Scheuch soll am Eingangstor eines Grundstückes in Möllbrücke (Lurnfeld; Bez. Spittal an der Drau), das jeweils zur Hälfte ihm und seinem Bruder Uwe Scheuch gehört, gleich drei Runen angebracht haben, die eindeutige Bezüge zu nationalsozialistischen Einheiten und Organisationen aufweisen. So fand die Wolfsangel-Rune als Adjutantenzeichen der HJ und in der 2. SS-Panzerdivision Verwendung, die Sig-Rune als Erkennungszeichen der SS ist neben dem Hakenkreuz wohl ohnehin das bekannteste Symbol der Nazis, und die Odal-Rune freute sich nebst der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ auch in der Reichsbauernschaft großer Beliebtheit, steht sie in der NS-Ideologie doch für „Blut und Boden“. Diese drei Symbole zierten das hölzerne Eingangstor direkt neben dem Drau-Radweg in Möllbrücke, bis die Grüne Nationalratsabgeordnete Olga Voglauer Anzeige nach dem Abzeichen- und Verbotsgesetz bei der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau einbrachte. Das war im November 2020. Mittlerweile wurden die Symbole am Eingangstor entfernt. Nicht entfernt wurden sie jedoch an einem Holzbalken auf einem Turm hinter dem Tor, wie vor kurzem bekannt wurde.
Am Mittwoch sollte nun nach einigem Hin und Her zwischen Staatsanwaltschaft Klagenfurt und Oberstaatsanwaltschaft Graz geprüft werden, ob Scheuch nicht nur gegen das Abzeichengesetz verstoßen, sondern auch in propagandistischer Absicht nationalsozialistische Symbole öffentlich zur Schau gestellt hat. Immerhin ist Kurt Scheuch einiges zuzutrauen. Er kommt aus einer deutschnationalen Großbauernfamilie, sein Großvater Robert trat 1938 in die NSDAP ein, war Sektionschef im NS-Landwirtschaftsministerium und später Gründungsmitglied der FPÖ-Vorläuferorganisation „Verband der Unabhängigen“ (VdU), der als Sammelbecken für ehemalige Nazis galt. Kurt selbst engagierte sich gemeinsam mit seinem Bruder Uwe in der FPÖ, war als „Reißwolf“ von Knittelfeld am parteiinternen Putsch gegen Schwarz-Blau I beteiligt, galt als Getreuer von Jörg Haider und stieg nach dessen Unfalltod zum Landeshauptmann-Vize und FPK-Klubobmann auf, bevor er 2013 den Parteivorsitz zurücklegte und aus der Politik ausschied. 2013 kam er mit einer Diversion davon, nachdem er jenen Richter, der seinen Bruder in der „Part of the Game“-Affäre“ in erster Instanz verurteilt hatte, unter anderem als „Kröte“ titulierte. Seine Beschimpfungen rechtfertigte er dann vor Gericht in antisemitischer Tradition damit, dass das Urteil gegen seinen Bruder seiner Ansicht nach von den „Freimaurern“ beschlossen worden sei.
Abstruse Runenstunden zum Prozessbeginn
Doch jetzt zum Ablauf des Prozesses: Der zuständige Staatsanwalt Christian Pirker führt wie in der Anklageschrift festgehalten aus, dass die verwendeten Runen eindeutigen Bezug zum Nationalsozialismus und seiner Organisationen aufweisen und dass sie von Scheuch öffentlich wahrnehmbar angebracht wurden. Dass es Scheuch selbst war, der diese Runen am Zaun und am Turm auf seinem Grundstück angebracht hat, streitet der auch keineswegs ab. Der Staatsanwalt legt dar, dass eine flotte Internetrecherche ausreiche, um über den Bedeutungsinhalt der verwendeten Runen aufgeklärt zu werden. Die Odal-Rune fand auch in der NS-Agrarpolitik Verwendung, sie sollte an allen Reichserbhöfen am Giebel angebracht werden. Dazu wurde auch ein Sachverständigen-Gutachten in Auftrag gegeben, in dem ein Wiener Zeithistoriker die Bedeutung der verwendeten Runen durch die Geschichte hindurch erklärte und darauf hinwies, dass sie vor allem Im Nationalsozialismus ihren eigentlichen gegenwartsbezogenen Bedeutungsinhalt erlangten. Der Gutachter hätte auch vor Gericht seine Expertise schildern sollen, erschien jedoch nicht, da ihm scheinbar die Ladung nicht zugestellt worden war.
Nach dem Staatsanwalt ergreift der Verteidiger das Wort. Bei ihm handelt sich auch um keinen Unbekannten, sondern um den ehemaligen FPÖ-Landtagsageordneten Christian Leyroutz. Für ihn stellt sich die Sache naturgemäß völlig anders dar. Der Angeklagte werde schon seit Wochen in den Medien vorverurteilt, seine Persönlichkeitsrechte seien verletzt worden. Und das alles nur, um mit einer Anklage klare politische Interessen zu verfolgen, die anzeigende Partei sei schließlich eine Grüne Nationalratsabgeordnete. Und ohnehin würde es eine Weisung der Grünen Justizministerin geben, alle Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz anzuklagen.
Leyroutz fährt ungebremst mit seinem Verschwörungsdenken fort: Auch der Gutachter sei befangen, war er doch Mitglied in der Sozialistischen Jugend und engagiere sich im Mauthausen Komitee. Alles links-linke Marxisten und natürliche Feinde der FPÖ, wie der Verteidiger das Gericht wissen lässt. Außerdem werden Tweets des Gutachters vorgehalten, in denen er sich als Freund der slowenischen Sprache zu erkennen gibt. Deshalb stelle er den Antrag auf den Ausschluss des Gutachters aus dem Verfahren. Dem Wunsch kommt die Richterin Sabine Götz entgegen: Da der Gutachter ohnehin nicht da sei, könne man die Verhandlung auch gleich ohne ihn fortführen. Staatsanwaltschaft und Verteidiger willigen ein. Den Geschworenen soll aber nicht nur das Gutachten des Zeithistorikers schriftlich mitgegeben werden, sondern auch eine Stellungnahme eines Privatgutachtens, das von der Verteidigung in Auftrag gegeben wurde. Mit dem Privatgutachten wurde der deutsche Rechtsextremist Karlheinz Weißmann beauftragt, der sich offenbar auch als Runenforscher verdingt. Weißmann, der im Jahr 2000 zusammen mit Götz Kubitschek das „Institut für Staatspolitik“ begründete, wird zu den Vordenkern der „neurechten“ Szene gezählt.
Weißmanns Programm einer Renationalisierung des deutschen Geschichtsbewusstseins beurteilen verschiedene Wissenschaftler als Geschichtsrevisionismus. Der Historiker Alexander Ruoff kritisierte vielfältige „relativierende Äußerungen“ Weißmanns über die NS-Zeit als „Trivialisierung des Holocaust“. (de.wikipedia.org)
Der Verteidiger versucht sich weiter in der Irreführung der Geschworenen: Die Runen hätten nur einen persönlichen Bezug zu den Angeklagten. Das seien für sich genommen auch ganz andere Symbole als die Nazi-Runen. Außerdem würden doch alle diese Runen verwenden, von der XXXLutz-Werbung über die Wiener S‑Bahn bis zur Kulturindustrie. Und denen werde auch nicht der Prozess gemacht. Die Runen am Zaun und am Turm seien, wenn man ganz genau hinschaut, ohnehin nur mit dem Fernglas sichtbar.
Von nichts gewusst: Die historischen Wissenslücken des Angeklagten
Nun kann sich endlich der Angeklagte Kurt Scheuch selbst erklären, die letzten drei Jahre, seitdem ermittelt werde, habe er dazu ja nie Gelegenheit gehabt. Dass er in einer ersten schriftlichen Stellungnahme die Anzeige eine „Frechheit und Anmaßung“ nannte, erwähnt er nicht. Er wolle zeigen, wie übel ihm hier mitgespielt wird. Den Turm habe er schon vor 12 Jahren mitsamt den Runen errichtet, niemand habe sich jemals darüber beschwert, bis die bösen Grünen kamen. Er habe auch einen fünfzackigen Stern am Gebäude, sei er jetzt deswegen Stalinist oder für Mao Zedong, will er von der Richterin wissen? Die weißt ihn darauf hin, dass sie im Verfahren die Fragen stellt und nicht umgekehrt. Die Richterin befragt Scheuch über sein Wissen zum Nationalsozialismus. Er habe keinen Bezug dazu, antwortet Scheuch. Ob das für die gesamte Familie gelte, hackt die Richterin nach und hilft dem Angeklagten gleich auf die Sprünge: Der Großvater Robert Scheuch war NSDAP-Mitglied und hochrangiger Nazi-Funktionär. Nun wird Scheuch etwas ungehaltener, er lehne den Nationalsozialismus jedenfalls ab, heißt es pflichtschuldig von ihm. Was er denn am Nationalsozialismus ablehne, fragt ihn die Richterin. Scheuch habe sich nicht mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, sein Wissenstand sei der eines ganz normalen Bürgers mit gewöhnlicher Schulbildung. Und damals wurde das Thema im Geschichtsunterricht generell ausgespart, wie er bedauert.
Er verfüge über keine Kenntnisse der Nazi-Geschichte, erst seit der Anzeige setze er sich mit Nazi-Symbolen auseinander. Eine ziemlich interessante Aussage für einen ehemaligen Spitzenpolitiker! Die Richterin will ihm das nicht ganz glauben und fragt nochmal nach, ob nicht auch die Familiengeschichte dazu beigetragen habe, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen? Scheuch verneint. Was denn ein normaler Bürger vom Nationalsozialismus weiß, fragt ihn die Richterin? Scheuch kenne Namen wie Hitler, Himmler oder Göring, die fallen ihm jetzt auf die Schnelle ein. Es sei jedenfalls eine schreckliche Zeit gewesen. Es dauert etwas, bis er hier seine Antworten formuliert. Erst auf explizite Nachfrage kommt er auf Konzentrationslager zu sprechen. Das sei ein großes Verbrechen gewesen, wie man damals mit Andersdenkenden umgegangen ist.
Die Richterin führt ihm vor, was herauskommt, wenn man „verbotene Symbole“ bei der Google-Suche eingibt. Sie kommt auf eine Website des Bundeskanzleramts, auf der sich neben Hakenkreuz und Hitlergruß auch die drei Runen finden, die von Scheuch auf seinem Grundstück angebracht wurden. Was er dazu sage, will die Richterin wissen? Hat der Angeklagte nicht gewusst, dass diese Runen in Österreich verboten sind? Jetzt holt Scheuch zu einer persönlichen Runenstunde aus: Bereits im jugendlichen Alter von 15 Jahren habe er die Runen für sich entdeckt. Damals gab es noch kein Internet, muss man wissen, und somit auch keine Möglichkeit zur weiteren Recherche. Der beisitzende Richter weist ihn in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er in der Schulbibliothek wahrscheinlich fündig geworden wäre, wenn er sich dafür interessiert hätte. Aber Scheuchs Interesse galt natürlich etwas anderem: Runen seien für ihn Glückssymbole, mythische Zeichen der alten Germanen, wie für andere das Christuskreuz. Die Sig-Rune sei abseits aller Mystik nur der Buchstabe S und stehe wahlweise für Scheuch oder Sternhof, der Name seines Bauernhofes ein Kilometer von den Runen entfernt. Die Odal-Rune stehe für die Familie und für seinen Besitz. Und die Wolfsangel für Jagd, den Grenzstein, oder auch für den Wolf, den er als ein sagenumwobenes Tier besonders schätze, weshalb er auch seinen Sohn so taufte. Die Wolfsangel ist also die Rune für seinen Sohn, aber er verwende sie auch auf all seinen Alltagsgegenständen, auch in der Schuhsohle, so Scheuch und zieht seinen Schuh als Beweis aus.
Warum denn nur der eine Sohn eine Rune bekommen habe, fragt ihn der Staatsanwalt? Die anderen hätten eine Fahne mit einem K und einem M, rechtfertigt sich der Angeklagte. Auf Nachfrage gibt Scheuch bekannt, dass sich bis jetzt kein Gast an seiner Runensammlung gestoßen hat, und da sollen einige hochrangige Persönlichkeiten dabei gewesen sein. Auch im Kärntner Landtag hätte er die drei Runen auf seinem Gürtel zur Schau gestellt, ohne dass er darauf angesprochen worden wäre. Ob er denn keine Zeitung lese, will die Richterin wissen, denn es gäbe immer wieder Verurteilungen wegen der Verwendung dieser Symbole? Er lese keine Zeitung mehr, da würden nur negative Dinge drinnen stehen, meint Scheuch. Warum er denn die Runen am Zaun entfernt habe, aber nicht am Holzbalken des Turmes, stellt die Richterin ihn ihre letzte Frage. Er wollte nicht, dass es wie ein Schuldeingeständnis wirke, deshalb hat er sie stehen lassen. Bei einem Gespräch mit zwei Staatsanwältinnen in Klagenfurt, die ihm wirklich verstanden hätten, wie er rührselig erklärt, habe er sich dazu überreden lassen, die Runen am Zaun zu entfernen. Das Verfahren werde ohnehin eingestellt oder falls es zur Anklage komme, werde er freigesprochen, hätten die Staatsanwältinnen damals erklärt. Das hat ihn überzeugt. Die Ausführungen lassen die Richterin zurecht stutzig werden.
Auch der beisitzende Richter will es jetzt wissen: Er ortet einen Widerspruch in den Ausführungen von Scheuch. Auf der einen Seite habe er sich intensiv mit der Bedeutung der Runen auseinandergesetzt, von deren nationalsozialistischen Verwendung will er aber nichts wissen? Er wisse wirklich von nichts, beteuert Scheuch noch einmal. Und außerdem: Die Nazis seien auch im Kärntner Landtag gesessen, deshalb ist der Kärntner Landtag jetzt aber auch nicht nationalsozialistisch. Für ihn gehören diese Runen eben zu seiner Identität, zu seinem Lebensinhalt, und er will sie auch weiterhin verwenden dürfen – auch wenn die Grüne Nationalratsabgeordnete Olga Voglauer alle anzeige, die sich dieser alten germanischen Tradition bemächtigen. Voglauer gehe ja sogar soweit, Grabstätten anzuzeigen! Scheuch meint hier eine Anzeige wegen der Verwendung einer Nazi-Rune und eines Hitler-Zitats am Grab des ehemaligen Gauleiters Friedrich Rainer am Friedhof Annabichl in Klagenfurt. Zur Grabstätte pilgerten zuletzt im November vergangenen Jahres die Neonazi-Truppe rund um Gottfried Küssel.
Zu guter Letzt wird noch ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Kärnten in den Zeugenstand gerufen, der dem ehemaligen FPÖ-Politiker pflichtbewusst eine einwandfreie Akte und eine weiße Weste im Zusammenhang mit Rechtsextremismus attestiert.
Im Zweifel für die Nazi-Runen
Nach der Mittagspause kommt es zu den Schlussplädoyers. Der Staatsanwalt ergreift die Gelegenheit, um die Verteidigung zu zerpflücken: Kurt Scheuch liefere viele verschiedene persönliche Gründe, die Runen zu nutzen – verdächtig viele. Mal sind sie ein Glückssymbol, mal ein Grenzstein, mal stehen sie für einen Namen, mal stünden sie für Familie und Besitz. Auch der Verweis auf die Verwendung ähnlicher Symbole durch andere wirkt eher wie eine Schutzbehauptung und Rechtfertigung: Seht her, andere machen das auch und werden nicht belangt, das ist ein politisches Verfahren gegen mich als Person! Die Argumentation sei nicht schlüssig und teilweise an den Haaren herbeigezogen. Es gibt immer wieder Verfahren wegen Nazi-Codes, die auf den ersten Blick harmlos wirken. Wichtig sei aber die dahinterstehende Motivation. Und die sieht der Staatsanwalt in diesem Fall durch die Verwendung eindeutiger Nazi-Symbole, mit der der dahinterstehende Bedeutungsinhalt in die Gegenwart geholt werden sollte. Er plädiert für einen Schuldspruch.
Der Verteidiger wiederholt erneut die gleichen Plattitüden, mit denen die Anwesenden schon die letzten Stunden gequält wurden. Er begründet die Forderung nach einem Freispruch etwa damit, dass sich der Angeklagte mit Runen zu beschäftigen begann, als es noch kein Internet gab. Und auch als Politiker sei er nie an NS-Gedankengut angestreift. Als Getreuer Jörg Haiders hat er wohl aktiv weggehört, als dieser etwa die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich lobte.
Kurt Scheuch hat als Angeklagter das letzte Wort. Er verweist nochmal auf den politischen Hintergrund dieses Verfahrens. Er sei nur ein alter Bauer aus dem Mölltal, der sich mit germanischen Traditionen jenseits des Mainstreams auseinandersetze. Nicht mehr und nicht weniger.
Fast zwei Stunden später kommen die Geschworenen nach ihrer Beratung zurück in den Saal. Sie sprechen Kurt Scheuch beiden Anklagepunkten frei, wobei die Hälfte von ihnen die Anbringung der Runen auf den Zaun als Widerbetätigung im nationalsozialistischen Sinne wertete. Bei Gleichstand der Geschworenenstimmen gibt’s einen Freispruch in Zweifel. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt.
Übrig bleibt ein ehemaliger hochrangiger Politiker, der sich dem Vernehmen nach nie mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Das wirft nicht nur ein seltsames Licht auf die österreichische Innenpolitik, sondern könnte vielleicht auch einige „Einzelfälle“ in der FPÖ erklären. „Von nichts gewusst“ und „war nicht so gemeint“ ist seit jeher die Verteidigungsstrategie jener, die im Bewusstsein der Verbrechen des Nationalsozialismus jegliche Verantwortlichkeit für ihr Handeln abstreifen wollen. Kurt Scheuch steht als „normaler Bürger“ und „alter Bauer“ sinnbildlich für diesen sehr österreichischen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.