Das „Establishment“, die „Einwanderungslobby“ und natürlich George Soros
Ein lediglich mit den Initialen G.B. ausgewiesener Autor versichert uns zu Beginn eines Online-Beitrags mit dem passenden Titel „Gedanken eines Reaktionärs zum Coronavirus“ (1), er neige nicht zu Verschwörungstheorien. Anschließend folgt ein ganzer Schwall von tendenziösen „Fragen“, die im verschwörungstheoretischen Duktus daherkommen. Zuletzt „fragt“ er: „Warum riskieren Establishment wie Mainstream das Lostreten einer Weltwirtschaftskrise in einem amerikanischen Wahljahr, wo ein ungeliebter Republikaner zur Wiederwahl antritt.“
Damit suggeriert der Schreiber die Existenz eines „Establishment“, das mächtiger als der amerikanische Präsident sei und ein politisches Interesse an der Pandemie habe. In dem Artikel kommt eine alte rhetorische Strategie zum Zug: Man distanziert sich zuerst von Verschwörungstheorien, bedient diese dann aber unter dem heuchlerischen Label „kritische Fragen“.
In ganz ähnlicher Weise benutzt „Zur Zeit“-Redakteur Bernhard Tomaschitz die Covid19-Krise, um in Verschwörungsformeln gegen Flüchtlinge zu agitieren. Sein Text vom 23. März trägt den Titel „Coronakrise soll Asyl-Einwanderung in die EU in Gang bringen“ (2). Darin behauptet er in unmissverständlich rechtsextremem Sprech, dass eine „Einwanderungslobby“ die Krise zur „Förderung der Migration nach Europa“ nutzen möchte – im Zuge der Pandemie forderten „Systemmedien“ die Räumung der Lager auf den griechischen Inseln. Insbesondere auf den Migrationsexperten Gerald Knaus schießt sich Tomaschitz ein: Dieser fordere die „Forcierung der Asyl-Einwanderung“. Der Bezug auf Knaus, der u.a. Vorsitzender der „Europäischen Stabilitätsinitiative“ ist, hilft Tomaschitz, seine Geschichte zum antisemitischen Ganzen abzurunden; er schreibt:
Zu den Geldgebern der „Europäischen Stabilitätsinitiative“ zählt übrigens die Open Society von George Soros. Und der milliardenschwere Spekulant gilt, wie im August 2016 die „Jerusalem Post“ schrieb, als Förderer der Immigration, um „die Unterminierung der Identität und der demographischen Zusammensetzung westlicher Demokratien“ voranzutreiben.

Tomaschitz bedient damit in einem nur geringfügig schöngefärbten Vokabular die Verschwörungstheorie, wonach strippenziehende Juden den „Volkskörper“ (also die „demographische Zusammensetzung“) qua gesteuerter Migration zersetzen würden. Der antisemitische Wahn bekommt von Tomaschitz einen vermeintlichen Koscher-Stempel verpasst, indem er die israelische Zeitung „Jerusalem Post“ zitiert. Unerwähnt bleibt, dass der zitierte Artikel (3) von der rechtsaußen Journalistin Caroline B. Glick verfasst wurde, die regelmäßig für die rechtsextreme Website „Breitbart News“ schreibt und 2019 für die Partei „Neue Rechte“ zur Knesset-Wahl kandidierte.
Tomaschitz offenbart mit diesem (sehr kurzen) Artikel nicht zuletzt die plumpe Integrationskraft des rechtsextremen Weltbilds: Jedes Thema – und sei es eine Virus-Pandemie – wird letztlich auf Rassismus, Antisemitismus und die autoritäre Revolte gegen Medien runter gebrochen; kein Thema ist dem verschwörungsphantastischen Zugriff zu unwahrscheinlich oder thematisch zu weit entfernt, alles kann in das geschlossene Gebilde eingefügt werden.
Lob für Orbán und Angst vor der „grünen Öko-Diktatur“
Ein weiterer Artikel von G.B. mit dem unfreiwillig komischen Titel „Der Weg zur Klimaknechtschaft?“ vom 20. März (4) freut sich ganz offen über jene Auswirkungen der restriktiven Covid19-Maßnahmen, die in das rechte Weltbild passen. Zum Beispiel über den „Rückbau des Globalismus“ oder darüber, dass es nun wieder „ein Familienleben nach der Schließung von Kita wie Ganztagsschule“ gebe. Er begrüßt also unverblümt, dass Betreuungseinrichtungen für Kinder geschlossen werden mussten. Das Leid, das dadurch entsteht – von Burnouts bis zur Zunahme häuslicher Gewalt – kann dem Autor offenbar nicht die Freude an seinem antifeministischen Familienideal verderben. Andererseits fürchtet er sich auch vor den Folgen der Maßnahmen, wenn er darin den Beginn eines gesellschaftlichen Umbaus erkennen will: „Es ist die wiederkehrende Melodie des real existierenden Sozialismus. Und es könnte zur fortgesetzten Melodie der Verwirklichung von ‚Fridays for Future‘-Utopien avancieren.“
Nach diesem Schema funktioniert die Agitation der Pseudo-Berichtersattung in „Zur Zeit“ häufig: Es werden imaginierte Bedrohungsszenarien aufgebaut, während reale autoritäre Tendenzen offen begrüßt werden.
In der Covid19-Krise lässt sich dies besonders anschaulich an dem permanenten Lob für die Politik des ungarischen Autokraten Victor Orbán veranschaulichen. So wird dessen autoritärer Umbau des ungarischen Staates bejubelt, während man gleichzeitig den österreichischen Grünen autoritäre Tendenzen unterstellt. In dieses Horn bläst Stammautor Erich Körner-Lakatos, wenn er in einem Text mit dem bezeichnenden Titel „Grüner Machtrausch?“ eine Kritik an Orbán in der „Presse“ kritisiert und allen Ernstes behauptet: „Orbán erhält dieselben Befugnisse wie hierzulande der Gesundheitsminister Rudolf Anschober“ (5). Aber es sei Anschober, der nach Körner-Lakatos wohl eher der „autokratischen Versuchung“ erliege.

Solche hanebüchenen Äußerungen gegen grüne PolitikerInnen, Linke, Liberale oder „Gutmenschen“ bei gleichzeitigem Lob für Autokraten wie Orbán veranschaulichen einen Mechanismus, der typisch für die extreme Rechte ist: Alles was der eigenen Diktion widerspricht, wird als antidemokratisch und autoritär denunziert, obwohl man sich selbst objektiv und ganz offen eine antidemokratische und autoritäre Wende wünscht.
Körner-Lakatos verteidigt Orbán-Ungarn ein paar Tage später noch einmal gegen Kritik: In einem „Zur Zeit“-Artikel vom 1. April (6), als die faktische Abschaffung der Demokratie in Ungarn bereits breit medial diskutiert wurde, bezeichnet Körner-Lakatos die kritischen Fragen von ZIB2-Moderator Armin Wolf an die ungarische Justizministerin Judit Varga als „Aprilscherz“.
Diese Faszination für Autokraten ist weder überraschend noch neu. Viele der „Zur Zeit“-Stammautoren deklarieren sich immer wieder als wahre Fans-Boys von Diktatoren und Massenmördern: Bernhard Tomaschitz schwärmt für das autoritär regierte Weißrussland; Walter Seledec lobt den faschistischen Massenmörder Franco als „konservativen Armeeführer“; der regelmäßige Autor Wolfgang Caspart träumt ganz offen von der Konterrevolution gegen die Demokratie; Körner-Lakatos schwärmt von Ion Antonescu, dem Organisator des Holocaust in Rumänien.
Wir wollen es noch einmal wiederholen: Diese Leute, die das von sich geben, fürchten sich vor einer grünen Diktatur in Österreich und fühlen sich ständig als Verfolgte.
Staatlich geförderter Rechtsextremismus
Leider ändert bislang auch die grüne Regierungsbeteiligung nichts daran: „Zur Zeit“ erhält im Rahmen der Vertriebsförderung staatliche Fördermittel. Diese wurden nun sogar massiv erhöht – das rechtsextreme Blatt erhält heuer zu den 44.518 Euro aus der regulären Förderung zusätzlich 66 700 Euro aus der öffentlichen Hand.
Herausgeber und nicht Zensor
In einer Videodiskussion des Standard zwischen dem „Zur Zeit“-Herausgeber Andreas Mölzer und der Linguistin Ruth Wodak tut Mölzer das, was er am besten kann: Er mölzert. Angesprochen auf Formulierungen in seinem Blatt, in denen etwa über Afrikaner*innen von „verantwortungslos importierten Bestien“ (Video ab Minute 18) die Rede ist, distanziert er sich von der Verwendung des Wortes „Bestien („Das würde ich so in keiner Weise wollen“), um im selben Atemzug festzuhalten: „Ich bin Herausgeber und nicht Zensor.“ Fakt bleibt: In „Zur Zeit“ wird eine ganze Personengruppe pauschal als „Bestien“ diffamiert – ob sich Mölzer davon lauwarm distanziert oder nicht, ändert daran nichts. Die Regierung wird sich überlegen müssen, ob sie tatsächlich intendiert, so etwas zu fördern.
Fußnoten
1 „Gedanken eines Reaktionärs zum Coronavirus“, 16.03.2020, erschienen auf der Website von „Zur Zeit“, zuletzt eingesehen: 04.04.2020
2 „Coronakrise soll Asyl-Einwanderung in die EU in Gang bringen“, 23.03.2020, erschienen auf der Website von „Zur Zeit“, zuletzt eingesehen: 04.04.2020
3 „Our World: Soros’s campaign of global chaos“, 22.08.2016, erschienen auf der Website von „Jerusalem Post“, zuletzt eingesehen: 05.04.2020
4 „Der Weg zur Klimaknechtschaft?“, 20.03.2020, erschienen auf der Website von „Zur Zeit“, zuletzt eingesehen: 04.04.2020
5 „Grüner Machtrausch?“, 25.03.2020, erschienen auf der Website von „Zur Zeit“, zuletzt eingesehen: 04.04.2020
6 „Ein Aprilscherz des Armin Wolf?“, 01.04.2020, erschienen auf der Website von „Zur Zeit“, zuletzt eingesehen: 05.04.2020