Es ist nicht die erste Verstimmung in der Beziehung zwischen FPÖ und Identitären, die die beiden Partner zu bewältigen haben. Als eine FPÖ-nahe Seite 2014 den Sohn eines ÖVP-Politikers als Identitären outete (in der Absicht, der ÖVP damit eines auszuwischen), waren die Idis schwer verstimmt, wollten zunächst gar nichts mehr mit der FPÖ zu tun haben. Reihenweise marschierten sie auf der üblen Facebook-Seite „Der Blaue Stammtisch“ auf, um es der FPÖ so richtig reinzusagen: „Ihr seid’s ja komplette Vollidioten hier …“ schreibt einer, andere schimpfen über die „Deppen“, die „Pöbelseite“, die „unterste Schublade“, das „Letztklassigste“.
Auch der „Feldherr“ der Identitären selbst war damals zunächst ziemlich aufgewühlt: „Wer solche ‚Freunde’ hat braucht keine Antifa mehr. Identitäre Patrioten gegen ihren Willen outen- das macht normalerweise die Antifa…“
Als die Stimmung vollends zu kippen drohte, rückte der Martin dann noch einmal aus, um den Konflikt wieder einzugrenzen. Mit seiner Schelte habe er natürlich nur die „Stammtisch“-Seite gemeint und nicht die FPÖ. Na also!
In den folgenden Jahren konnte kein Wässerchen die Harmonie zwischen Identitären und der FPÖ trüben, auch wenn der FPÖ-Vorsitzende Strache erinnerungsmäßig etwas schwächelt, was die Lobpreisung der Identitären als Aktivisten einer nichtlinken Zivilgesellschaft und das Zusammentreffen am gedeckten Wirtshaustisch betrifft. Selbst der Auszug aus einem Protokoll des FPÖ-Bundesparteivorstandes vom 12. Februar 2018, in dem festgestellt wird, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig aktives Mitglied der Identitären und Funktionär der FPÖ zu sein, ändert da nichts daran. Warum?
Weil die Identitäre Bewegung keine klassischer Mitgliederorganisation ist – sie existiert mit dem Namen nicht einmal als Verein –, sondern sich hauptsächlich aus AktivistInnen speist. Und was die durch Kanzler Kurz kurzfristig ausgelösten Beziehungsturbulenzen und Distanzierungserklärungen zwischen FPÖ und Identitäre betrifft: Wir wissen doch alle, dass eine vorübergehende Trennung von Tisch und Bett auch eine eingerostete Beziehung wieder so richtig heiß machen kann!
Außerdem hat der identitäre Feldherr selbst in einem Beitrag für die Seite der deutschen Idis („Wer sich distanziert, verliert?“) detailliert beschrieben, wie man sich als Identitärer richtig distanziert, ohne dabei zu verlieren.
Sellner beschreibt das an einem schönen Beispiel: Ein „älterer Herr“, von ihm auch ziemlich abschätzig als „Ein-Mann-Kreisverband“ der Neonazi-Partei „Die Rechte“ beschrieben, wollte angeblich bei einer Idi-Demo mitmarschieren und wurde von Sellner, der natürlich selbst in Deutschland solche Dinge regeln muss, mit einem „Raus!“ abgefertigt. Zunächst einmal befallen Sellner aber Zweifel: „Es waren vielleicht vor allem Stress und Zeitdruck, die uns zur knappen Entscheidung drängten.“
Als sich – so Sellner in seiner schönen Sage – der ältere Herr am nächsten Tag angeblich und ausgerechnet bei einer linken Zeitung als Neonazi outet, fällt jeder Zweifel vom Feldherren ab, und er wird ganz klar und hart:
„Es war ein ‚praktischer Anwendungsfall’ eines Grundsatzes der Identitären Bewegung in Deutschland und Österreich. Der Grundsatz lautet, sich, wenn es nottut, explizit und ausdrücklich zu distanzieren.“
Martin, der Feldherr, bleibt da knallhart, auch wenn vor allem die „liberaleren“ und kaum aktiven Mitläufer diese Distanzierung der Identitären von den „Altrechten“ mit Spott und Häme überziehen:
„Gerade in Wien sind wir hier sehr konsequent und fahren einen politischen ‚Straight-Edge’-Kurs gegen alles ‚Altrechte’ und ‚Szenetypische.’“
Da müssen wir doch ein bisschen schmunzeln über Martin, diesen Schlingel, der uns schon wieder ein X für ein U verkaufen will. Wir können uns nämlich sehr gut an die diversen identitären Demos an Wien erinnern, zum Beispiel an die im Jahr 2014 oder die im Jahr 2015 (gut dokumentiert hier). Noch deutlicher die Demos in Spielfeld 2015, wo es ganz offen zu gemeinsamen Aufmärschen von Neonazis und Identitären kam.
In seinem Beitrag über die richtige Distanzierung erklärt das der identitäre Feldherr dann so: „Eine kämpferische Positionierung bewegt sich virtuos zwischen den Begriffen.“ – Alles klar?“
Jetzt müssen wir nur noch erklären, warum wir Sellner als Feldherrn bezeichnen: Das hängt damit zusammen, dass er sich in seinem Beitrag übers richtige Distanzieren selbst als solcher sieht und wir außerdem aus geleakten Unterlagen der Idis wissen, die Idi-Chefs geistig und zeitlich über das alte Sparta nicht hinausgekommen sind.
In einer bemerkenswert offenen Sequenz seines Beitrags über das richtige Distanzieren erklärt Sellner, warum das einfache Fußvolk der Idis, die „Soldaten“ ein bisschen einfältig, aber treu ist und schnell einmal „Verrat“ wittert, während der Feldherr, in diesem Fall also unser Martin, jederzeit sein Fähnchen in den Wind hängen bzw. auf einem anderen Hügel aufpflanzen darf:
„Eine Distanzierung von einem Begriff oder einer Parole bedeutet für jeden, der inhaltlich auf leichten Füßen steht einen inhaltlichen ‚Verrat’. In gewisser Weise ist diese einfache Treue, die etwa auch der Treue eines Fanclubs zu seinen Zeichen und Parolen entspricht, auch notwendig. Sie ist die Pflicht eines ‚Soldaten’, der unhinterfragt zu seinem Posten und seiner Fahne stehen muss. Die Aufgabe eines ‚Feldherren’ gerade im metapolitischen Kampf ist aber die Frage, wo der Posten stehen, auf welchem Hügel die Fahne aufgepflanzt werden soll.“
So gesehen, lassen sich alle Distanzierungen von Blauen, Idis und Neonazis unter- und gegeneinander ganz gut aushalten.
trennlinie zwischen fpö und identitäre pic.twitter.com/9L7cBOXEXs
— christopher glanzl (@tschoka23) 6. April 2019