Den Verfassungsschutzbericht für 2022 haben wir sehr negativ kommentiert. Wir können aber auch bei jenem für 2023 keine Entwarnung geben. Positiv im Vergleich zum Vorjahr ist höchstens, dass der Bericht der DSN umfangreicher ausgefallen ist und wieder Statistiken enthält. Die sind allerdings auch schon ein Problem!
Wie’s der Zufall will, lag der Verfassungsschutzbericht 2023 der DSN zum Zeitpunkt, als er in einer Pressekonferenz am 16. Mai präsentiert werden sollte, noch gar nicht vor. Die anwesenden Journalist*innen mussten also mehr oder minder dem vertrauen, was ihnen Innenminister Gerhard Karner, DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner und dessen Stellvertreterin Sylvia Mayer über den Bericht erzählten. Mittlerweile wissen wir: Der Bericht ist umfangreicher (170 Seiten) als jener vom Vorjahr (116 Seiten), glänzt aber trotz der wieder eingeführten Statistiken (warum fehlten sie in den Vorjahren eigentlich?) ebenfalls durch große Lücken und Mängel. Wir konzentrieren uns auf den Bereich Rechtsextremismus im Bericht.
Nichtssagende Textbausteine
Da wären einmal die immergleichen Textbausteine. Auch durch leichte Variation werden sie nicht besser. Im Vorjahr war im Bericht zu lesen: „Der Terminus Rechtsextremismus ergibt sich aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Verwendungskontexten und den damit korrespondierenden Interpretationen, mit denen er jeweils bezeichnet wird.“ Die Passage könnte gefahrlos gestrichen werden, weil sie absolut nichtssagend ist! Heuer wurde der Satz dann leicht variiert, aber um kein Jota besser: „Der Begriff ‚Rechtsextremismus‘ lässt sich nicht einheitlich definieren, da sich verschiedene gesellschaftliche Verwendungskontexte und daraus resultierend unterschiedliche Interpretationen gegenseitig bedingen.“
Böse Mängel
Im Kapitel „Linksextremismus“ wird unter dem Subkapitel „Fälle“ ein ominöser Fall „Anarcho-Primitivismus“ (S. 50f) vorgestellt, von dem es zunächst einmal heißt, dass er „per se keiner Gruppierung eindeutig zuordenbar“ sei. Dann wird beschrieben, dass der Beschuldigte „Waffen- und Bombenbauanleitungen auf rechtsextremen und islamistischen Webseiten verbreitet, Chemikalien gekauft und ein Manifest geschrieben“ habe – und das wird im Bericht unter Linksextremismus geführt!
Foul an den Klima-Aktivist*innen
Viel ärger aber ist, wie mit den Klima-Aktivist*innen umgegangen wird. Da wird im Bericht zunächst ziemlich differenziert festgehalten, dass es zwischen den Klimaaktivist*innen und den Linksextremen nur vereinzelte Berührungspunkte gibt, die Klimaschutzbewegung sich aber durch absolute Gewaltfreiheit auszeichne – Klimaschutzbewegungen daher nicht „per se als linksextrem zu bewerten sind“ (S. 49).
Was macht der Bericht aber dann in der Statistik? Um die erfreulich magere Bilanz bei linksextremen Straftaten aufzufetten, wurden die Tathandlungen von Klimaaktivist*innen (123 Anzeigen nach dem Versammlungsgesetz, der Straßenverkehrsordnung und dem Sicherheitspolizeigesetz) einfach den Linksextremen zugeschlagen, sodass in der Summe ein Zuwachs statt eines Rückgangs zu melden ist.
Bei der Pressekonferenz (ohne Bericht) konnte der Innenminister daher aus seinem vollen Inneren schöpfen und von „gewaltbereiten und radikalen“ (orf.at, 16.5.24) Klimaaktivist*innen und über 1.000 Festnahmen schwurbeln.
Verfassungsschutzbericht zur Klimaschutzbewegung (S. 49)
Grundsätzlich bestehen vereinzelte Gemeinsamkeiten in der Argumentationslinie zwischen Klimaschutzbewegungen und der linksextremen, gewaltbereiten Szene, beispielsweise in der Ablehnung des kapitalistischen Systems oder der Kritik an politischen Entscheidungen. Dem gegenüber stehen jedoch wesentliche und nicht vernachlässig- bare Unterschiede, wie die entschiedene Ablehnung des Einsatzes von Gewalt gegen Menschen. Diese Einstellung der Gewaltfreiheit wird von den in Österreich präsenten zivilgesellschaftlichen Klimaschutzbewegungen wie „Last Generation“, „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“ getragen. Dieser Grundsatz wurde bis dato auch nicht gebrochen, woraus die Einschätzung resultiert, dass linksextreme Aktivistinnen und Aktivisten und Gruppierungen das Thema Klimaschutz vereinzelt vereinnahmen und missbrauchen, nicht jedoch, dass Klimaschutzbewegungen per se als linksextrem zu bewerten sind.
Unpolitische Extremisten?
Ganz anders geht die DSN bei ihrer Einschätzung der Staatsverweigerer vor. Gerade weil vielen der auch im Bericht vermerkten Charakteristika dieser Gruppierungen zuzustimmen ist (Ablehnung demokratischer Strukturen, Antipluralismus, Gewaltbereitschaft, Verschwörungserzählungen und Antisemitismus, auch Holocaustleugnung), wäre es mehr als berechtigt, die Frage zu stellen, ob diese Szene nicht unter Rechtsextremismus einzuordnen ist. Dass der Bericht die Xenophobie dieser Gruppierungen unter „Migrationskritik“ (S. 37) verbucht, ist absolut inakzeptabel. Die Einordnung zwischen Rechts- und Linksextremismus führt nicht zuletzt dazu, dass die politischen Gefahren, die aus der Szene drohen, öffentlich kaum noch wahrgenommen werden. Würden diese Straftaten ganz oder teilweise dem Rechtsextremismus zugeordnet, so wäre das von dort ausgehende Bedrohungspotenzial um einiges dramatischer.
Linksesoteriker?
Ohne das näher auszuführen oder zu begründen, spricht der Bericht in diesem Zusammenhang auch von einer Szene, die von „Rechtsaußen bis zu linken Esoterikerinnen und Esoterikern“ reichen soll. Linke Esoteriker*innen? Vielleicht gibt es wirklich irgendwo solche Exoten – bisher wurden sie weder von uns noch in der Fachliteratur gesichtet. Was es gibt, ist eine Esoterikszene, von der große Teile in den letzten Jahren ins rechtsextreme Eck abgerutscht sind. Das wurde etwa auch von der Bundesstelle für Sektenfragen sehr detail- und kenntnisreich in ihren jüngsten Jahresberichten bzw. im Bericht über Verschwörungsideologien beschrieben. Vielleicht sollten sich die Autor*innen des Verfassungsschutzberichts erst dort kundig machen, bevor sie ohne jegliche Evidenz einen Aufguss der Hufeisentheorie zum Besten geben.
ÖVP-Narrativ?
Das Narrativ der ÖVP erzählt die Geschichte einer Partei, die immer den vernünftigen Standpunkt in der Mitte zwischen den Extremen findet. Dabei blendet sie aus, dass sie selbst deutlich nach Rechts gekippt ist. Im Bericht der DSN finden sich die Spuren dieser Erzählung. Etwa, wenn xenophobe Hetze als „Migrationskritik“ verharmlost wird, wenn von linker Esoterik geschrieben wird, weil sie in die Hufeisenerzählung passt, nicht aber, weil sie existieren würde oder auch, wenn Klimaaktivist*innen dem Linksextremismus zugerechnet werden, obwohl der Bericht selbst das Gegenteil feststellt.
Die riesigen Lücken
Eine ernsthafte Debatte würde auch die sehr schematische Trennung im Bericht zwischen alten und neuen Rechten erfordern. Die hervorragenden Recherchen der Kolleg*innen von „Österreich Rechtsaußen” (ÖRA) zur Kampfsportszene in Österreich zeigen doch gerade, wie fluid diese Grenzen sind.
Generell erhält man den Eindruck, dass der Bericht nur das irgendwie erwähnt, was unvermeidbar bzw. schon längst bekannt ist. So wird ein einziges Mal sehr dezent darauf hingewiesen, dass es personelle Überschneidung zwischen „Neuer Rechter“, besonders den Identitären, und freiheitlichen Organisationen gibt, wobei die Erwähnung der FPÖ ein Novum darstellt. Erwähnt wird die „Remigrationstour 2023“ der Identitären in Oberösterreich. Dass diese Tour einen gleichnamigen Vorgänger im Jahr 2022 durch die Freiheitliche Jugend hat, die damit für die Identitären den braunen Boden aufbereitet hatte, fehlt allerdings.
Die diversen Siedler‑, Stützpunkt und Schulprojekte in der rechtsextremen Szene – es gibt sie nicht im Bericht! Eher zufällig werden drei rechtsextreme Medien namentlich genannt. Dass es im schwarzblauen Oberösterreich einen regelrechten rechtsextremen Mediencluster gibt, der auch Finanziers braucht und offenbar hat, wird nicht analysiert.
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der größte Waffenfund der letzten Jahre mit Neonazis von Objekt 21 und den Bandidos nicht einmal mit einer Silbe erwähnt wird, obwohl man an ihm die engen Verbindungen von Rechtsextremen mit bestimmten Rockerklubs, dem Rotlicht und der Drogenszene abarbeiten könnte.
Dann gibt es noch die von der DSN selbst angeleierte Großrazzia im Mai 2023 in allen Bundesländern in der rechtsextremen Szene. Nach den Medienberichten hatte die eher den Charakter einer Routineoperation, damit Neonazis wissen, dass es den Verfassungsschutz gibt. Bei dieser „Schwerpunktaktion“, die sich gegen insgesamt zehn Personen richtete, wurden „Waffen, Munition, Datenträger und NS-Devotionalien“ sichergestellt. Im Bericht findet auch dieser „Großeinsatz“ (Standard, 10.5.23) keinerlei Erwähnung.
Schlampereien im Bericht
Weiter hinten im Bericht, im Kapitel „Internationaler illegaler Waffenhandel und Proliferation“, in dem der Rechtsextremismus konsequent ausgespart wurde, der dabei jedoch eine nicht unwesentliche Rolle spielt, wird ein Fall „Illegaler Besitz von Schusswaffen“ vorgestellt, der in mehreren Bundesländern spielt und von einer nicht unbedeutenden Menge Waffen handelt, die sichergestellt werden konnten (S.131f). Das Problem in der Darstellung: Die zeitliche Abfolge passt überhaupt nicht. Im Juni 23 kam man angeblich über eine freiwillige Nachschau bei einem Tiroler dem Waffenhandel auf die Spur. Darauf folgten angeblich im April 23 eine Hausdurchsuchung und im August elf weitere. Und dann legt man den Bericht verärgert weg.