Die „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer hat in der Sendung „Anne Will“ des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD) vom 9.5.21 dem frisch von CDU Thüringen als Direktkandidat für die Bundestagswahl nominierten Hans-Georg Maaßen vorgeworfen, antisemitische und rassistische Inhalte zu verbreiten. Der in der Talk-Show anwesende CDU-Chef Armin Laschet nahm seinen CDU-Kandidaten in Schutz: „Maaßen sei kein Antisemit und verbreite auch keine antisemitischen Texte. ‚Wenn er es täte, wäre es ein Grund zum Parteiausschluss‘, sagte Laschet“ (rnd.de, 10.5.21).
Das ist zumindest im zweiten Satz eine klare Ansage. Aber stimmt der Vorwurf? Schließlich war Maaßen jahrelang Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, also jener Behörde, die gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus vorgehen soll. Hat nicht wirklich geklappt mit Maaßen, darum stimmt wohl der Kommentar des Journalisten Lorenz Meyer auf Twitter: „Der Fall #Maaßen ist nicht skandalös, weil hier ein Rechtsradikaler Rechtsradikales sagt. Das ist ja fast erwartbar. Der Fall Maaßen ist skandalös, weil die #CDU einem Rechtsradikalen über 6 Jahre den Verfassungsschutz anvertraut hat und ggf. in den Bundestag lässt.“
Neubauer hat Maaßen die Verbreitung antisemitischer Inhalte vorgeworfen, ohne dafür selbst Belege zu nennen. Dennoch tat sie es zu Recht. Mehrmals bedient sich Maaßen antisemitischer Codes wie jenen von den „Globalisten“ oder von der in rechtsextremen Kreisen aktuell sehr beliebten „Great Reset“-Verschwörung.
Dass Maaßen seine Ansichten gerne auch über rechtsextreme Medien wie „Compact“ oder „Epoch Times“ verbreitet, macht das Bild über ihn noch runder. Mittlerweile gibt es jede Menge Faktenchecks zum Antisemitismusvorwurf gegen Maaßen, etwa bei RND, beim Volksverpetzer oder auch auf dem Blog „Holocaust-Referenz” in dem Beitrag „Schmusekurs mit Antisemiten und Holocaustleugnern“.
Die eigentliche Entdeckung lieferte aber der Twitter-Account UnionWatch, der auf den Beitrag der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU zum „Globalisten“-Schmähbegriff hinwies:
„Globalismus“ ist die unter Rechtsextremisten gängige Bezeichnung für „Globalisierung“, also die anscheinend immer schneller ablaufenden Strukturwandel in Wirtschaft, Politik und Kultur, verbunden mit einer die Nationalstaaten überschreitenden Vernetzung und gleichzeitig „Entgrenzung“ der genannten Felder. Ein solcher Wandel setzt wirtschaftliche Dynamik frei, produziert aber auch Verlierer und Verunsicherung. Es ist also nicht erstaunlich, dass politische Extremisten dieser Erscheinung der modernen Welt kritisch bis ablehnend gegenüber stehen. (…) Im von Rechtsextremisten international verstandenen Code, schreiben die Politikwissenschaftler Thomas Grumke und Andreas Klärner, „sind ‘Globalisten’ auch ‘Ostküste’, ist der ‘Globalismus’ auch ‘New World Order’ (NWO), und sind die in diesem ‘Globalisierungsplan’ verwickelten Regierungen und Eliten auch ‘Zionist Occupied Government’.
Dass die Konrad-Adenauer-Stiftung jede, auch linke Kritik an Kapitalismus und Globalisierung, unter Extremismus subsumiert, gehört zum ideologischen Kerngeschäft der CDU – muss man nicht beachten, die Zuschreibungen für „Globalismus“ und „Globalisten“ aber schon.
Womit wir zu Österreich kommen. Die antisemitischen Codes von „Globalismus“ und „Globalisten“ finden sich nicht nur in rechtsextremen und neonazistischen Blättchen und Organisationen von geringer Reichweite, sondern auch bei den Corona-Protesten, dem FPÖ-nahen „Wochenblick“ und auch bei der FPÖ selbst.
Bei Martin Rutter und den Identitären wird das Wording auch noch aggressiv aufgeladen: Da ist dann schon von der „Globalistenbrut“ die Rede. Der „Wochenblick“, die recht extreme FPÖ-nahe Wochenzeitung, handelt faktisch jedes Thema über Globalisten und Globalisierung ab. Im Jänner 2020 durfte Stefan Magnet, der frühere Kader des neonazistischen Bundes Freier Jugend (BfJ), mit dem Thema „Globalisten im Endkampf“ so richtig in die Vollen langen: Globalisierung ist Chaos, Soros und Eliten-Diktatur – und der „Wochenblick“ gibt das Antisemitische unverdaut an seine Leser*innen weiter!
Wenige Wochen später, als die Pandemie Österreich erreichte, kam zunächst die Erlösung im „Wochenblick“: „Die Globalisierung ist gescheitert“, wird konstatiert und über das Virus frohlockt, weil es uns Grenzen zeige und bringe: „SARS-CoV‑2 hat jetzt Schritte erzwungen, die unter der Globalisierungs-Herrschaft nicht gedacht und schon gar nicht gesagt werden durften: dass Nationen und Grenzen wichtig sind.“ (WB, 29.3.20) Wieder etwas später dann die Kehrtwende: Die Pandemie wird zur „Plandemie“ umgedeutet und zum Instrument „globalistischer“ Eliten, um künstliche Krisen anzufachen und uns auszupressen und zu kontrollieren.
Für den „Wochenblick“ steckten die „Globalisten“ bereits zuvor hinter einer Entscheidung des parlamentarischen Immunitätsausschusses, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl wegen des Verdachts der Verhetzung zu ermöglichen: „Das Globalisten-Imperium schlägt zurück.“ (WB, 13.11.19) Kickl revanchierte sich damals postwendend mit einer Befürchtung: „Im Wahlkampf sei Mitte rechts versprochen, jetzt komme Mitte links links, so Kickl. Damit sei Kurz in der rot-grün-pinken Einheitspartei der Zuwanderungsbefürworter, Globalisten, Verbieter und Verteurer angekommen.“ (OTS, 29.12.19)
Wir wissen zwar, dass sich Kickl bei Kurz arg irrte, aber das „Globalisten“-Etikett klebt bei Rot-Grün-Pink. Maaßen sieht das sehr ähnlich: „Globalisten und Sozialisten (und Teile der Kirchen) sind in einem Punkt der gleichen Meinung: die Verachtung der gewöhnlichen Menschen …“
Maaßen ist wegen der Verbreitung antisemitischer Codes mit breiter Ablehnung und einer Ausschlussandrohung konfrontiert – in Österreich gibt’s staatliche Presseförderung für den „Wochenblick“ und den Klubvorsitz für Kickl.