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Oje, der Bericht des BVT!

Der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt für das Jahr 2020 ist in der letz­ten Woche erschie­nen. Im Febru­ar 2022! Also deut­lich spä­ter als in den Jah­ren zuvor. Dafür noch dün­ner – inhalt­lich gese­hen. Der geplan­te Rechts­extre­mis­mus­be­richt, der im Regie­rungs­pro­gramm von Tür­kis-Grün steht, ver­zö­gert sich dafür wei­ter. Zunächst heißt das: das Schlech­tes­te aus zwei Berichts­wel­ten! Was den Rechts­extre­mis­mus­be­richt betrifft, wird […]

23. Feb 2022

Was den Rechts­extre­mis­mus­be­richt betrifft, wird die wei­te­re Ver­zö­ge­rung damit begrün­det, dass man ver­ges­sen habe, den Auf­trag nach dem Ver­ga­be­ge­setz aus­zu­schrei­ben.  So hat man zwar schon im Vor­jahr das Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des Öster­rei­chi­schen Wider­stands (DÖW) damit beauf­tragt, dann die Ver­ga­be aber wie­der gestoppt. „Dass der Bericht wie geplant im Okto­ber ver­öf­fent­licht wird, scheint ange­sichts der Dau­er sol­cher Ver­fah­ren eher unwahr­schein­lich“, schrei­ben die „Salz­bur­ger Nach­rich­ten“ (21.2.22). Auch der Sicher­heits­be­richt für 2020 fehlt noch, obwohl der gesetz­lich vor­ge­schrie­ben bereits im Vor­jahr erschei­nen hät­te müssen.

Kom­men wir zum Ver­fas­sungs­schutz­be­richt, über den zu berich­ten noch uner­freu­li­cher ist. Das beginnt mit dem ver­schnarch­ten Erschei­nungs­ter­min und geht wei­ter mit dem Ver­steck­spiel, wie und wo der Bericht zu fin­den ist. Auf der Home­page des Innen­mi­nis­te­ri­ums (bmi.gv.at) sind die Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­te seit Jah­ren in der obe­ren Leis­te unter „Down­loads“ und dort wei­ter unter „Sta­tis­ti­ken“ zu fin­den. Klickt man dort „Staats- und Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­te“ an, lan­det man aber bei Feh­ler 404 „File or direc­to­ry not found“.

Verfassungsschutzbericht auf der Website des Innenministeriums: File not found
Ver­fas­sungs­schutz­be­richt auf der Web­site des Innen­mi­nis­te­ri­ums: File not found

Der Grund: Seit 1. Dezem­ber 2021 heißt das zustän­di­ge Amt für den Bericht nicht mehr „Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung“ (BVT), son­dern „Direk­ti­on Staats­schutz & Nach­rich­ten­dienst“ (DSN). Den Ver­fas­sungs­schutz­be­richt hat zwar noch das BVT zu ver­ant­wor­ten, aber das gibt es nicht mehr ja und die DSN, über deren Home­page (dsn.gv.at) die Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­te tat­säch­lich abruf­bar sind, ist über die Down­load-Sei­te des BMI nicht auffindbar.

Wenn‘s nur das wäre! Innen­mi­nis­ter Karl Neham­mer, der seit Dezem­ber eben­falls in ande­rer Funk­ti­on tätig ist, durf­te noch das Vor­wort zum Bericht schrei­ben. Da heißt es im Schluss­satz über den Bericht: „Er wird daher im kom­men­den Jahr in ande­rer, neu struk­tu­rier­ter Form vor­lie­gen und dem berech­tig­ten Inter­es­se an vali­der Infor­ma­ti­on noch mehr Rech­nung tra­gen.“ Vali­de Infor­ma­ti­on? Noch mehr? Ein zyni­scher Scherz des alten Innen­mi­nis­ters zum Abschied! More of the same wäre rich­ti­ger gewe­sen. Wir beschäf­ti­gen uns ja vor­zugs­wei­se mit dem Kapi­tel Rechts­extre­mis­mus, das auf sei­nen dür­ren 10 Sei­ten etli­che Absät­ze ein­fach aus dem Bericht 2019 abschreibt. Auf die­se Wei­se kann man natür­lich auch Sei­ten fül­len. Gibt’s dafür ein Zeilenhonorar?

Bericht 2019: Definition Rehctsextremismus
Bericht 2019: Defi­ni­ti­on Rechtsextremismus
Bericht 2020: Definition Rehctsextremismus
Bericht 2020: Defi­ni­ti­on Rechtsextremismus
Bericht 2019: Lagebild
Bericht 2019: Lagebild
Bericht 2020: Lagebild
Bericht 2020: Lagebild

So uner­quick­lich und fad es ist, dem Ver­fas­sungs­schutz beim Abschrei­ben über die Schul­ter zu schau­en, der Rest, also das, was nicht abge­schrie­ben ist, ist auch nicht bes­ser, son­dern vor allem dort höchst pro­ble­ma­tisch, wo nicht genau hin­ge­schaut bzw. ver­schwie­gen wird.

Im dün­nen Kapi­tel „Covid-19-Maß­nah­men-Kund­ge­bun­gen“ wird der „Iden­ti­tä­ren Bewe­gung“ (IBÖ) und ihrer Erwach­se­nen­ab­tei­lung „Die Öster­rei­cher“ (DO5) eine zen­tra­le Rol­le in die­ser Bewe­gung zuge­schrie­ben, die viel­leicht der Selbst­dar­stel­lung von Sell­ner und Co ent­spricht, aber unse­rer Ein­schät­zung nach so nicht stimmt. Die Iden­ti­tä­ren waren zwar bei den Demos prä­sent, vor allem mit über­gro­ßen Trans­pa­ren­ten, aber bei den Redner*innen spiel­ten sie kaum eine Rol­le. Da waren die Neo­na­zis mit ihrer „Quer­front“ und ande­re Rechts­extre­me fixer, die im Übri­gen in ihren alten For­ma­tio­nen ein Revi­val erleb­ten. Auch das ist dem Ver­fas­sungs­schutz kein Wort wert.

Aber wenn man schon die The­se von der zen­tra­len Rol­le der Iden­ti­tä­ren ernst neh­men will, war­um steht dann kein Wort über die deut­li­che Annä­he­rung der FPÖ an die Iden­ti­tä­ren im Bericht? 202O ist die FPÖ zwar noch nicht wie im Jahr dar­auf selbst als Demo-Orga­ni­sa­to­rin und mit Redner*nnen auf­ge­tre­ten, aber die ideo­lo­gi­sche Annä­he­rung zwi­schen Iden­ti­tä­ren und Frei­heit­li­chen wur­de auch im Feld der Coro­na-Poli­tik voll­zo­gen – und schließ­lich gab es da noch im Spät­herbst 2020 die Erklä­rung des FPÖ-Gene­ral­se­kre­tärs in einem rechts­extre­men Blätt­chen, wonach es „mit die­ser Distan­zie­re­rei jetzt end­gül­tig vor­bei“ sei. Für den Ver­fas­sungs­schutz kein Thema.

Eben­falls kein The­ma im Bericht – und da wird das Schwei­gen extrem pro­ble­ma­tisch! – ist die mas­si­ve Auf­rüs­tung (und der Waf­fen­han­del) der rechts­extre­men und neo­na­zis­ti­schen Sze­ne mit Waf­fen aller Art, die in den Jah­ren 2020 und 2021 neue Dimen­sio­nen erreichte.

Hat der Umstand, dass ein amts­be­kann­ter Neo­na­zi aus­ge­rech­net im par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schuss zum BVT 2018 als Secu­ri­ty Dienst schie­ben konn­te, eigent­lich zu einer Auf­ar­bei­tung, zu Kon­se­quen­zen oder gar zu Refle­xio­nen über das Secu­ri­ty-Gewer­be geführt, in dem sich nicht zufäl­lig immer wie­der Rechts­extre­me tum­meln? In den Berich­ten des BVT seit 2018 ist nichts davon zu lesen.

In einer Neben­be­mer­kung erfah­ren wir, dass 2020 „Kampf­sport­ver­an­stal­tun­gen und Kon­zer­te im rechts­extre­mis­ti­schen Spek­trum, die z.B. im benach­bar­ten Aus­land statt­fin­den hät­ten sol­len“, wegen Coro­na abge­sagt wur­den. Heißt das, dass Rechts­extre­me und Neo­na­zis das Kampf­sport­trai­ning auf­ge­ge­ben haben und statt­des­sen kochen und ihre Kin­der betreu­en? Wie schaut’s aus in den diver­sen Kampf­sport­zen­tren, auch in denen des nahen Auslands?

Gern hät­ten wir auch etwas erfah­ren über die immer wie­der auf­blit­zen­den Bezie­hun­gen hei­mi­scher Rechts­extre­mer zu rechts­extre­men Ter­ror­grup­pen, vor­wie­gend in Deutsch­land. Auch der Umstand, dass die deut­sche neo­na­zis­ti­sche Grup­pe „III. Weg“ 2020 in Ost­ös­ter­reich auf­ge­tre­ten ist , fin­det kei­ne Erwähnung.

Dafür die Wie­der­ho­lung des rechts­ge­strick­ten Topos, wonach sich der Rechts- und der Links­extre­mis­mus gegen­sei­tig auf­schau­keln wür­den. Schluss­fol­ge­rung: Wenn die Lin­ken end­lich mit ihrem Anti­fa­schis­mus auf­hö­ren wür­den, wäre der Rechts­extre­mis­mus kein Pro­blem. Die­se Unsäg­lich­keit gip­felt in der Bemer­kung: Zudem ist evi­dent, dass links­extre­mis­ti­sche Akteu­re (…) zuneh­mend eine Posi­ti­on als kri­ti­sche Beob­ach­ter der Anti-COVID-19-Sam­mel­be­we­gun­gen – ins­be­son­de­re in Hin­blick auf das Agie­ren von rechts­extre­men Krei­sen inner­halb die­ser Bewe­gun­gen – ein­ge­nom­men haben.“ (S. 30)

Es kommt aber noch ärger: Die weni­gen und fried­li­chen Pro­test­kund­ge­bun­gen der „Black Lives Matter“-Bewegung in Öster­reich wer­den umstands­los dem Links­extre­mis­mus zuge­schla­gen. Das ver­rät eben­so viel über den ideo­lo­gi­schen Stand­punkt der Ver­fas­sungs­schüt­zer wie die dann wie­der klein­laut zurück­ge­zo­ge­ne Bewer­tung der „Omas gegen Rechts“ als „links­extrem“ durch den ober­ös­ter­rei­chi­schen Ver­fas­sungs­schutz Anfang 2020.

Wir zie­hen des­halb den Schluss, dass der Ver­fas­sungs­schutz, egal, ob er als BVT, LVT oder DSN daher­kommt, eine sorg­fäl­ti­ge Beob­ach­tung braucht.