Viel wird derzeit in Deutschland über den Mordfall Lübcke diskutiert – endlich, muss man sagen, denn dass Politik und Medien sich damit überhaupt intensiver beschäftigen, hat viel zu lange gedauert. Wie sich manche nun äußern, zeigt, wie wenig Wissen und Problembewusstsein in Hinblick auf das Thema Rechtsterrorismus bei den Verantwortlichen da ist. Wir haben inzwischen auch genügend Hinweise, dass sich Österreich bei diesem Thema keinesfalls zurücklehnen darf.
Der Regierungspräsident der Stadt Kassel, Walter Lübcke, wurde am 2. Juni mit einem Kopfschuss auf der Terrasse seines Hauses hingerichtet. Vermutungen, dass die Mordtat einen rechtsextremen Hintergrund haben könnte, wurden schnell laut, aber das kümmerte vorerst kaum jemanden. Selbst die CDU, der Lübcke angehörte, reagierte mit erstaunlicher Zurückhaltung.
Der Mordtat vorausgegangen waren breite Hasskampagnen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum, das verschwörungstheoretische, rechtsextreme Portal „PI News“ veröffentlichte Lübckes Büroadresse, Telefonnummer und E‑Mail-Adresse. „Die Zeit“ hat eine unvollständige Chronologie der Hetzkampagne gegen Lübcke veröffentlicht. Ganz vorne dabei waren Mitglieder aus der AfD und die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach.
Der mutmaßliche Täter Stephan E. kommt aus dem neonazistischem Umfeld, er hat auch Verbindungen zu „Combat 18“, dem rechtsterroristischen Ableger von „Blood & Honour“. Inzwischen schließen die ermittelnden Behörden nicht mehr aus, dass es Mittäter gab: „Die Bundesanwaltschaft geht Hinweisen nach, dass es im Fall des Anfang Juni ermordeten hessischen CDU-Politikers Walter Lübcke mehrere Täter gegeben haben könnte.“ (sueddeutsche.de, 18.6.19)

Gewaltbereite Neonazis in Kassel 2002 mit dem Tatverdächtigen Stephan E. mit Stuhl in der Hand (1.v. r.) – Bildrechte: NSU Watch
Symptomatisch ist, dass bedeutende Hinweise zum jetzt festgenommenen Tatverdächtigen Stephan E. aus der antifaschistischen Szene kamen und noch immer kommen, die die Rolle des Watchdog mit geringen oder überhaupt keinen finanziellen Mitteln besser auszufüllen scheinen als Politik und Verfassungsschutz.
Und Österreich?
Aus Recherchen des Standard wissen wir, dass es zu in Deutschland aufgeflogene Chat-Gruppen, die den „Tag X“ u.a. mit der Ermordung von „Feinden“ vorbereiteten, Verbindungen nach Österreich gibt. „Deutsche Behörden entdeckten im Jahr 2017 private Chatgruppen, deren Mitglieder auch ehemalige oder aktive Polizisten, Soldaten oder Beamte waren. In diesen Gruppen wurden militärische, interne Lagebilder und Tipps ausgetauscht. Man wollte sich auf einen Tag X vorbereiten, also auf ein Horrorszenario wie eine Terrorwelle, durch das die staatliche Ordnung zusammenbricht. Einzelne Mitglieder der Chatgruppen legten auch Listen mit ‚Feinden’ an, die sie am Tag X in Kasernen sammeln und töten wollten. (…) Es gab im Tag-X-Netzwerk einige Chatgruppen, die miteinander verbunden waren. Die Existenz von Nord, Nordkreuz, Süd und Basis ist bestätigt. Zeugen sagten zu deutschen Ermittlern, dass es auch eine Österreich-Chatgruppe gab. Das bestätigten indirekt auch Verfassungsschutz-Chef Peter Gridling und Bundesheersprecher Michael Bauer. Ihre Mitglieder und Inhalte sind jedoch nicht bekannt. Fakt ist, dass Mitglieder der Nord-Chatgruppe 2015 zum Schießen und Marschieren in Niederösterreich waren.“ (derstandard.at, 28.3.19) Verbindungen könnten bis in das Bundesheer hinein reichen.
Wie wir inzwischen schon oft hingewiesen haben, hat „Combat 18“ einen Ableger in Vorarlberg. Gesinnungskameraden aus dem Umkreis von „Blood & Honour“ haben 2016 Schießübungen mit internationaler Beteiligung in Vorarlberg durchgeführt. Die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz hat dazu eine parlamentarische Anfrage an Ex-Innenminister Herbert Kickl gerichtet, dessen Antwort schier atemberaubend ausfiel: „Bei den angesprochenen Schießübungen in einer Feldkirchner Schießhalle handelt es sich um private Aktivitäten. Diese sind nicht meldepflichtig, weshalb in diesem Zusammenhang auch keine anfragespezifischen Daten und Zahlen vorliegen.“
Es ist nur zu hoffen, dass es hierzulande kein böses Erwachen gibt. Wegschauen funktioniert nicht, daher geht das Thema Rechtsterrorismus auch uns etwas an!
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