Die volkstümmliche Industrie und die SprachbewahrerInnen
Angefangen hat es mit dem fragwürdigen Auftritt von Andreas Gabalier mit seinem neuesten Produkt aus der volkstümlichen Musikindustrie während des Formel-1-Rennens in Österreich. Die vorgetragene Hymne wurde ohne die Zeile „Heimat großer Töchter und Söhne” gesungen. Die Kritik an Gabalier war entsprechend groß, aber der legte nach: Er möchte die Zeile wieder so singen, wie er es gelernt habe. Frauen bzw. „die Damenwelt”, „Dirndln” oder auch „Madln”, wie Gabalier zu Frauen gerne sagt, seien heute gleichberechtigt und daher wäre eine Erwähnung in der Hymne nicht notwendig. Gabalier, dessen Texte sicher niemand verändern will, ist nur ein Symbol unter vielen für das Phänomen des reaktionären Backlash.
Heimatgefühle sind wieder in Mode, wenn auch als Farce, Quelle: Wikipedia
Im Juni 2014 veröffentlichte der Verein „Muttersprache” in ihrer Mitgliederzeitung einen offenen Brief an Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) zum Thema „sprachliche Gleichbehandlung“. Als Autoren werden Heinz-Dieter Pohl, Peter Wiesinger und Herbert Zeman angegeben. Zumindestens sind Pohl, Wiesinger, Zeman Erstunterzeichner.
Website des Vereins Muttersprache, bei „Offener Brief…” werden Pohl, Wiesinger, u.a. angegeben
Drei Wochen später, am 14. Juli, titelte u.a. der Kurier: „Offener Brief: Absage an ‚Gender-Wildwuchs’ ” Demnach hätten sich 800 „Sprachkritiker”, wie der Kurier sie nennt, gefunden, um ein Ende des Genderns zu fordern. Philosoph Konrad Paul Liessmann, Mathematiker Rudolf Taschner, Verfassungsrechtler Heinz Mayer, Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder und die Schauspielerin Chris Lohner. Auch der Entertainer und „Sprachpfleger” Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”) hat diesen offenen Brief unterschrieben.
Im mühsam zu lesenden Machwerk mühen sich noch mehr die Autoren ab, um logische Formfehler einer gendergerechten Sprache aufzuzeigen. Die Autoren fordern eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität. Eine solche sprachliche „Normalität” hat es aber nie gegeben, Sprache war immer und andauernd Veränderungen ausgesetzt. Für die Sprache, die die BewahrerInnen der „sprachlichen Normalität” so gerne konservieren würden, wären sie vor 100 Jahren wohl noch mit Schimpf und Schande aus den Universitäten gejagt worden. Wir wollen aber den offenen Brief nicht weiter zerlegen, sondern verweisen nur auf anerkannte SprachwissenschaftlerInnen, die sich mit diesen Punkten ausführlichst auseinandersetzten. [1] [2] [3] [4].[5] [6] [7] [8] [9] [10]
Uns interessieren mehr die Hintergründe und die (gar nicht so) seltsamen Überschneidungen von Positionen rechtsextremer Gruppierungen und Personen aus dem bürgerlich-konservativen Umfeld.
Rechtsextreme Grüppchen
Der Verein “Muttersprache”, der das Dokument als erstes auf seiner Website am 22. Juni erstellte, hat seinen Sitz in der Fuhrmannsgasse 18A im 8. Wiener Gemeindebezirk.
„Offener Brief” auf der Website des Vereins „Muttersprache”, mit dem Datum des 22. Juni 2014
Nicht zufällig ist auch die Österreichische Landsmannschaft (ÖLM) dort beheimatet. Das Haus in der Fuhrmanngasse 18A gehört der ÖLM. „Der Eckart” (früher „Eckartbote”) hat dort seine Redaktionsadresse, die Mädchenschaft Freya und die Pennäle Burschenschaft Ghibellinia residieren ebenfalls in der Fuhrmannsgasse. Das Dokumentationsarchiv des österreichichen Widerstandes (DÖW) stuft die ÖLM als „rechtsextrem“ ein. Norbert Steffanides (3. Vereinsobmann ÖLM) und Heinz-Dieter Pohl (zu mindestens bis vor zwei Jahren noch Mitglied des Vereinsrates der ÖLM) sind bzw. waren noch bis vor kurzem im ÖLM und Verein „Muttersprache” hochrangige Funktionäre. Norbert Prohaska, der jetzige Sekretär des Vereins Muttersprache, war früher ebenfalls ÖLM-Mitglied.
Der Eckartbote (heute: „Der Eckart”) mit klaren Positionen; Bildquelle: DÖW
Der Verein „Muttersprache” huldigt auf seiner Website außerdem seinem langjährigen Obmann Erwin Mehl, der bekennender Nazi war. Mehl unterzeichnete etwa 1978 einen Aufruf in der einschlägig bekannten „Deutschen National-Zeitung“ für eine Generalamnestie der NS-Verbrechen (Quelle: Handbuch des österr. Rechtsextremismus).
Verbindungen zur FPÖ
Zahlreiche Verbindungen gibt es zur FPÖ. Bei der Sonnwendfeier 2006, veranstaltet von der rechtsextremen „Österreichischen Landsmannschaft“ (ÖLM) und dem Wiener Korporationsring, durfte Johann Gudenus in seiner „Feuerrede“ fordern: “Wir wollen Zukunft für unsere Deutsche Heimat!“. In der Rede nahm er ein „kollektives Notwehrrecht“ in Anspruch und rief zu „Widerstand“ auf angesichts einer „Dritten Türkenbelagerung.“
Im FPÖ-Blatt Neue Freie Zeitung (19/2001) wird der “Schulvereinstag” der Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM) beworben.
FPÖ-PolitikerInnen im Vorstand (auch ehemalige): Helmut Kowarik, Abgeordneter der FPÖ in Wien referierte 1982 bei der neonazistischen AFP über “100 Jahre Deutsche Schutzarbeit für Österreich”. Johann Herzog und Barbara Schöfnagel waren ebenfalls im Vorstand der als rechtsextrem eingestuften “Österreichischen Landsmannschaft” (ÖLM).
Verbindungen zur NPD
Im Dezember 2000 berichtete das DÖW über Helmut Müller (damals Schriftleiter der ÖLM-Zeitung “Eckartbote”) und seinen Besuch bei der NPD. Die NPD-Parteizeitung “Deutsche Stimme” schrieb damals Folgendes:
Zum zweiten Mal unternahm der Publizist Helmut Müller (Wien) eine Vortragsreise nach Sachsen. Der Chefredakteur der österreichischen Zeitschrift Eckartbote sprach bei den NPD-Kreisverbänden Leipzig, Meißen und Zwickau über die innenpolitische Situation in Österreich seit der Regierungsbeteiligung der nationalliberalen FPÖ.
2008 zitiert das DÖW den Spiegel, über einen möglichen “Geldfluß der NPD nach Österreich zur ÖLM?”:
Demnach führt eine Spur im aktuellen NPD-Finanzskandal nach Österreich: Demnach habe der ehemalige Schatzmeister Gelder an “drei obskure Rechtsaußen-Organisationen mit engen NPD-Kontakten” überwiesen. Genannt wird neben dem Tiroler Heimatbund und der Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer von Erhard Hartung die Österreichische Landsmannschaft (ÖLM).
Heinz Mayer, die ÖLM und die neonazistische AFP
Ebenfalls dort Unterschlupf fand die neonazistische “Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik” (AFP). Im Verfassungsschutzbericht 2007 fand sich folgendes Urteil über die AFP: „Die ungebrochen eine ausgeprägte Affinität zum Nationalsozialismus aufweisende AfP ist weiterhin als aktivstes und größtes Sammelbecken der rechtsextremen Szene in Österreich einzustufen.”
Im ehemaligen Forum der Neonazi-Truppe „alpen-donau.info” wird das AFP-Heim als Treffpunkt für die Abfahrt zu einer Nazi-Demonstration nach Dresden beworben
Ein Streit innerhalb des Fritz-Stüber-Heim (Lokal der AFP) eskalierte und führte schlussendlich zum Rauswurf der AFP. Unter dem Titel „Treffpunkt Kultur” veranstaltet die AFP Treffen im Schulvereinshaus der “Österreichischen Landsmannschaft”.
Heinz Mayer, also einer der Unterzeichner des Offenen Brief, verfasste ein wegweisendes und viel beachtetes Gutachten über die AFP, in dem er auf den neonazistischen Charakter der AFP hinwies:
Sie (die im Rechtsgutachten analysierten Äußerungen, Anm.) belegen, dass die von der AFP zu verantwortenden Publikationen seit Jahrzehnten massiv gegen die Bestimmungen des Verbotsgesetzes verstoßen. Offenkundige und verbrämte Verherrlichung nationalsozialistischer Ideen und Maßnahmen, zynische Leugnung von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen, eine hetzerische Sprache mit deutlich aggressivem Ton gegen Ausländer, Juden und “Volksfremde” sowie eine Darstellung “des Deutschen” als Opfer sind typische und stets wiederkehrende Signale.
Reaktionärer Backlash
Nicht erst seit den letzten Wochen ist es klar: Wir leben in einer Zeit des Backlash. Es ist nicht der erste und wird nicht der Letzte sein. In den 1950er-Jahren entwickelte sich ein Backlash gegen die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung. Auch in den 1960er-Jahren kam es in den USA zu einen Backlash, als Lyndon B. Johnson festlegte, dass staatliche und staatlich finanzierte Arbeitgeber Personen nicht mehr wegen ihrer Hautfarbe und Ethnizität diskriminieren dürfen und Maßnahmen ergreifen müssen, um Chancengleichheit sicherzustellen. Heute stellen nur noch die Ewiggestrigen diese Maßnahmen in Frage.
Frauenwahlrechtsgegner
Auch antifeministische Backlashs waren in der Geschichte regelmäßig zu verzeichnen. Laut Susan Faludi, eine US-amerikanische Journalistin, war dies in der Mitte des 19. Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende, sowie in den 1940er- und 1970er-Jahren. Dem Feminismus seien die meisten sozialen Probleme sowie Mythen wie der „weibliche Burnout“, die „Krise der Unfruchtbarkeit“ und der „Mangel an heiratsfähigen Männern“, angelastet worden. (Quelle: Wikipedia) In den 1990ern war der Diskurs ebenfalls durch einen antifeministischen Backlash gekennzeichnet. Nach Simon Möller, Sozialwissenschaftler und Politologe, habe dieser Backlash die Anti-Politische Korrektheits-(PC)-Rhetorik und insbesondere das medial konstruierte Feindbild eines angeblich übermächtigen, lustfeindlichen und „politisch korrekten“ Feminismus sowie das vermeintliche Phänomen einer „sexuellen Korrektheit“ (SC) instrumentalisiert. (Quelle: Wikipedia)
Bürgerlich-konservative Werte und deren Extremisierung
Es sollte nicht weiter verwundern, dass RechtsextremistInnen als SprachbewahrerInnen, als BewahrerInnen von Traditionen, Werten auftreten. In deren Weltbild sind diese Werte keinem gesellschaftlichen Prozess unterworfen, sondern gehorchen einer „natürlichen Ordnung”. Diese Ordnung ist biologisch determiniert. In aufsteigender Form sind Mensch – Familie – Volk in diesem Weltbild die natürliche Ordnung. Der Mensch an sich hat sich unterzuordnen und schlussendlich dem Volk zu dienen (Vorstellung einer „Volksgemeinschaft”). Wird diese Ordnung gestört, ist die gesamte Gesellschaft bedroht. Feminismus (aber z.B. auch Homosexualität) wird von Rechtsextremen als (bewusster) Angriff auf die naturgewollte Ordnung verstanden. Dieser muss daher mit aller letzter Konsequenz bekämpft werden.
Wie ist es aber zu erklären, dass Personen, die sicher nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben, dagegen sogar engagierte KämpferInnen sind, auf den Zug der Rechtsextremen aufspringen? Wie kommt es, dass Konrad Paul Liessmann, Rudolf Taschner, Heinz Mayer, Klaus Albrecht Schröder oder Chris Lohner einen Brief eines Vereins unterstützen, der eindeutig aus dem rechtsextremen Eck kommt?
Bildquelle: offizin-verlag.de
In der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Rechtsextremismus (z.B. vom DÖW) wird die Rechtsextremismustheorie von Willibald Holzer angewendet. Entgegen der weit verbreiteten Totalitarismus-Theorie (angewendet z.B. von den Verfassungsschutzeinrichtungen Deutschlands und Österreichs), die von einer bipolaren Gesellschaft ausgeht, in der es zwei Extreme gibt (Links und Rechts) und eine „gute” Mitte, die diese beiden Extreme unter Kontrolle bringen und halten muss, geht die Rechtsextremismustheorie von Willibald Holzer einen anderen Weg. Einen weniger ideologisierten und wissenschaftlichen Weg.
Demnach entsteht Rechtsextremismus aus der Extremisierung bürgerlich-konservativer Wertvorstellungen, die z.B. Familie, Staat, Nation, Volk umfassen. Diese Werte ins Extrem gedacht, biologisiert mit einer angeblich naturgewollten Ordnung versehen, stellt den Nährboden für Rechtsextremismus dar. Die Ausgrenzungsmechanismen, die durch Institutionen, wie Staat, Nation, Volk entstehen, werden zu einem totalitären Staat, zur Volksgemeinschaft. Damit einher geht die Feindbildkonstruktion.
Die Verbindungspunkte zwischen Rechtsextremismus und bürgerlich-konservativer Gesellschaft sind also vorhanden. Der österreichische Verfassungsschutz bezeichnet das Phänomen als „Extremismus aus der Mitte”, also dem Phänomen, dass Nicht-RechtsextremistInnen rechtsextreme Handlungen begehen. In den Thesen der Totalitarismus-Theorie muss das widersprüchlich klingen, in Rechtsextremismustheorie von Willibald Holzer ergeben sich solche Phänomene zwangsläufig.
Trifft nun ein nicht aggressiv formulierter Text einer rechtsextremen Gruppierung auf konservative Bürgerliche, kann dabei schon einmal ein „Offener Brief zum Thema ‚Sprachliche Gleichbehandlung’ ” entstehen.
⇒ derstandard.at — Neue Aufregung um offenen Brief gegen Binnen‑I
⇒ Julya Rabinowich: Für Vaterland und Muttersprache
⇒ Steinhauser: Gendern ist für Grüne gelebte Realität
⇒ORF — Heinisch-Hosek kontert Gegnern des Genderns
⇒ VSStÖ/AKS/SJ/JG/FSG Jugend/Rote Falken: Kampf dem antifeministischen Backlash
⇒derstandard.at — Heinisch-Hosek sieht „völlig falsches Zeichen”
⇒derstandard.at — In den Genderwahn getrieben