Identitäre & FPÖ: Wie und womit man sich richtig distanziert

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Heu­len und Zäh­ne­knir­schen ist ganz rechts ange­sagt! Die FPÖ-Spit­zen distan­zie­ren sich von den Iden­ti­tä­ren, die Spit­zen der Iden­ti­tä­ren distan­zie­ren sich von der FPÖ und den Neo­na­zis – und die bösen Lin­ken inklu­si­ve „Stoppt die Rech­ten“ kau­fen ihnen das nicht ab. War­um? Weil wir das schon des Öfte­ren erlebt haben, und weil wir beim „Feld­her­ren“ Mar­tin Sell­ner nach­ge­le­sen haben, wie man sich rich­tig distan­ziert, ohne sich wirk­lich zu distanzieren.

Es ist nicht die ers­te Ver­stim­mung in der Bezie­hung zwi­schen FPÖ und Iden­ti­tä­ren, die die bei­den Part­ner zu bewäl­ti­gen haben. Als eine FPÖ-nahe Sei­te 2014 den Sohn eines ÖVP-Poli­ti­kers als Iden­ti­tä­ren oute­te (in der Absicht, der ÖVP damit eines aus­zu­wi­schen), waren die Idis schwer ver­stimmt, woll­ten zunächst gar nichts mehr mit der FPÖ zu tun haben. Rei­hen­wei­se mar­schier­ten sie auf der üblen Face­book-Sei­te „Der Blaue Stamm­tisch“ auf, um es der FPÖ so rich­tig rein­zu­sa­gen: „Ihr seid’s ja kom­plet­te Voll­idio­ten hier …“ schreibt einer, ande­re schimp­fen über die „Dep­pen“, die „Pöbel­sei­te“, die „unters­te Schub­la­de“, das „Letzt­klas­sigs­te“.

Auch der „Feld­herr“ der Iden­ti­tä­ren selbst war damals zunächst ziem­lich auf­ge­wühlt: „Wer sol­che ‚Freun­de’ hat braucht kei­ne Anti­fa mehr. Iden­ti­tä­re Patrio­ten gegen ihren Wil­len outen- das macht nor­ma­ler­wei­se die Anti­fa…

Sellner in FB-Gruppe "Der blaue Stammtisch"

Sell­ner in FB-Grup­pe „Der blaue Stammtisch”

Als die Stim­mung voll­ends zu kip­pen droh­te, rück­te der Mar­tin dann noch ein­mal aus, um den Kon­flikt wie­der ein­zu­gren­zen. Mit sei­ner Schel­te habe er natür­lich nur die „Stammtisch“-Seite gemeint und nicht die FPÖ. Na also!

Sellner in FB-Gruppe "Der blaue Stammtisch"

Sell­ner in FB-Grup­pe „Der blaue Stammtisch”

In den fol­gen­den Jah­ren konn­te kein Wäs­ser­chen die Har­mo­nie zwi­schen Iden­ti­tä­ren und der FPÖ trü­ben, auch wenn der FPÖ-Vor­sit­zen­de Stra­che erin­ne­rungs­mä­ßig etwas schwä­chelt, was die Lob­prei­sung der Iden­ti­tä­ren als Akti­vis­ten einer nicht­lin­ken Zivil­ge­sell­schaft und das Zusam­men­tref­fen am gedeck­ten Wirts­haus­tisch betrifft. Selbst der Aus­zug aus einem Pro­to­koll des FPÖ-Bun­des­par­tei­vor­stan­des vom 12. Febru­ar 2018, in dem fest­ge­stellt wird, dass es nicht mög­lich ist, gleich­zei­tig akti­ves Mit­glied der Iden­ti­tä­ren und Funk­tio­när der FPÖ zu sein, ändert da nichts dar­an. Warum?

Protokoll FPÖ-Bundesparteivorstand: Position zu Identitären (2018)

Pro­to­koll FPÖ-Bun­des­par­tei­vor­stand: Posi­ti­on zu Iden­ti­tä­ren (Febru­ar 2018)

Weil die Iden­ti­tä­re Bewe­gung kei­ne klas­si­scher Mit­glie­der­or­ga­ni­sa­ti­on ist – sie exis­tiert mit dem Namen nicht ein­mal als Ver­ein –, son­dern sich haupt­säch­lich aus Akti­vis­tIn­nen speist. Und was die durch Kanz­ler Kurz kurz­fris­tig aus­ge­lös­ten Bezie­hungs­tur­bu­len­zen und Distan­zie­rungs­er­klä­run­gen zwi­schen FPÖ und Iden­ti­tä­re betrifft: Wir wis­sen doch alle, dass eine vor­über­ge­hen­de Tren­nung von Tisch und Bett auch eine ein­ge­ros­te­te Bezie­hung wie­der so rich­tig heiß machen kann!

Außer­dem hat der iden­ti­tä­re Feld­herr selbst in einem Bei­trag für die Sei­te der deut­schen Idis („Wer sich distan­ziert, ver­liert?“) detail­liert beschrie­ben, wie man sich als Iden­ti­tä­rer rich­tig distan­ziert, ohne dabei zu verlieren.

Sell­ner beschreibt das an einem schö­nen Bei­spiel: Ein „älte­rer Herr“, von ihm auch ziem­lich abschät­zig als „Ein-Mann-Kreis­ver­band“ der Neo­na­zi-Par­tei „Die Rech­te“ beschrie­ben, woll­te angeb­lich bei einer Idi-Demo mit­mar­schie­ren und wur­de von Sell­ner, der natür­lich selbst in Deutsch­land sol­che Din­ge regeln muss, mit einem „Raus!“ abge­fer­tigt. Zunächst ein­mal befal­len Sell­ner aber Zwei­fel: „Es waren viel­leicht vor allem Stress und Zeit­druck, die uns zur knap­pen Ent­schei­dung drängten.“

Als sich – so Sell­ner in sei­ner schö­nen Sage – der älte­re Herr am nächs­ten Tag angeb­lich und aus­ge­rech­net bei einer lin­ken Zei­tung als Neo­na­zi outet, fällt jeder Zwei­fel vom Feld­her­ren ab, und er wird ganz klar und hart:

Es war ein ‚prak­ti­scher Anwen­dungs­fall’ eines Grund­sat­zes der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung in Deutsch­land und Öster­reich. Der Grund­satz lau­tet, sich, wenn es not­tut, expli­zit und aus­drück­lich zu distan­zie­ren.

Mar­tin, der Feld­herr, bleibt da knall­hart, auch wenn vor allem die „libe­ra­le­ren“ und kaum akti­ven Mit­läu­fer die­se Distan­zie­rung der Iden­ti­tä­ren von den „Alt­rech­ten“ mit Spott und Häme überziehen:

Gera­de in Wien sind wir hier sehr kon­se­quent und fah­ren einen poli­ti­schen ‚Straight-Edge’-Kurs gegen alles ‚Alt­rech­te’ und ‚Sze­ne­ty­pi­sche.’

Da müs­sen wir doch ein biss­chen schmun­zeln über Mar­tin, die­sen Schlin­gel, der uns schon wie­der ein X für ein U ver­kau­fen will. Wir kön­nen uns näm­lich sehr gut an die diver­sen iden­ti­tä­ren Demos an Wien erin­nern, zum Bei­spiel an die im Jahr 2014 oder die im Jahr 2015 (gut doku­men­tiert hier). Noch deut­li­cher die Demos in Spiel­feld 2015, wo es ganz offen zu gemein­sa­men Auf­mär­schen von Neo­na­zis und Iden­ti­tä­ren kam.

In sei­nem Bei­trag über die rich­ti­ge Distan­zie­rung erklärt das der iden­ti­tä­re Feld­herr dann so: „Eine kämp­fe­ri­sche Posi­tio­nie­rung bewegt sich vir­tu­os zwi­schen den Begrif­fen.“ – Alles klar?“

Jetzt müs­sen wir nur noch erklä­ren, war­um wir Sell­ner als Feld­herrn bezeich­nen: Das hängt damit zusam­men, dass er sich in sei­nem Bei­trag übers rich­ti­ge Distan­zie­ren selbst als sol­cher sieht und wir außer­dem aus gele­ak­ten Unter­la­gen der Idis wis­sen, die Idi-Chefs geis­tig und zeit­lich über das alte Spar­ta nicht hin­aus­ge­kom­men sind.

In einer bemer­kens­wert offe­nen Sequenz sei­nes Bei­trags über das rich­ti­ge Distan­zie­ren erklärt Sell­ner, war­um das ein­fa­che Fuß­volk der Idis, die „Sol­da­ten“ ein biss­chen ein­fäl­tig, aber treu ist und schnell ein­mal „Ver­rat“ wit­tert, wäh­rend der Feld­herr, in die­sem Fall also unser Mar­tin, jeder­zeit sein Fähn­chen in den Wind hän­gen bzw. auf einem ande­ren Hügel auf­pflan­zen darf:

Eine Distan­zie­rung von einem Begriff oder einer Paro­le bedeu­tet für jeden, der inhalt­lich auf leich­ten Füßen steht einen inhalt­li­chen ‚Ver­rat’. In gewis­ser Wei­se ist die­se ein­fa­che Treue, die etwa auch der Treue eines Fan­clubs zu sei­nen Zei­chen und Paro­len ent­spricht, auch not­wen­dig. Sie ist die Pflicht eines ‚Sol­da­ten’, der unhin­ter­fragt zu sei­nem Pos­ten und sei­ner Fah­ne ste­hen muss. Die Auf­ga­be eines ‚Feld­her­ren’ gera­de im meta­po­li­ti­schen Kampf ist aber die Fra­ge, wo der Pos­ten ste­hen, auf wel­chem Hügel die Fah­ne auf­ge­pflanzt wer­den soll.“

So gese­hen, las­sen sich alle Distan­zie­run­gen von Blau­en, Idis und Neo­na­zis unter- und gegen­ein­an­der ganz gut aushalten.