Der Christchurch-Report: Was Österreich lernen könnte

Um’s pro­vokant zu machen: Was haben der Atten­täter von Christchurch und die FPÖ gemein­sam? Die Antwort fällt ger­ade dieser Tage leicht: Es ist die Unter­stützung der Iden­titären. Die ist laut einem – in mehrfach­er Hin­sicht – bemerkenswerten Bericht zum Atten­tat in Christchurch bre­it­er aus­ge­fall­en als bish­er bekan­nt. Neusee­lands Umgang mit Christchurch und der Bericht zeigen: Öster­re­ich kön­nte einiges daraus lernen.

Fast 800 Seit­en umfasst der Abschluss­bericht, der dem neuseeländis­chen Par­la­ment zum Atten­tat in Christchurch vorgelegt wurde. Gle­ich am Beginn wird klar, wie der Haupt­strang der nationalen Erzäh­lung zum Atten­tat, den Min­is­ter­präsi­dentin Jacin­da Ardern schon ab Tag 1 vorgegeben hat­te, gestal­tet ist: Er ist expliz­it den 51 ermorde­ten und 40 ver­let­zten mus­lim­is­chen Opfern und deren Com­mu­ni­ty gewid­met. The Roy­al Com­mis­sion wish­es to acknowl­edge the 51 shuha­da [Mär­tyr­er, Anmk. SdR]. They have been at the heart of our inquiry. We hope that the sto­ries of the 51 shuha­da are kept alive and that their sto­ries inspire us and future generations.” 

Nur ein einziges Mal – bei der dem Bericht vor­angestell­ten Zusam­men­fas­sung – wird der Name des Täters genan­nt, dann nie wieder. „He is now serv­ing a sen­tence of life impris­on­ment with­out parole. We gen­er­al­ly refer to him in our report as ‘the indi­vid­ual’. His name will not appear again.“

Natür­lich unter­sucht der Bericht die Vorgänge rund um das Atten­tat und den Täter, fragt, wo bei staatlichen Orga­nen Defizite in der Präven­tion lagen, aber er geht auch noch einen wesentlichen Schritt weit­er: Er prob­lema­tisiert die gesellschaftlichen Struk­turen und die Stim­mung im Umgang mit Min­der­heit­en, mit dem Zusam­men­leben der neuseeländis­chen Bevölkerung im All­ge­meinen. So ist dem The­ma „Sozialer Zusam­men­halt und Vielfalt“ auch ein eigenes Kapi­tel mit daran fol­gen­den Empfehlun­gen gewid­met, denn, so die Kommission:

Social cohe­sion has many direct ben­e­fits to indi­vid­u­als and com­mu­ni­ties. In con­trast, soci­eties that are polarised around polit­i­cal, social, cul­tur­al, envi­ron­men­tal, eco­nom­ic, eth­nic or reli­gious dif­fer­ences will more like­ly see rad­i­cal­is­ing ide­olo­gies devel­op and flour­ish. Efforts to build social cohe­sion, inclu­sion and diver­si­ty can con­tribute to pre­vent­ing or coun­ter­ing extrem­ism. In addi­tion, hav­ing a soci­ety that is cohe­sive, inclu­sive and embraces diver­si­ty is a good in itself.

Die zen­trale Fragestel­lung war freilich, ob der Anschlag in Christchurch ver­hin­dert wer­den hätte kön­nen. Darauf antwortet die Unter­suchungskom­mis­sion mit einem Nein. Allerd­ings bemän­gelt die Kom­mis­sion Fehler mit der Ver­gabe von Waf­fen­l­izen­zen und dass der Fokus der staatlichen Appa­rate zu sehr auf den islamistis­chen Ter­ror („the inap­pro­pri­ate con­cen­tra­tion of resources on the threat of Islamist extrem­ist ter­ror­ism“) und zu wenig auf die Bedro­hung durch andere Ide­olo­gien wie jene des Recht­sex­trem­is­mus gele­gen habe. „Die Kom­mis­sion ist nicht zu dem Befund gekom­men, dass diese Dinge den Anschlag ver­hin­dert hät­ten, aber sie waren bei­de trotz­dem Ver­säum­nisse, und dafür entschuldige ich mich,“ (1) reagierte Min­is­ter­präsi­dentin Ardern.

Der Bericht lis­tet, teil­weise minu­tiös, unzäh­lige Details aus dem Leben des Täters auf – ange­fan­gen von seinen Fam­i­lien­ver­hält­nis­sen in Aus­tralien bis zu sein­er Über­sied­lung von Aus­tralien nach Neusee­land, über seine Reiseziele, über die gewichtige Rolle divers­er Inter­netkanäle für seine Radikalisierung, die schließlich am 15. März 2019 zum Atten­tat in Christchurch führte. Der Bericht zeigt auch den Ein­fluss von Ide­olo­gien wie jene des Atten­täters von Oslo und Utøya und des iden­titären Konzepts des „Ethno­plu­ral­is­mus“ – bei­des war bere­its in dem vom Atten­täter hin­ter­lasse­nen Man­i­fest ersichtlich.

Reisen von B.T. (Ausschnitt)

Reisen von B.T. (Auss­chnitt)

Eine Liste legt das Spek­trum der­er, die der Täter mit Spenden begün­stigt hat­te, dar: Darunter waren die Iden­titären in Frankre­ich und, wie bis­lang noch nicht bekan­nt war, auch jene aus Deutsch­land – dass let­ztere zwei Spenden just an Hitlers Geburt­stag, am 20. April, erhiel­ten, dürfte kein Zufall sein.

B.Ts Spenden ab 2017

B.Ts Spenden ab 2017

B.Ts Spenden ab 2017: Spende an Sellner und 2 Spenden am 20. April

B.Ts Spenden ab 2017: Spende an Sell­ner  (2.308,97 AUD = 1.510 €) und 2 Spenden am 20. April

Auf der Spenden­liste des Massen­mörders find­en sich aber auch Neon­azi-Por­tale wie „The Dai­ly Stormer“, das kanadis­che „Rebel News Net­work“, das „Free­do­main Radio“, das vom kanadis­chen Ras­sis­ten Ste­fan Molyneux betrieben wird, sowie das „Nation­al Pol­i­cy Insti­tute“ des White-Suprema­cy-Aktivis­ten Richard B. Spencer. Die zweifel­hafte Ehre der höch­sten Spenden­summe mit 2.308,97 Aus­tral. Dol­lar (ca. 1.500 Euro) wird jedoch Mar­tin Sell­ner zuteil, für den der Täter sog­ar einen Aufruf lanciert hat­te: „He also encour­aged oth­ers to donate to Mar­tin Sell­ner, a far right Aus­tri­an politician.“

B.T. ruft auf, an Sellner zu spenden

B.T. ruft auf, an Sell­ner zu spenden

Exkurs

Unter diesem Licht zeigt sich auch, wo die FPÖ anzusiedeln ist, wenn sie ger­ade wieder offen den ide­ol­o­gis­chen und per­son­ellen Anschluss an die Iden­titären vol­lzieht, wie auch der Recht­sex­trem­is­mu­s­ex­perte aus dem DÖW, Bern­hard Wei­dinger, in einem Stan­dard-Kom­men­tar folgert.

Es mag für die FPÖ zu gewis­sen Zeit­en tak­tisch oppor­tun erscheinen, sich von post­neon­azis­tis­chen Recht­sex­tremen à la Iden­titäre zu dis­tanzieren – inhaltliche Gründe dafür gibt es angesichts ihrer eige­nen Veror­tung nicht. Ver­suchte man diesen Umstand in der Regierung noch eher zu ver­schleiern, scheint sei­ther osten­ta­tives Umar­men ange­sagt. (…) Nun aber scheint die FPÖ, nicht länger dem Prag­ma­tismus eines koali­tionären Junior­part­ners verpflichtet, wieder bere­it, die ihr zugedachte Rolle anzunehmen und in ihre anges­tammte Funk­tion zurück­zukehren: als par­la­men­tarisch­er Arm des Recht­sex­trem­is­mus in Österreich.

Was sind die Lehren?

Obwohl von der mus­lim­is­chen Com­mu­ni­ty auch Kri­tik kam, dass der Bericht zu den anti­smus­lim­is­chen Anfein­dun­gen nicht weit genug gin­ge: Neusee­land hat in der Aufar­beitung des Ter­ro­ran­schlags von Christchurch die Lat­te dur­chaus hoch gelegt. Alle 44 Empfehlun­gen der Kom­mis­sion, u.a. zu ein­er Neuaus­rich­tung der Antiter­ror­poli­tik, werde man umset­zen, ver­sprach Jacin­da Ardern.

Jene Kom­mis­sion, die das Atten­tat vom 2. Novem­ber in Wien zu unter­suchen hat, sollte in den neuseeländis­chen Bericht schauen und wenig­stens Teile der Methodik und der Unter­suchungs­ge­gen­stände übernehmen. Denn es geht wesentlich um die Frage, in welchem gesellschaftlichen Kli­ma Radikalisierung und Ter­ror begün­stigt wer­den. Das wäre in Hin­blick auf den in Öster­re­ich gebore­nen und sozial­isierten Täter wohl die bedeu­tend­ste Lehre, die aus dem Atten­tat in Wien zu ziehen wäre. Auf eine – nach dem Kap­i­talver­sagen durch öster­re­ichis­che Behör­den mehr als angemessene – Entschuldigung bei den Opfern und deren Ange­höri­gen durch Kan­zler oder Innen­min­is­ter wer­den wir wohl verge­blich warten.

1 “The com­mis­sion made no find­ings that these issues would have stopped the attack. But these were both fail­ings and for that I apol­o­gise.” (zit. nach reuters.com, 8.12.20)