafts­ideo­lo­gie des deutsch-völ­ki­schen Lagers struk­tu­rell ver­an­kert ist: „Ein tat­säch­li­cher Bruch mit dem Anti­se­mi­tis­mus wäre dem­nach nicht zu haben ohne Bruch mit die­ser Ideo­lo­gie.“ Noch ein Stich­wort nennt das DÖW: Die „Aula“, das Organ der Frei­heit­li­chen Aka­de­mi­ker­ver­bän­de und der Bur­schen­schaf­ten des deutsch-völ­ki­schen Lagers. Der „Aula“ ist der Anti­se­mi­tis­mus gleich­sam ein­pro­gram­miert, wie zuletzt die Aus­ga­be vom März 2015 zeigt.

Was ist eine Erklä­rung wert, die selbst in ihrem Kern nur Halb­wah­res ent­hält? So heißt es da: „Die soge­nann­ten ‚Waid­hof­ner Beschlüs­se’ sind seit lan­ger Zeit obso­let und hat­ten für zahl­rei­che Ver­bin­dun­gen nie Gel­tung“. Was „Ver­bin­dun­gen“ betrifft, mag das stim­men – nicht aber für die (schla­gen­den) deut­schen Bur­schen­schaf­ten. Die anti­se­mi­ti­schen „Waid­hof­ner Beschlüs­se“ aus 1896 wur­den zwar damals von ein paar Bur­schen­schaf­ten wie z.B. der „Olym­pia” abge­lehnt. Wie wir aber aus jün­ge­ren Jah­ren wis­sen, zeich­ne­te sich gera­de die­se Bur­schen­schaft durch ihre Nähe zu NS-Ideo­lo­gie­und Anti­se­mi­tis­mus aus.

Spä­tes­tens mit dem Eisen­acher Beschluss von 1920, der für alle deut­schen Bur­schen­schaf­ten aus Öster­reich und Deutsch­land galt, war der ras­sis­ti­sche Anti­se­mi­tis­mus bestim­mend. Er ver­pflich­te­te alle Bur­schen­schaf­ten zu einem Auf­nah­me­stopp für Juden und ver­lang­te von allen Neu­ein­trit­ten das Ehren­wort, „frei von jüdi­schem oder far­bi­gen Blut­ein­schlag“ zu sein, kei­ne jüdi­schen oder far­bi­gen Ehe­part­ner zu haben oder künf­tig zu wäh­len. Nach der Nie­der­la­ge des Natio­nal­so­zia­lis­mus (der von der DB und ihren Bün­den begeis­tert begrüßt wor­den war) fand die bei den Bur­schen­schaf­ten in Öster­reich vor­herr­schen­de Geschichts­auf­ar­bei­tung dar­in ihren Aus­druck, dass man sich als „Kin­der der Zeit” betrach­te­te: „Strei­ten wir doch nicht dar­über, inwie­weit an allen die­sen Ereig­nis­sen, an den Ver­ir­run­gen des natio­na­len Den­kens Bur­schen­schaf­ter mit­be­tei­ligt waren“, for­mu­lier­te der Bur­schen­schaf­ter Gün­ther Ber­ka den Kon­sens bei den Burschenschaften.

Der Streit um Arier­pa­ra­gra­fen und „deut­sche Abstam­mungs­ge­mein­schaft” bei der DB im Jahr 2011, die für pen­na­le Bur­schen­schaf­ten gül­ti­gen Bestim­mun­gen der „Lin­zer Pau­k­ord­nung“, das offen anti­se­mi­ti­sche Auf­tre­ten ein­zel­ner Bur­schen­schaf­ten, die anti­se­mi­ti­schen Bei­trä­ge in der „Aula“ – das alles und noch viel mehr machen klar, dass der Anti­se­mi­tis­mus in den Bur­schen­schaf­ten lebt und gelebt wird.

Die Erklä­rung des Udo Gug­gen­bich­ler ist der holp­ri­ge Ver­such eines FPÖ-Man­da­tars, hier Bewe­gung bei den Bur­schen­schaf­ten vor­zu­täu­schen. Doch die­se Bewe­gung gibt es selbst dann noch nicht, falls ihr eini­ge wei­te­re FPÖ-Man­da­ta­re und Bur­schen­schaf­ter fol­gen wer­den. Aber schau­en wir zunächst ein­mal, was Wolf­gang Jung und Rein­hard Bösch zur Erklä­rung Gug­gen­bich­lers sagen!