Auch von einem gut geführten Strafprozess wie dem gegen die fünf Mitglieder der Europäischen Aktion im Februar 21 darf man sich nicht erwarten, dass Hintergründe wie Strukturen, Finanzierung, Vernetzung oder Rekrutierung in einem befriedigenden Ausmaß geklärt werden. Das stellt auch Mahriah Zimmermann in ihrem Beitrag „Knotenpunkt der Extremen Rechten?“ gleich einmal fest:
Der nur drei Verhandlungstage dauernde Prozess sorgte für keinerlei Aufklärung rund um die europaweite Vernetzung der neonazistischen Organisation. Selbst die weitreichenden Verstrickungen in Österreich wurden lediglich gestreift. (…) Hinsichtlich der Vernetzung der EA wäre es etwa wichtig gewesen zu klären, warum gerade jene fünf Angeklagten vor Gericht saßen, zumal der Ermittlungsakt noch acht Personen führte.
Auf ein knappes Dutzend Aktivisten veranschlagt „prozess.teport“ die Zahl der Mitglieder in Österreich. Nicht wirklich eine schlagkräftige Truppe, auch weil sich ihr sichtbarer Teil, hochtrabend „Landesleiter“ (Hans Berger) und „Gebietsleiter Wien“ (Rudolf Vogel) benannt, in deutlich fortgeschrittenem Alter befand und noch vor dem Prozess das Zeitliche segnete.
Auch anderes an der Österreich-Ausgabe der EA war so skurril, dass man an ihrer Gefährlichkeit zweifeln musste: der stark schwerhörige Gebietsleiter oder der Hitler-Darsteller Harald Z. oder auch das E‑Mail von Hans Berger an den niederösterreichischen FPÖ-Landtagsklub 2016, in der er zu „Kommandounternehmung, Staatsstreich, Militärputsch“ aufgerufen hatte.
Liest man dann aber die Beiträge zur Europäischen Aktion in anderen Ländern (Martina Renner/Kai Budler „Alt-Holocaustleugner*innen und Neu-Freikorps in Thüringen“, Hans Stutz „Weiss ist das Land, Rein ist die Hand“ und Philipp Moritz „Die Heimat verteidigen“), dann verdampft der Eindruck von Harm- und Bedeutungslosigkeit der EA sehr rasch, auch wenn Hans Stutz, ein profunder Experte des Schweizer Rechtsextremismus, zu dem Urteil kommt, dass die EA dort wenig bewegt habe: „Die EA hat sich an die Wand gefahren, am aktivsten war sie in den elf Gemeinden des Fürstentum Liechtensteins gewesen.“ Dort wurde sie aber auch so ziemlich von Beginn an am aktivsten bekämpft. Ausgerechnet die Regierung des erzkonservativen Fürstentums initiierte durchaus erfolgreich ein Monitoring und Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus, wie man sie sich auch für Österreich wünschen würde.
Ganz anders als in der Schweiz und Österreich war die EA in Deutschland und dort vor allem in Thüringen nicht nur mit Schulungen und Vorträgen, sondern auch mit Wehrsportübungen und als Teil rechtsextremer Infrastruktur sehr aktiv: „In Thüringen etablierte sich die EA als fester Bestandteil der Infrastruktur, sie stellte Redner sowie Technik und Personal zur Verfügung“, schreiben Renner und Budler in ihrem Beitrag und weisen darauf hin, „wie notwendig eine weitere antifaschistische Beobachtung maßgeblicher Personen aus der EA und ihrem Weg tiefer in den Rechtsterror und zu Aktivitäten wie Waffenbeschaffung und Wehrsport weiterhin ist“.
Das gilt wohl auch für Österreich, wo zwar der Verfassungsschutz von Beginn an (2012) die Rekrutierungsversuche der EA im Milieu der Vertriebenenverbände („Haus der Heimat“) und die klandestinen Treffen mit den Verbindungen zur militanten ungarischen Neonazigruppe MNA mitbeobachten konnte, aber erst im Dezember 2016 mit der Verhaftung von Berger zum ersten Mal gegen die EA vorging.
Im Rahmen einer „Ostlandfahrt“ der EA Thüringen, die, wie in einem Video zu sehen ist, zwischen Elementen einer Kreuzritter-Mission, Don Quijote und dümmlich-giftiger Neonazi-Propaganda changierte, sollten Personen aus Ungarn für die Ziele der Europäischen Aktion begeistert werden (der Beitrag von Philipp Moritz beschäftigt sich damit). Der Erfolg dürfte nicht durchschlagend gewesen sein, aber die Kontakte zur militanten ungarischen Neonazi-Szene haben die Thüringer in Begleitung und unter Vermittlung des österreichisch-ungarischen EA-Aktivisten und Angeklagten Peter K. sicher gerne mit nach Hause genommen.
Lesenswert sind auch die Beiträge über die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren (Marlene „Wie öffentlich sind Gerichtsverfahren?“) und über die Geschworenengerichtsbarkeit (Sophie Haas, „Geschworenenverfahren bei politischen Straftaten“), wobei wir uns der Kritik an dieser nicht in vollem Umfang anschließen. Wenn etwa angeführt wird, „dass Geschworene bei politischen Delikten generell und bei Delikten nach dem Verbotsgesetz zu ungerechtfertigten Freisprüchen und zu großer Milde tendieren würden“, so halten wir dem entgegen, dass unter anderem die fehlende bzw. geringe Öffentlichkeit von Verbotsverfahren, wie sie auch in dem Beitrag von Marlene thematisiert wird, schon vor, während und nach derartigen Prozessen einen nicht geringen Anteil an der mangelnden Sensibilisierung hat.
Umso wichtiger ist die Arbeit von unabhängigen Prozessbeobachter*innen wie jenen von „prozess.report“, die nicht nur in ausdauernder Beobachtung und Arbeit über mehrere Tage hinweg den Prozess rund um die EA dokumentierten und protokollierten, sondern mit dieser Broschüre auch ein eindrucksvolles Dokument ihrer analytischen Arbeit abliefern. Die Broschüre ist seit heute zum Download verfügbar.
Aus unserer umfangreichen Berichterstattung zur EA:
Der Prozess
➡️ Prozess Europäische Aktion (Teil 1): Wo sind die anderen?
➡️ Prozess „Europäische Aktion“ (Teil 2): Das Netzwerk wird sichtbar
➡️ Prozess „Europäische Aktion“ (Teil 3): Zwischenstopp!
Die Verdächtigen
➡️ Die alten und neuen Nazis der „Europäischen Aktion“
Der erste Auftritt der EA in der Schweiz
➡️ Vorarlberg/Schweiz: Treffen der Holocaust-Leugner
Der erste Auftritt der EA in Österreich
➡️ Die „Europäische Aktion“ und ihre sieben Ziele
➡️ Neonazi im „Haus der Heimat“ zu Gast