Viel hatten die beiden Generalsekretäre, Christian Pilnacek für das Justizministerium und Peter Goldgruber für das Innenressort, nicht zu erzählen. Die Hausdurchsuchungen würden sich auf ganz Österreich (mit Ausnahme Tirol) erstrecken, es wurden einige Waffen, Kriegs- und Nazimaterial gefunden. Gezeigt wurden einige Nazi-Bildchen, eine ziemlich rostige Maschinenpistole und einige Granaten. Nähere Angaben konnten oder wollten die beiden Generalsekretäre nicht machen. Dafür immer wieder die Beteuerungen von einem entschiedenen Einsatz gegen den Rechtsextremismus und einem voll funktionsfähigen Verfassungsschutz, der keineswegs durch die Hausdurchsuchung gegen das BVT und dessen Folgen beeinträchtigt sei …
Warum in der Pressekonferenz nur von 32 Hausdurchsuchungen bzw. Verdächtigen die Rede war, was mit dem Rest der 90 Beschuldigten, die erst in einer später verbreiteten Presseaussendung der zuständigen Staatsanwaltschaft Leoben erwähnt wurden, passiert ist oder noch passieren soll, wurde nicht offengelegt. Warum kein Vertreter der Staatsanwaltschaft Leoben, die die Ermittlungen leitet, bei der Pressekonferenz Auskunft geben durfte, blieb ebenso unklar – und damit auch eine plausible Antwort auf die Frage, warum erst jetzt – mehr als ein Jahr nach dem Nazi-Konzert – diese Hausdurchsuchungen starteten. Ein Dauerkrankenstand des ursprünglich zuständigen Staatsanwalts sei die Ursache gewesen, so die Generalsekretäre, die laut „Kurier“ die beiden Ressortchefs Kickl und Moser vertraten, die eigentlich die Pressekonferenz durchführen wollten. Kickl? Ausgerechnet Kickl?
Trotz der aufwendigen Operation, an der über 200 Polizeibeamte beteiligt waren, ist es bislang zu keiner einzigen Festnahme gekommen. Fast alle Medien berichteten daher mit unverhohlener Skepsis über die Pressekonferenz und die Hausdurchsuchungen. Der Umstand, dass es beim Konzert TeilnehmerInnen aus ganz Österreich gegeben hat, deutet auf Strukturen hin, über die das Konzert organisiert wurde. Dafür kommen nur wenige in Frage. Ob es „Blood & Honour“ war, das ein regionaler Neonazi auf seinem Bauch tätowiert hat, können wir aber derzeit noch nicht beantworten.
Hier einige Auszüge aus den österreichischen Zeitungen:
Razzia – ohne politische Absicht? (Michael Jungwirth)
Zum Schlag gegen die Neonazi-Szene holten Justiz und Polizei gestern aus. Dass ein Zusammenhang mit der Debatte über die Identitären besteht, wird von der Politik energisch bestritten. Jochen Jance, der Bürgermeister der obersteirischen Fusionsgemeinde St. Barbara, war auf dem Weg runter von der Alm, als er beim einst legendären Veitscherhof ein gewaltiges Polizeiaufgebot erblickte. „Ich habe mich sehr gewundert über so viel Polizei“, erklärte der SPÖ-Bürgermeister gestern Abend telefonisch im Gespräch. Erst später habe er erfahren, dass sich Neonazis für einen Abend einquartiert hatten. „Ich habe mich geärgert, dass ich von der Polizei nicht vorab informiert wurde.“
Das Konzert im März 2018 im Veitscherhof sorgte allerdings auch im Ort für Diskussionen: Der Veitscherhof ist im Besitz der Gemeinde, jemand aus dem Nachbarort, verteidigt man sich in der Fusionsgemeinde (früheres Wartberg, Mitterdorf, Veitsch), hatte den Saal unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – man wolle dort eine Geburtsfeier abhalten – angemietet. Angeblich wollte man sich auch im heurigen Jahr wieder einquartieren, die Gemeinde lehnte postwendend ab.
Das Neonazi-Konzert war der Ausgangspunkt für die gestern Früh in ganz Österreich von 217 Beamten durchgeführten Hausdurchsuchungen bei 32 Personen. Der Hauptbeschuldigte ist ein 29-jähriger Steirer, neben Neonazi-Devotionalien wurden auch Hieb- und Stichwaffen, Kriegsmaterialien und Tonträger beschlagnahmt. Festnahmen gab es vorerst keine. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz wiesen Christian Pilnacek und Peter Goldgruber, die beiden Generalsekretäre im Justiz- wie auch im Innenministerium, den Vorwurf zurück, dass es einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Wirbel um die Identitären gebe bzw. die Razzia dokumentieren solle, dass die türkis-blaue Koalition ohnehin energisch gegen rechtsextreme Umtriebe vorgehe. „Man kann Hausdurchsuchungen nicht nach politischer Beliebigkeit steuern“, so Pilnacek. Bekannte Neonazis oder Identitäre seien, ergaben erste Ermittlungen, nicht unter den Verdächtigen. Die Fäden laufen bei der Staatsanwaltschaft in Leoben zusammen, seit 2018 wird gegen rund 90 Beschuldigte ermittelt.
Goldgruber und Pilnacek wollen allerdings die bundesweit in acht von neun Bundesländern stattgefundenen Hausdurchsuchungen (nicht Tirol) als Beleg für die friktionsweise Zusammenarbeit zwischen Justiz und Innenministerium, insbesondere BVT, der das Konzert im Blickfeld hatte, verstanden wissen. „Die Behauptung, dass der [sic!] BVT durch die Hausdurchsuchung im letzten Jahr gelähmt sei, wird damit widerlegt“, so Goldgruber. Warum allerdings nach einem Jahr zum großen Schlag gegen die Szene ausgeholt wurde, wird auf den „Dauerkrankenstand“ eines Leobner Staatsanwalts zurückgeführt. (Kleine Zeitung,10.4.19; S. 6)
Hausdurchsuchungen: Ein durchsichtiges Manöver (Christoph Schwarz)
Türkis-Blau schmückt sich mit einem Schlag gegen Rechts, der keiner ist – und zeigt damit Nerven.
Die Botschaft, die man gestern aussenden wollte, war zwar klar: Diese Regierung ist (auch) auf dem rechten Auge nicht blind. Gelungen ist der Befreiungsschlag nicht. Im Gegenteil: Wie überhastet und unprofessionell er ausgeführt wurde, zeigt, wie verunsichert die Regierung ist. Der laufende Streit um die identitäre Bewegung ist für die Koalition ihre vielleicht größte Bewährungsprobe.
Dass man in den Führungszirkeln von ÖVP und FPÖ tatsächlich annahm, dass es reicht, jetzt bei einigen wohl eher schlichten Skinheads an die Tür zu klopfen und Nazi-Devotionalien einzusammeln, um von den strukturellen Verflechtungen zwischen FPÖ und Identitären abzulenken, zeugt nicht zuletzt von einer gewissen Überheblichkeit. Das Kalkül ist – diesmal – nicht aufgegangen. (kurier.at, 9.4.19)
Eine Tat gegen die Zweifel
Leitartikel Walter Hämmerle
Inhaltlich stehen die Hausdurchsuchungen vom Dienstag in keinem direkten Zusammenhang mit den Verbindungen zwischen FPÖ und Identitären, sondern sie sind die Folge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Leoben aufgrund des Verdachts von Verstößen gegen das Verbotsgesetz anlässlich eines Konzerts im Neonazi-Milieu. Politisch jedoch ist das offensive Vorgehen gegen diese Szene ein hochnotwendiger Befreiungsschlag für die FPÖ. Möglich, dass der zeitliche Zusammenfall ein purer Zufall ist. Daran glauben muss man freilich nicht. Man kann das als Ablenkungsmanöver bewerten. Oder aber auch einfach als notwendiges Eingeständnis, dass es dringend an der Zeit für klare Handlungen ist. (wienerzeitung.at, 9.4.19)
Mutiger Schlag – oder Ablenkungsmanöver? (Andreas Koller)
Zufälle gibt’s! Mitten in die Debatte über die Verbindungen der FPÖ zu den rechtsextremen Identitären platzte am Dienstag die Meldung, dass die Sicherheitsbehörden „in den frühen Morgenstunden des 9. April 2019“ einige Dutzend Hausdurchsuchungen in der rechtsradikalen Szene durchgeführt haben. Wer könnte nach dieser mutigen Tat noch ernsthaft behaupten, Teile der Regierung seien auf dem rechten Auge blind? Gewiss, die medial gut inszenierte Serie an Razzien hat den kleinen Schönheitsfehler, dass die dazugehörigen Ermittlungen bereits seit Anfang 2018 laufen. Weshalb sich die Frage stellt, warum der Schlag gegen die rechte Szene ausgerechnet jetzt erfolgt. Und ob es sich nicht vielleicht um ein Ablenkungsmanöver handelt. Aber das ist natürlich eine völlig aus der Luft gegriffene Unterstellung. Denn wie wir der Aussendung der zuständigen Staatsanwaltschaft entnehmen, hat die Sache nur deshalb so lange gedauert, weil „mit der Bearbeitung des Falls ein im Dauerkrankenstand befindlicher Staatsanwalt befasst war“. Ja dann! Dann kann man den Sicherheitsbehörden eigentlich nur gute Besserung wünschen. (Salzburger Nachrichten, 10.4.19, S. 2)
Ein Auftritt für 32 Neonazi-Razzien (Anna Thalhammer)
Dass die Hausdurchsuchung nun ein Jahr nach dem auslösenden Vorfall zu einem für die Regierung günstigen Zeitpunkt erfolgte, und es sich darum um Symbolpolitik handeln könnte, stellte Justiz-Generalsekretär Pilnacek in Abrede: „Man kann Hausdurchsuchungen nicht nach politischer Beliebigkeit steuern. Das hat eine entsprechend lange Vorlaufzeit”, sagte er. Die begründete er mit einem Krankenstand des zuständigen Staatsanwalts in Leoben. Unpraktisch ist es für die auf die richtige Botschaft bedachte Regierung wohl trotzdem nicht. Nach den vergangenen turbulenten Tagen will man vermitteln: Diese Regierung ist sich im Kampf gegen Rechtsextremismus einig. Und: Die FPÖ zieht hier eine klare Trennlinie am rechten Rand. (Die Presse, 9.4.19)
Neonazi-Szene: Rasche Razzien nach mehr als einem Jahr (Maria Sterkl)
Warum aber musste ein Jahr vergehen, bis die Ermittler die Hausdurchsuchung anordneten? Der Grund liege keinesfalls in einem Versagen des Verfassungsschutzes, betont Pilnacek, sondern in einem „Dauerkrankenstand” bei der Staatsanwaltschaft Leoben. Die Ermittlungen seien jedenfalls ein „Beweis, dass die Beamten von Justiz und Polizei exzellent zusammengearbeitet haben”, sagt Pilnacek. Dass die Razzien und die kurzfristig anberaumte Pressekonferenz just mitten in die Zeit der öffentlichen Debatte über die rechtsextremen Verwicklungen der FPÖ und die Identitären-Causa fallen, sei ein Zufall und keinesfalls ein Ablenkungsmanöver, sagt Pilnacek auf entsprechende Fragen der Medienvertreter. Frage des Zeitpunkts Warum die Hausdurchsuchungen ausgerechnet jetzt stattfinden mussten, konnte Pilnacek aber nicht erklären. An einem dringenden Tatverdacht scheint es nicht zu liegen. Festgenommen wurde nämlich kein einziger der 90 Verdächtigen. (derstandard.at, 9.4.19)
*Update 18.6.19: Lt. Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage fand das Konzert bereits im Jänner 2018 (Nacht vom 20. auf den 21. Jänner) statt.