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Hausdurchsuchungen bei Neonazis: drei Anfragen, einige Antworten, Ungereimtheiten und noch mehr Fragen

Die Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­ten Alma Zadić (Lis­te Jetzt) und Sabi­ne Schatz (SPÖ) haben in den letz­ten Mona­ten eine Rei­he von par­la­men­ta­ri­schen Anfra­gen zur rechts­extre­men Sze­ne und deren Netz­wer­ke in Öster­reich gestellt. Wir fas­sen hier jene zusam­men, die sich auf die 32 Haus­durch­su­chun­gen vom 9. April 2019 bezie­hen und füh­ren die Ant­wor­ten mit unse­ren Hin­wei­sen zusam­men. Quint­essenz: Einiges […]

18. Jun 2019
Tattoo am Rücken eines der Beschuldigten aus der Hausdurchsuchung 9.4.19
Tattoo am Rücken eines der Beschuldigten aus der Hausdurchsuchung 9.4.19

Die ers­te neue Infor­ma­ti­on, die aus den drei Anfra­ge­be­ant­wor­tun­gen (1) her­vor geht, betrifft den Aus­lö­ser für die ins­ge­samt 32 Haus­durch­su­chun­gen: ein Neo­na­zikon­zert im stei­ri­schen St. Bar­ba­ra, das nicht wie ursprüng­lich über die „Klei­ne Zei­tung“ kol­por­tiert im März 2018 statt­ge­fun­den hat­te, son­dern bereits zwei Mona­te frü­her, näm­lich in der Nacht vom 20. auf den 21. Jän­ner. Damit ver­län­gert sich die Zeit­span­ne zwi­schen Kon­zert und Raz­zi­en noch ein­mal um zwei Mona­te, näm­lich auf über 14 Mona­te. Das Ermitt­lungs­ver­fah­ren sei am 19. Febru­ar 18 ein­ge­lei­tet worden.

Das ist von Rele­vanz, weil just am 22. Jän­ner ein Pro­zess nach dem Ver­bots­ge­setz gegen eine Rei­he von Per­so­nen begann, die genau aus der Regi­on stam­men, in der das Kon­zert statt­ge­fun­den hat­te. Dass es hier Ver­bin­dun­gen gibt, wie wir bereits ver­mu­tet hat­ten, ist daher nicht unwahr­schein­lich. War es ein Solidaritätskonzert?

Zum Haupt­be­schul­dig­ten ant­wor­tet Jus­tiz­mi­nis­ter Cle­mens Jablo­ner: „Der Ver­an­stal­ter des Kon­zer­tes war den Ermitt­lungs­be­hör­den bekannt, zumal er bereits wegen § 3g Ver­botsG zu einer teil­be­ding­ten Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt wur­de. (…) Bei ihm fand am 6. Juli 2018 eine Haus­durch­su­chung statt, bei der Mobil­te­le­fo­ne, Daten­trä­ger, Waf­fen und Kriegs­ma­te­ri­al sicher­ge­stellt wur­den. (…) Eine Mit­glied­schaft des Ver­an­stal­ters bei einer rechts­extre­men Orga­ni­sa­ti­on ist nicht bekannt.”

Da ver­an­stal­tet jemand ein Neo­na­zi-Kon­zert mit einem ein­schlä­gi­gen Sän­ger, es rei­sen Per­so­nen aus dem In- und Aus­land an, und der bereits vor­be­straf­te Ver­an­stal­ter ist nicht Mit­glied einer rechts­extre­men Verbindung?

Von 71 Per­so­nen, die am Kon­zert teil­ge­nom­men hat­ten, sei der Name bekannt, von wei­te­ren nicht, da „kei­ne voll­stän­di­ge Iden­ti­täts­fest­stel­lung vor­ge­nom­men wur­de“, so Jablo­ner. Die dies­be­züg­li­che Aus­kunft aus dem Innen­mi­nis­te­ri­um durch Wolf­gang Peschorn lau­te­te: Es kam zu einem Poli­zei­ein­satz, an dem ins­ge­samt zehn Ein­satz­kräf­te betei­ligt waren, die 60 Iden­ti­täts­fest­stel­lun­gen durch­ge­führt haben.”

War­um bei einem Neo­na­zikon­zert Iden­ti­täts­fest­stel­lun­gen nur selek­tiv erfolg­ten, erfah­ren wir nicht. Wie hat die Poli­zei aus­ge­wählt? Nach dem Zufalls­prin­zip, wer gera­de greif­bar war, nach dem Aus­se­hen? Etwas unver­ständ­lich ist in Bezug auf die oben genann­te Zahl die­se Ant­wort des Jus­tiz­mi­nis­ters: „Soweit es die Teil­nah­me an dem anfra­ge­gen­ständ­li­chen Kon­zert betrifft, wird das Ver­fah­ren gegen 74 Beschul­dig­te geführt, und zwar gegen drei schwei­ze­ri­sche, acht slo­we­ni­sche (davon zwei Frau­en), 25 deut­sche (davon sechs Frau­en) sowie einen fin­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen und 37 öster­rei­chi­sche Staats­bür­ger (davon sie­ben Frau­en) geführt. Von den öster­rei­chi­schen Beschul­dig­ten stam­men fünf aus Salz­burg, 16 aus der Stei­er­mark, fünf aus Nie­der­ös­ter­reich, einer aus Ober­ös­ter­reich, fünf aus Vor­arl­berg, zwei aus Wien, zwei aus dem Bur­gen­land und einer aus Kärnten.”

Wir hal­ten fest: Es gab beim Kon­zert 60 Iden­ti­täts­fest­stel­lun­gen, 71 Namen sind bekannt, und es lau­fen direkt im Zusam­men­hang mit dem Kon­zert Ver­fah­ren gegen 74 Beschul­dig­te. Wer hat hier nicht den Über­blick, wir oder die bei­den Ministerien?

Jablo­ner gibt an, dass unter den Beschul­dig­ten zwei Mit­glie­der aus der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung stam­men, bei denen auch Haus­durch­su­chun­gen statt­ge­fun­den hät­ten. Wir haben Hin­wei­se, dass zumin­dest ein Mit­glied aus dem Raum Leo­ben stam­men soll, dem Ver­bin­dun­gen in die Neo­na­zi­sze­ne nach­ge­sagt wer­den. „[Z]wei wei­te­re sind offen­bar Mit­glie­der klei­ner regio­na­ler Grup­pie­run­gen. Ob wei­te­re Beschul­dig­te Mit­glie­der der Hoo­li­gan-Sze­ne sind, ist Gegen­stand der Ermitt­lun­gen.” Da kön­nen wir ergän­zen: Eine Haus­durch­su­chung soll beim Vor­arl­ber­ger Uwe V. statt­ge­fun­den haben, der seit vie­len Jah­ren der Blood & Honour-Sze­ne zuge­rech­net wird und, so peni­ble Recher­chen aus Deutsch­land, auch beim rechts­ter­ro­ris­ti­schen Able­ger von B&H, „Com­bat 18“, tätig sein soll. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass sich die vier wei­te­ren Beschul­dig­ten aus Vor­arl­berg eben­falls in die­sem Umkreis bewe­gen. Und wir wie­der­ho­len: Dass hier Per­so­nen aus so weit­ver­streu­ten Räu­men aus­ge­rech­net in ein Kaff in die Stei­er­mark gekom­men sind, deu­tet auf einen Orga­ni­sa­ti­ons­grad hin, der nur inner­halb von bestehen­den Netz­wer­ken zu errei­chen ist. Wir haben auf „Blood & Honour“ getippt und blei­ben dabei.

Tattoo am Rücken eines der Beschuldigten aus der Hausdurchsuchung 9.4.19
Tat­too am Rücken eines der Beschul­dig­ten aus der Haus­durch­su­chung 9.4.19 (via Twit­ter Fabi­an Schmid)

Wei­ters: „Elf Beschul­dig­te sind auf Grund ein­schlä­gi­ger Vor­stra­fen nach §§ 3g Ver­botsG, 283 StGB bereits amts­be­kannt. Die Vor­stra­fen stam­men aus den Jah­ren 2001, 2003, 2004, 2005 und 2018.“ (Jablo­ner) Der Kreis der Beschul­dig­ten habe sich inzwi­schen auf 93 ausgeweitet.

Minis­ter Jablo­ner schreibt nun zum zeit­li­chen Ablauf des Verfahrens:

„Nach Anlass­be­richt­erstat­tung durch das LVT Stei­er­mark am 14. Febru­ar 2018 wur­de von der StA Leo­ben am 19. Febru­ar 2018 die Ver­neh­mung einer Zeu­gin ange­ord­net. Nach wei­te­rer Anlass­be­richt­erstat­tung durch das LVT Stei­er­mark am 20. März 2018 wur­de von der StA Leo­ben am 11. Juni 2018 die Durch­su­chung der Woh­nung des Haupt­be­schul­dig­ten ange­ord­net. Nach wei­te­ren Berich­ten des LVT Stei­er­mark wur­de von der StA Leo­ben am 21. Jän­ner 2019 die Per­sons­durch­su­chung der in Öster­reich wohn­haf­ten bekann­ten Teil­neh­mer des Kon­zer­tes ange­ord­net. Am 20. März 2019 wur­de wei­ters die Durch­su­chung deren Woh­nun­gen sowie deren Vor­füh­rung zur sofor­ti­gen Ver­neh­mung ange­ord­net. Hin­sicht­lich der nicht in Öster­reich wohn­haf­ten aus­län­di­schen Beschul­dig­ten wur­den Ersu­chen um Über­nah­me derStraf­ver­fol­gung an die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den der jewei­li­gen Hei­mat­staa­ten gestellt.“

Bei zwei Per­so­nen, dar­un­ter dem bereits ein­schlä­gig vor­be­straf­ten Haupt­be­schul­dig­ten, sei im Okto­ber 2018 eine Haus­durch­su­chung durch­ge­führt wor­den, bei den 32 Ver­blei­ben­den im April 2019.

Staats­an­walt mit Leis­tungs­de­fi­zi­ten: Bit­te warten!

Noch bei der eilig ein­be­ru­fe­nen Pres­se­kon­fe­renz am 9. April wur­de sei­tens der Gene­ral­se­kre­tä­re Pil­nacek und Gold­gru­ber ange­ge­ben, die zeit­li­chen Ver­zö­ge­run­gen sei­en durch einen Kran­ken­stand des zustän­di­gen Staats­an­walt ent­stan­den. Jablo­ner stellt das dif­fe­ren­zier­ter dar:

„Die ‚kon­kre­ten Ver­zö­ge­run­gen’ im Ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft Leo­ben stel­len sich der­ge­stalt dar, dass der zustän­di­ge Staats­an­walt in Bezug auf die ins­be­son­de­re auf die Durch­su­chung von zahl­rei­chen Per­so­nen und Wohn­räum­lich­kei­ten abstel­len­den umfas­sen­den Ermitt­lungs­an­re­gun­gen der Poli­zei, von denen er am 23. März 2018 Kennt­nis erlang­te, vor­erst inak­tiv blieb, dann (erst) Mit­te Juni 2018 die Durch­su­chung in Bezug auf einen Beschul­dig­ten, näm­lich den Haupt­be­schul­dig­ten, ver­an­lass­te, wohin­ge­gen die wei­te­ren von der Poli­zei ange­reg­ten Ermitt­lungs­schrit­te erst nach sei­nem Kran­ken­stands­an­tritt in Auf­ar­bei­tung offe­ner Ver­fah­ren durch die nun­meh­ri­ge Sach­be­ar­bei­te­rin Anfang des Jah­res 2019 in die Wege gelei­tet wur­den. Die ins­ge­samt und struk­tu­rell seit Jah­ren man­gel­haf­te Arbeits­wei­se hat immer wie­der auch ande­re Ver­fah­ren in unter­schied­li­chem Aus­maß betrof­fen, ohne dass dies frei­lich exakt quan­ti­fi­ziert wer­den könnte.“

Wie Jablo­ner wei­ters aus­führt, sei­en dem betrof­fe­nen Staats­an­walt (…) seit gerau­mer Zeit und jeden­falls zumin­dest seit dem Jahr 2013 Leis­tungs­de­fi­zi­te zuzu­rech­nen“, im Okto­ber 2018 sei ein Sach­ver­stän­di­ger beauf­tragt wor­den, ein Gut­ach­ten über eine even­tu­el­le Dienst­un­fä­hig­keit des Staats­an­walts zu erstel­len, das zwei Mona­te spä­ter vor­ge­legt wur­de und zu einer Ver­set­zung in den Kran­ken­stand ab dem 10. Dezem­ber geführt habe.

Ins­ge­samt ist dar­aus zu schlie­ßen, dass es in Bezug auf Ermitt­lun­gen zum Kon­zert zu Ver­zö­ge­run­gen von etwa einem Jahr gekom­men ist. Nach­dem zwei Haus­durch­su­chun­gen bereits im Okto­ber 2018 statt­ge­fun­den hat­ten, konn­ten sich die ande­ren Kon­zert­teil­neh­me­rIn­nen bis April 2019 auf etwa­ige Besu­che vor­be­rei­ten. Eini­ge haben sich über die­se Frist wohl gefreut und sie auch genützt.

Zur Pres­se­kon­fe­renz merkt Jablo­ner an, dass der Wunsch danach „aus dem Kabi­nett des BMI an das Kabi­nett des BMVRDJ am Vor­mit­tag des 9. April 2019 her­an­ge­tra­gen“ wur­de. Der Ver­dacht, dass es sich um ein Ablen­kungs­ma­nö­ver sei­tens der FPÖ han­del­te, die durch ihre man­nig­fa­chen Quer­ver­bin­dun­gen zu den Iden­ti­tä­ren stark in Bedräng­nis gera­ten war, ist somit alles ande­re als ausgeräumt.

P.S.: Ger­ne wür­den wir wis­sen, wie vie­le der 93 Beschul­dig­ten im Secu­ri­ty-Bereich arbei­ten und wo die bis­lang ein­ge­setzt wur­den. Da könn­te die eine oder ande­re Über­ra­schung zum Vor­schein kommen.

1 Die Anfra­gen und deren Beantwortungen:
Alma Zadić an Jus­tiz­mi­nis­ter – Anfra­ge betref­fend „Haus­durch­su­chun­gen bei Rechts­extre­mis­ten und Neo­na­zis im April 2019” (12.4.19) Beant­wor­tung 
Sabi­ne Schatz an Innen­mi­nis­ter – Anfra­ge betref­fend „die Haus­durch­su­chun­gen in der Neo­na­zi-Sze­ne im April“ (15.4.19) Beant­wor­tung 
Sabi­ne Schatz an Jus­tiz­mi­nis­ter – Anfra­ge betref­fend „die Haus­durch­su­chun­gen in der Neo­na­zi-Sze­ne im April“ (15.4.19) Beant­wor­tung 

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