Was den Rechtsextremismusbericht betrifft, wird die weitere Verzögerung damit begründet, dass man vergessen habe, den Auftrag nach dem Vergabegesetz auszuschreiben. So hat man zwar schon im Vorjahr das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) damit beauftragt, dann die Vergabe aber wieder gestoppt. „Dass der Bericht wie geplant im Oktober veröffentlicht wird, scheint angesichts der Dauer solcher Verfahren eher unwahrscheinlich“, schreiben die „Salzburger Nachrichten“ (21.2.22). Auch der Sicherheitsbericht für 2020 fehlt noch, obwohl der gesetzlich vorgeschrieben bereits im Vorjahr erscheinen hätte müssen.
Kommen wir zum Verfassungsschutzbericht, über den zu berichten noch unerfreulicher ist. Das beginnt mit dem verschnarchten Erscheinungstermin und geht weiter mit dem Versteckspiel, wie und wo der Bericht zu finden ist. Auf der Homepage des Innenministeriums (bmi.gv.at) sind die Verfassungsschutzberichte seit Jahren in der oberen Leiste unter „Downloads“ und dort weiter unter „Statistiken“ zu finden. Klickt man dort „Staats- und Verfassungsschutzberichte“ an, landet man aber bei Fehler 404 „File or directory not found“.
Der Grund: Seit 1. Dezember 2021 heißt das zuständige Amt für den Bericht nicht mehr „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“ (BVT), sondern „Direktion Staatsschutz & Nachrichtendienst“ (DSN). Den Verfassungsschutzbericht hat zwar noch das BVT zu verantworten, aber das gibt es nicht mehr ja und die DSN, über deren Homepage (dsn.gv.at) die Verfassungsschutzberichte tatsächlich abrufbar sind, ist über die Download-Seite des BMI nicht auffindbar.
Wenn‘s nur das wäre! Innenminister Karl Nehammer, der seit Dezember ebenfalls in anderer Funktion tätig ist, durfte noch das Vorwort zum Bericht schreiben. Da heißt es im Schlusssatz über den Bericht: „Er wird daher im kommenden Jahr in anderer, neu strukturierter Form vorliegen und dem berechtigten Interesse an valider Information noch mehr Rechnung tragen.“ Valide Information? Noch mehr? Ein zynischer Scherz des alten Innenministers zum Abschied! More of the same wäre richtiger gewesen. Wir beschäftigen uns ja vorzugsweise mit dem Kapitel Rechtsextremismus, das auf seinen dürren 10 Seiten etliche Absätze einfach aus dem Bericht 2019 abschreibt. Auf diese Weise kann man natürlich auch Seiten füllen. Gibt’s dafür ein Zeilenhonorar?
So unerquicklich und fad es ist, dem Verfassungsschutz beim Abschreiben über die Schulter zu schauen, der Rest, also das, was nicht abgeschrieben ist, ist auch nicht besser, sondern vor allem dort höchst problematisch, wo nicht genau hingeschaut bzw. verschwiegen wird.
Im dünnen Kapitel „Covid-19-Maßnahmen-Kundgebungen“ wird der „Identitären Bewegung“ (IBÖ) und ihrer Erwachsenenabteilung „Die Österreicher“ (DO5) eine zentrale Rolle in dieser Bewegung zugeschrieben, die vielleicht der Selbstdarstellung von Sellner und Co entspricht, aber unserer Einschätzung nach so nicht stimmt. Die Identitären waren zwar bei den Demos präsent, vor allem mit übergroßen Transparenten, aber bei den Redner*innen spielten sie kaum eine Rolle. Da waren die Neonazis mit ihrer „Querfront“ und andere Rechtsextreme fixer, die im Übrigen in ihren alten Formationen ein Revival erlebten. Auch das ist dem Verfassungsschutz kein Wort wert.
Aber wenn man schon die These von der zentralen Rolle der Identitären ernst nehmen will, warum steht dann kein Wort über die deutliche Annäherung der FPÖ an die Identitären im Bericht? 202O ist die FPÖ zwar noch nicht wie im Jahr darauf selbst als Demo-Organisatorin und mit Redner*nnen aufgetreten, aber die ideologische Annäherung zwischen Identitären und Freiheitlichen wurde auch im Feld der Corona-Politik vollzogen – und schließlich gab es da noch im Spätherbst 2020 die Erklärung des FPÖ-Generalsekretärs in einem rechtsextremen Blättchen, wonach es „mit dieser Distanziererei jetzt endgültig vorbei“ sei. Für den Verfassungsschutz kein Thema.
Ebenfalls kein Thema im Bericht – und da wird das Schweigen extrem problematisch! – ist die massive Aufrüstung (und der Waffenhandel) der rechtsextremen und neonazistischen Szene mit Waffen aller Art, die in den Jahren 2020 und 2021 neue Dimensionen erreichte.
Hat der Umstand, dass ein amtsbekannter Neonazi ausgerechnet im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum BVT 2018 als Security Dienst schieben konnte, eigentlich zu einer Aufarbeitung, zu Konsequenzen oder gar zu Reflexionen über das Security-Gewerbe geführt, in dem sich nicht zufällig immer wieder Rechtsextreme tummeln? In den Berichten des BVT seit 2018 ist nichts davon zu lesen.
In einer Nebenbemerkung erfahren wir, dass 2020 „Kampfsportveranstaltungen und Konzerte im rechtsextremistischen Spektrum, die z.B. im benachbarten Ausland stattfinden hätten sollen“, wegen Corona abgesagt wurden. Heißt das, dass Rechtsextreme und Neonazis das Kampfsporttraining aufgegeben haben und stattdessen kochen und ihre Kinder betreuen? Wie schaut’s aus in den diversen Kampfsportzentren, auch in denen des nahen Auslands?
Gern hätten wir auch etwas erfahren über die immer wieder aufblitzenden Beziehungen heimischer Rechtsextremer zu rechtsextremen Terrorgruppen, vorwiegend in Deutschland. Auch der Umstand, dass die deutsche neonazistische Gruppe „III. Weg“ 2020 in Ostösterreich aufgetreten ist , findet keine Erwähnung.
Dafür die Wiederholung des rechtsgestrickten Topos, wonach sich der Rechts- und der Linksextremismus gegenseitig aufschaukeln würden. Schlussfolgerung: Wenn die Linken endlich mit ihrem Antifaschismus aufhören würden, wäre der Rechtsextremismus kein Problem. Diese Unsäglichkeit gipfelt in der Bemerkung: „Zudem ist evident, dass linksextremistische Akteure (…) zunehmend eine Position als kritische Beobachter der Anti-COVID-19-Sammelbewegungen – insbesondere in Hinblick auf das Agieren von rechtsextremen Kreisen innerhalb dieser Bewegungen – eingenommen haben.“ (S. 30)
Es kommt aber noch ärger: Die wenigen und friedlichen Protestkundgebungen der „Black Lives Matter“-Bewegung in Österreich werden umstandslos dem Linksextremismus zugeschlagen. Das verrät ebenso viel über den ideologischen Standpunkt der Verfassungsschützer wie die dann wieder kleinlaut zurückgezogene Bewertung der „Omas gegen Rechts“ als „linksextrem“ durch den oberösterreichischen Verfassungsschutz Anfang 2020.
Wir ziehen deshalb den Schluss, dass der Verfassungsschutz, egal, ob er als BVT, LVT oder DSN daherkommt, eine sorgfältige Beobachtung braucht.