Hausbesuche bei Neonazis und eine seltsame Pressekonferenz

Im März 2018* fand im steirischen Mürz­tal ein Neon­azi-Konz­ert statt. Sei­ther wird gegen mit­tler­weile rund 90 Beschuldigte wegen NS-Wieder­betä­ti­gung ermit­telt. Im Som­mer 2018 set­zte es die ersten Haus­durch­suchun­gen. Am 9. April 2019 verkün­den auf ein­er eilig ein­berufe­nen Pressekon­ferenz die Gen­er­alsekretäre von Innen- und Jus­tizmin­is­teri­um, dass ger­ade 32 weit­ere Haus­durch­suchun­gen im Gange seien, die bele­gen wür­den, dass die Regierung entsch­ieden gegen Recht­sex­trem­is­mus vorge­he. Und das sollen wir nicht sehr, sehr merk­würdig finden?

Viel hat­ten die bei­den Gen­er­alsekretäre, Chris­t­ian Pil­nacek für das Jus­tizmin­is­teri­um und Peter Gold­gru­ber für das Innen­res­sort, nicht zu erzählen. Die Haus­durch­suchun­gen wür­den sich auf ganz Öster­re­ich (mit Aus­nahme Tirol) erstreck­en, es wur­den einige Waf­fen, Kriegs- und Naz­i­ma­te­r­i­al gefun­den. Gezeigt wur­den einige Nazi-Bild­chen, eine ziem­lich ros­tige Maschi­nen­pis­tole und einige Granat­en. Nähere Angaben kon­nten oder woll­ten die bei­den Gen­er­alsekretäre nicht machen. Dafür immer wieder die Beteuerun­gen von einem entsch­iede­nen Ein­satz gegen den Recht­sex­trem­is­mus und einem voll funk­tions­fähi­gen Ver­fas­sungss­chutz, der keineswegs durch die Haus­durch­suchung gegen das BVT und dessen Fol­gen beein­trächtigt sei …

Tattoo am Rücken eines der Beschuldigten aus der Hausdurchsuchung 9.4.19

Tat­too am Rück­en eines der Beschuldigten aus der Haus­durch­suchung 9.4.19 (via Twit­ter Fabi­an Schmid)

Warum in der Pressekon­ferenz nur von 32 Haus­durch­suchun­gen bzw. Verdächti­gen die Rede war, was mit dem Rest der 90 Beschuldigten, die erst in ein­er später ver­bre­it­eten Presseaussendung der zuständi­gen Staat­san­waltschaft Leoben erwäh­nt wur­den, passiert ist oder noch passieren soll, wurde nicht offen­gelegt. Warum kein Vertreter der Staat­san­waltschaft Leoben, die die Ermit­tlun­gen leit­et, bei der Pressekon­ferenz Auskun­ft geben durfte, blieb eben­so unklar – und damit auch eine plau­si­ble Antwort auf die Frage, warum erst jet­zt – mehr als ein Jahr nach dem Nazi-Konz­ert – diese Haus­durch­suchun­gen starteten. Ein Dauerkranken­stand des ursprünglich zuständi­gen Staat­san­walts sei die Ursache gewe­sen, so die Gen­er­alsekretäre, die laut „Kuri­er“ die bei­den Ressortchefs Kickl und Moser ver­trat­en, die eigentlich die Pressekon­ferenz durch­führen woll­ten. Kickl? Aus­gerech­net Kickl?

Trotz der aufwendi­gen Oper­a­tion, an der über 200 Polizeibeamte beteiligt waren, ist es bis­lang zu kein­er einzi­gen Fes­t­nahme gekom­men. Fast alle Medi­en berichteten daher mit unver­hohlen­er Skep­sis über die Pressekon­ferenz und die Haus­durch­suchun­gen. Bei uns laufen erste Infor­ma­tio­nen zum poli­tis­chen Back­ground des Neon­azi-Konz­erts im Mürz­tal ein. Der Umstand, dass es Teil­nehmerIn­nen aus ganz Öster­re­ich gegeben hat, deutet auf Struk­turen hin, über die das Konz­ert organ­isiert wurde. Dafür kom­men nur wenige in Frage. Ob es „Blood & Hon­our“ war, das ein regionaler Neon­azi auf seinem Bauch tätowiert hat, kön­nen wir aber derzeit noch nicht beant­worten. See you soon!

obersteirisches Bauchtattoo

ober­steirisches Bauchtattoo

Hier einige Auszüge aus den öster­re­ichis­chen Zeitungen:

Razz­ia – ohne poli­tis­che Absicht? (Michael Jungwirth)

Zum Schlag gegen die Neon­azi-Szene holten Jus­tiz und Polizei gestern aus. Dass ein Zusam­men­hang mit der Debat­te über die Iden­titären beste­ht, wird von der Poli­tik ener­gisch bestrit­ten.

Jochen Jance, der Bürg­er­meis­ter der ober­steirischen Fusion­s­ge­meinde St. Bar­bara, war auf dem Weg runter von der Alm, als er beim einst leg­endären Veitscher­hof ein gewaltiges Polizeiaufge­bot erblick­te. „Ich habe mich sehr gewun­dert über so viel Polizei“, erk­lärte der SPÖ-Bürg­er­meis­ter gestern Abend tele­fonisch im Gespräch. Erst später habe er erfahren, dass sich Neon­azis für einen Abend ein­quartiert hat­ten. „Ich habe mich geärg­ert, dass ich von der Polizei nicht vor­ab informiert wurde.“

Das Konz­ert im März 2018 im Veitscher­hof sorgte allerd­ings auch im Ort für Diskus­sio­nen: Der Veitscher­hof ist im Besitz der Gemeinde, jemand aus dem Nach­barort, vertei­digt man sich in der Fusion­s­ge­meinde (früheres Wart­berg, Mit­ter­dorf, Veitsch), hat­te den Saal unter Vor­spiegelung falsch­er Tat­sachen – man wolle dort eine Geburts­feier abhal­ten – angemietet. Ange­blich wollte man sich auch im heuri­gen Jahr wieder ein­quartieren, die Gemeinde lehnte post­wen­dend ab.

Das Neon­azi-Konz­ert war der Aus­gangspunkt für die gestern Früh in ganz Öster­re­ich von 217 Beamten durchge­führten Haus­durch­suchun­gen bei 32 Per­so­n­en. Der Hauptbeschuldigte ist ein 29-jähriger Steir­er, neben Neon­azi-Devo­tion­alien wur­den auch Hieb- und Stich­waf­fen, Kriegs­ma­te­ri­alien und Ton­träger beschlagnahmt. Fes­t­nah­men gab es vor­erst keine.

In ein­er kurzfristig ein­berufe­nen Pressekon­ferenz wiesen Chris­t­ian Pil­nacek und Peter Gold­gru­ber, die bei­den Gen­er­alsekretäre im Jus­tiz- wie auch im Innen­min­is­teri­um, den Vor­wurf zurück, dass es einen zeitlichen Zusam­men­hang mit dem Wirbel um die Iden­titären gebe bzw. die Razz­ia doku­men­tieren solle, dass die türkis-blaue Koali­tion ohne­hin ener­gisch gegen recht­sex­treme Umtriebe vorge­he. „Man kann Haus­durch­suchun­gen nicht nach poli­tis­ch­er Beliebigkeit steuern“, so Pil­nacek. Bekan­nte Neon­azis oder Iden­titäre seien, ergaben erste Ermit­tlun­gen, nicht unter den Verdächti­gen. Die Fäden laufen bei der Staat­san­waltschaft in Leoben zusam­men, seit 2018 wird gegen rund 90 Beschuldigte ermittelt.

Gold­gru­ber und Pil­nacek wollen allerd­ings die bun­desweit in acht von neun Bun­deslän­dern stattge­fun­de­nen Haus­durch­suchun­gen (nicht Tirol) als Beleg für die frik­tion­sweise Zusam­me­nar­beit zwis­chen Jus­tiz und Innen­min­is­teri­um, ins­beson­dere BVT, der das Konz­ert im Blick­feld hat­te, ver­standen wis­sen. „Die Behaup­tung, dass der BVT durch die Haus­durch­suchung im let­zten Jahr gelähmt sei, wird damit wider­legt“, so Gold­gru­ber. Warum allerd­ings nach einem Jahr zum großen Schlag gegen die Szene aus­ge­holt wurde, wird auf den „Dauerkranken­stand“ eines Leob­n­er Staat­san­walts zurück­ge­führt.

 (Kleine Zeitung,10.4.19; S. 6)

Haus­durch­suchun­gen: Ein durch­sichtiges Manöver (Christoph Schwarz)
Türkis-Blau schmückt sich mit einem Schlag gegen Rechts, der kein­er ist – und zeigt damit Nerven.

Die Botschaft, die man gestern aussenden wollte, war zwar klar: Diese Regierung ist (auch) auf dem recht­en Auge nicht blind. Gelun­gen ist der Befreiungss­chlag nicht. Im Gegen­teil: Wie über­hastet und unpro­fes­sionell er aus­ge­führt wurde, zeigt, wie verun­sichert die Regierung ist. Der laufende Stre­it um die iden­titäre Bewe­gung ist für die Koali­tion ihre vielle­icht größte Bewährungsprobe.

Dass man in den Führungszirkeln von ÖVP und FPÖ tat­säch­lich annahm, dass es reicht, jet­zt bei eini­gen wohl eher schlicht­en Skin­heads an die Tür zu klopfen und Nazi-Devo­tion­alien einzusam­meln, um von den struk­turellen Ver­flech­tun­gen zwis­chen FPÖ und Iden­titären abzu­lenken, zeugt nicht zulet­zt von ein­er gewis­sen Über­he­blichkeit. Das Kalkül ist – dies­mal – nicht aufge­gan­gen. (kurier.at, 9.4.19)

Eine Tat gegen die Zweifel
Leitar­tikel Wal­ter Hämmerle

Inhaltlich ste­hen die Haus­durch­suchun­gen vom Dien­stag in keinem direk­ten Zusam­men­hang mit den Verbindun­gen zwis­chen FPÖ und Iden­titären, son­dern sie sind die Folge von Ermit­tlun­gen der Staat­san­waltschaft Leoben auf­grund des Ver­dachts von Ver­stößen gegen das Ver­bots­ge­setz anlässlich eines Konz­erts im Neon­azi-Milieu.

Poli­tisch jedoch ist das offen­sive Vorge­hen gegen diese Szene ein hochnotwendi­ger Befreiungss­chlag für die FPÖ. Möglich, dass der zeitliche Zusam­men­fall ein pur­er Zufall ist. Daran glauben muss man freilich nicht. Man kann das als Ablenkungs­man­över bew­erten. Oder aber auch ein­fach als notwendi­ges Eingeständ­nis, dass es drin­gend an der Zeit für klare Hand­lun­gen ist. (wienerzeitung.at, 9.4.19)

Mutiger Schlag – oder Ablenkungs­man­över? (Andreas Koller)

Zufälle gibt’s! Mit­ten in die Debat­te über die Verbindun­gen der FPÖ zu den recht­sex­tremen Iden­titären platzte am Dien­stag die Mel­dung, dass die Sicher­heits­be­hör­den „in den frühen Mor­gen­stun­den des 9. April 2019“ einige Dutzend Haus­durch­suchun­gen in der recht­sradikalen Szene durchge­führt haben. Wer kön­nte nach dieser muti­gen Tat noch ern­sthaft behaupten, Teile der Regierung seien auf dem recht­en Auge blind? Gewiss, die medi­al gut insze­nierte Serie an Razz­ien hat den kleinen Schön­heits­fehler, dass die dazuge­höri­gen Ermit­tlun­gen bere­its seit Anfang 2018 laufen. Weshalb sich die Frage stellt, warum der Schlag gegen die rechte Szene aus­gerech­net jet­zt erfol­gt. Und ob es sich nicht vielle­icht um ein Ablenkungs­man­över han­delt. Aber das ist natür­lich eine völ­lig aus der Luft gegrif­f­ene Unter­stel­lung. Denn wie wir der Aussendung der zuständi­gen Staat­san­waltschaft ent­nehmen, hat die Sache nur deshalb so lange gedauert, weil „mit der Bear­beitung des Falls ein im Dauerkranken­stand befind­lich­er Staat­san­walt befasst war“. Ja dann! Dann kann man den Sicher­heits­be­hör­den eigentlich nur gute Besserung wün­schen. (Salzburg­er Nachricht­en, 10.4.19, S. 2)

Ein Auftritt für 32 Neon­azi-Razz­ien (Anna Thalhammer)

Dass die Haus­durch­suchung nun ein Jahr nach dem aus­lösenden Vor­fall zu einem für die Regierung gün­sti­gen Zeit­punkt erfol­gte, und es sich darum um Sym­bol­poli­tik han­deln kön­nte, stellte Jus­tiz-Gen­er­alsekretär Pil­nacek in Abrede: „Man kann Haus­durch­suchun­gen nicht nach poli­tis­ch­er Beliebigkeit steuern. Das hat eine entsprechend lange Vor­laufzeit”, sagte er. Die begrün­dete er mit einem Kranken­stand des zuständi­gen Staat­san­walts in Leoben.

 Unprak­tisch ist es für die auf die richtige Botschaft bedachte Regierung wohl trotz­dem nicht. Nach den ver­gan­genen tur­bu­len­ten Tagen will man ver­mit­teln: Diese Regierung ist sich im Kampf gegen Recht­sex­trem­is­mus einig. Und: Die FPÖ zieht hier eine klare Trennlin­ie am recht­en Rand. (Die Presse, 9.4.19)

Neon­azi-Szene: Rasche Razz­ien nach mehr als einem Jahr (Maria Sterkl)

Warum aber musste ein Jahr verge­hen, bis die Ermit­tler die Haus­durch­suchung anord­neten? Der Grund liege keines­falls in einem Ver­sagen des Ver­fas­sungss­chutzes, betont Pil­nacek, son­dern in einem „Dauerkranken­stand” bei der Staat­san­waltschaft Leoben. Die Ermit­tlun­gen seien jeden­falls ein „Beweis, dass die Beamten von Jus­tiz und Polizei exzel­lent zusam­mengear­beit­et haben”, sagt Pil­nacek. Dass die Razz­ien und die kurzfristig anber­aumte Pressekon­ferenz just mit­ten in die Zeit der öffentlichen Debat­te über die recht­sex­tremen Ver­wick­lun­gen der FPÖ und die Iden­titären-Causa fall­en, sei ein Zufall und keines­falls ein Ablenkungs­man­över, sagt Pil­nacek auf entsprechende Fra­gen der Medi­en­vertreter. Frage des Zeit­punk­ts Warum die Haus­durch­suchun­gen aus­gerech­net jet­zt stat­tfind­en mussten, kon­nte Pil­nacek aber nicht erk­lären. An einem drin­gen­den Tatver­dacht scheint es nicht zu liegen. Festgenom­men wurde näm­lich kein einziger der 90 Verdächti­gen. (derstandard.at, 9.4.19)

*Update 18.6.19: Lt. Beant­wor­tung ein­er par­la­men­tarischen Anfrage fand das Konz­ert bere­its im Jän­ner 2018 (Nacht vom 20. auf den 21. Jän­ner) statt.