Schenkendorf-Version – „Treuelied der SS“-Version
Der schwulstige Text, dessen Ursprung auf das Jahr 1814 zurückgeht, existiert in verschiedenen Versionen. Die Urfassung von Schenkendorf endet in der vierten und letzten Strophe mit „von Kaiser und von Reich“. Die SS adaptierte das Lied und schloss ihre Version als sogenanntes „SS-Treuelied“ mit „vom heil’gen deutschen Reich“ ab. Laut „profil.at“ (1.10.24) singt auch der Cartellverband (CV) das Lied entweder mit der Schlusszeile „von unserm Österreich“ oder „von Gottes Himmelreich“. Das ist – gelinde gesagt – problematisch. Das Lied gilt nach seiner zweifelhaften Adelung durch die Nazis als „verbrannt“, als nicht mehr verwendbar. Im Weisungsbericht 2009–14 (S. 136) des Justizministeriums ist zu den ersten zwei Zeilen des Liedes festgehalten:
Einen unzweifelhaften Bezug zum nationalsozialistischen Gedankengut weist das Zitat „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“ auf. Dieses in der rechtsnationalen Szene als Treuelied der SS bekannte Lied wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als Treuelied der Schutzstaffel der NSDAP verwendet und war auch im Liederbuch der SS enthalten.
„Verbrannt“ ist nach dem Nazi-Terror etwa auch die Swastika, die nicht mehr öffentlich verwendet werden darf. Die bei Prozessen nach dem Verbotsgesetz oftmalig vorgebrachte Rechtfertigung, das Hakenkreuz sei viel älter, verfängt nicht. Als NS-Wiederbetätigung gilt auch die öffentliche Verwendung des SS-Leitspruchs „Unsere Ehre heißt Treue“, auch in der Variante „Meine Ehre heißt Treue“.
FPÖ: unwissend und impertinent
Die FPÖ aber gibt sich unwissend. In ihrer Stellungnahme vom 1.10.24, die sie als „Klarstellung“ tituliert, wird behauptet, dass das Lied, das im Beisein der nun in den Nationlarat gewählten FPÖ-Politiker Harald Stefan, Martin Graf und Norbert Nemeth beim Begräbnis „in der 1814 von Max von Schenkendorf getexteten Form gesungen“ worden sei. Das ist unwahr, was anhand des vom „Standard“ veröffentlichten Videos zu überprüfen ist.
Zudem schreibt die FPÖ, dass es sich dabei um jene Version gehandelt habe, die „in dem bei Studentenverbindungen aller Richtungen verbreitet verwendeten ‚Allgemeinen Deutschen Kommersbuch‘“ zu finden sei.“ Auch das ist falsch. In der etwa bei Wikipedia faksimilierten Version des Allgemeinen Deutschen Kommersbuches (Ausgabe 1896 bis 1906) ist das Lied mit der Schlusszeile von Schenkendorf enthalten. In dem „Stoppt die Rechten“ vorliegenden Commersbuch der Tübinger Hochschule aus 1894 lautet die Schlusszeile ebenfalls „von Kaiser und von Reich“.
Es ist korrekt, dass die SS das Lied nur in drei Strophen gesungen hat. Ebenso ist jedoch belegt, dass der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, den ausdrücklichen Befehl gegeben hatte, das Lied von Schenkendorf „mit den die SS stets aufs Neue verpflichtenden Worten ‚und sprechen vom heiligen deutschen Reich‘ (…) stehend zu singen“ (1).
Die Auffassung der FPÖ, das Filmen der Beerdigung sei ein „höchst verwerflicher Tabubruch“ (OTS, 1.10.24), ist geradezu impertinent. Für die FPÖ ist also nicht das Absingen des Liedes in der SS-Version höchst verwerflich, sondern die Veröffentlichung dieses Vorfalls!
➡️ derstandard.at (28.9.24): FPÖ-Kandidaten bei Begräbnis, wo SS-Treuelied gesungen wird
➡️ derstandard.at (2.10.24): Ablenkungsmanöver der FPÖ in der Causa SS-Lied
Fußnote
1 Weiters befahl Himmler, (…) dass „bei jeder dienstlichen Zusammenkunft (…) in guten und schlechten Tagen“ das Lied „Wenn alle untreu werden“ gesungen werde, wobei die letzte Strophe, „mit den die SS. stets aufs neue verpflichtenden Worten : ‚Wir wollen das Wort nicht brechen und Buben werden gleich, wollen predigen und sprechen vom heiligen deutschen Reich‘ (…) stehend gesungen“ werden musste. In: Christiane Rothländer, Die Anfänger der Wiener SS. Böhlau 2012 (abrufbar unter: https://dokumen.pub/die-anfnge-der-wiener-ss-9783205791867–9783205784685.html).