Zur österreichischen Chemnitz-Berichterstattung – eine Medienkritik

Was war das nun in Chem­nitz? Gehen wir nach den öster­re­ichis­chen Medi­en, waren die pogro­mar­ti­gen, neon­azis­tisch dominierten Auss­chre­itun­gen vor­wiegend etwas, was „rechte“, „recht­sradikale“, „recht­spop­ulis­tis­che“ und sehr viel sel­tener „neon­azis­tis­che“ Grup­pierun­gen ver­anstal­teten. Während bere­its am Son­ntag (26.8.) in den Sozialen Medi­en – vor allem auf Twit­ter – sehr schnell erschreck­ende Bilder und Videos aus Chem­nitz auf­taucht­en und deutsche Jour­nal­istIn­nen berichteten, sich aus Angst vor Angrif­f­en zurückziehen zu müssen, fiel öster­re­ichis­chen Jour­nal­istIn­nen die begriff­s­mäßige Einord­nung der Geschehnisse recht schwer.

Am Son­ntag (26.8.) am späteren Nach­mit­tag ver­meldete die APA (in Über­nahme von der DPA), dass es in Chem­nitz zu ein­er „tödlichen Messer­stecherei“ gekom­men sei und dann knapp nach 18 Uhr: „Nach tödlichem Stre­it in Chem­nitz: Hun­derte demon­stri­eren in der City – Wie die ‚Bild’ berichtete, seien unter den Demon­stran­ten ‚gewalt­bere­ite Rechte’, die gegen Aus­län­derkrim­i­nal­ität protestierten und Sprüche wie ‚Wir sind das Volk’ skandierten. Der Mit­teldeutsche Rund­funk (MDR) berichtete von Rangeleien. Antifaschis­tis­che Aktivis­ten berichteten in sozialen Medi­en von Über­grif­f­en auf Migranten. Der Polizei waren zunächst keine Hin­weise auf Auss­chre­itun­gen bekan­nt. Am frühen Nach­mit­tag hat­te zunächst die Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) zu ein­er Kundge­bung aufgerufen. Diesem Aufruf waren etwa 100 Men­schen gefol­gt. Diese Ver­anstal­tung blieb laut Polizei störungs­frei. Dem fol­gte die zweite Kundge­bung, der deut­lich mehr Men­schen fol­gten.“ (APA 26.8.18, 18h25)

Etwa zwei Stun­den später fol­gte zu Chem­nitz noch eine „zusam­men­fassende Mel­dung“: „Laut der Zeitung ‚Freie Presse’ fol­gten die Demon­stran­ten dem Aufruf ein­er recht­en Ultra-Fußbal­lvere­ini­gung, die auf Face­book dazu aufgerufen hat­te, ‚zu zeigen, wer in der Stadt das sagen hat.’“ (APA 26.8.18, 20h47) Nach 22 Uhr veröf­fentlichte die APA nochmals eine Zusam­men­fas­sung mit einem State­ment der Chem­nitzer Ober­bürg­er­meis­terin: „Dass es möglich ist, dass sich Leute verabre­den, ansam­meln und damit ein Stadt­fest zum Abbruch brin­gen, durch die Stadt ren­nen und Men­schen bedro­hen — das ist schlimm.“ (APA 26.8.18, 22h14)

Tonal­ität und Word­ing waren damit fest­gelegt: „Rechte“ Grup­pen demon­stri­erten in Chem­nitz, dabei sei es zu Über­grif­f­en gekom­men. Dass es sich dabei um Neon­azis han­delte, die sich da in Chem­nitz ver­sam­melt hat­ten, war nicht zu lesen, obwohl in den Sozialen Medi­en bere­its genug Zeug­nisse – auch von Jour­nal­istIn­nen –  zu find­en waren, in denen klar benan­nt wurde, wer auf den Chem­nitzer Straßen wütete und Jagd auf Migran­tInnen veranstaltete.

Auch am Mon­tag war in diversen APA-Aussendun­gen weit­ge­hend von „recht­en“ Grup­pierun­gen und „recht­en“ Parolen die Rede: „Am Nach­mit­tag waren nach einem Aufruf ein­er recht­en Ultra-Grup­pierung aus dem Umfeld des Fußball-Region­aligis­ten Chem­nitzer FC rund 1000 Men­schen, darunter zahlre­iche Rechte, durch die Innen­stadt gezo­gen. ‚Die sich anschließende Mobil­isierungswelle im Spek­trum der extremen Recht­en und Hooli­gans lassen Erin­nerun­gen an die Pogrome zu Beginn der 1990er Jahre aufkom­men’, sagte Feiks [Poli­tik­erin von Die Linke]. (…) Auf Videos ist zu sehen, wie Aus­län­der von Per­so­n­en aus der Masse her­aus attack­iert wer­den. Zu hören sind Rufe wie ‚Wir sind das Volk’, aber auch rechte Parolen wie ‚Deutsch, sozial, nation­al’. Aus Sicher­heits­grün­den war zuvor das Stadt­fest abge­brochen wor­den.“ (APA 27.8.18, 14h07)

Nach dem von Neon­azis dominierten Auf­marsch am Mon­tag und der Gegen­demon­stra­tion berichtete die APA am Abend: „Bei Zusam­men­stößen rechts- und links­gerichteter Demon­stran­ten hat es am Mon­tagabend in Chem­nitz nach Polizeiangaben mehrere Ver­let­zte gegeben. Sie hät­ten zur Behand­lung in ein Kranken­haus gebracht wer­den müssen, nach­dem Kundge­bung­steil­nehmer der bei­den Ver­samm­lungslager mit ‚Feuer­w­erk­skör­pern und anderen Gegen­stän­den’ gewor­fen hät­ten, teilte die Polizei mit.“ (APA 27.8.18,20h19) „Bei der Kundge­bung der Gruppe ‚Pro Chem­nitz’ habe es Hin­weise auf Hit­ler­grüße gegeben, meldete die Polizei. Zudem habe ein Bünd­nis ‚Chem­nitz naz­ifrei’ eine Kundge­bung angemeldet. Vere­inzelt seien Teil­nehmer der ver­schiede­nen Ver­samm­lun­gen aneinan­derg­er­at­en.“ (APA 27.8.18,23h29)

Ins­ge­samt ist in der gesamten öster­re­ichis­chen Medi­en­szene zu beobacht­en, dass die Beze­ich­nung der­er, die in Chem­nitz gewütet haben, schw­er­fällt. Da wer­den Neon­azis vor­wiegend zu „Recht­en“ oder auch „Recht­spop­ulis­ten“, sel­tener zu „Recht­sex­tremen“, „Recht­sradikalen“; vielfach wer­den die Begrif­flichkeit­en in einem Artikel nebeneinan­der ver­wen­det, ohne deren Bedeu­tung­sun­ter­schiede auch nur ansatzweise zu verdeut­lichen. Dass es in Deutsch­land, ins­beson­dere, was die strafrechtliche Rel­e­vanz bet­rifft, andere Def­i­n­i­tio­nen als in Öster­re­ich gibt, mag zum völ­li­gen Begriffs-Wirr-Warr mit beige­tra­gen haben, da Infor­ma­tio­nen und Mel­dun­gen aus Deutsch­land über­nom­men wur­den. (Siehe dazu: Zum Begriff des Recht­sex­trem­is­mus)

Bir­git Bau­mann wurde in einem Kom­men­tar im Stan­dard zwar deut­lich, dass es sich um Neon­azis han­delte, benen­nt sie jedoch auch nicht: „Die Sach­sen seien ‚immun’ gegen Recht­sradikalis­mus, hat der frühere Min­is­ter­präsi­dent Kurt Biedenkopf ein­mal gesagt. Offen­bar gilt das heute – trotz eben­so aus­re­ichen­der wie bedauer­lich­er Gegen­be­weise – in der CDU immer noch. Der ‚Feind’ wird links gese­hen, nicht rechts.Dass in diesem Kli­ma das rechte Spek­trum immer stärk­er wird, ver­wun­dert nicht. Es wäre jet­zt Zeit für klare Worte aus der säch­sis­chen CDU. Schweigen und sich duck­en – aus Angst vor der AfD – ist ein falsch­er und schändlich­er Weg.“

Auch Die Presse kon­nte sich nicht entschei­den: „Ein 35-jähriger Deutsch­er wird getötet. Dann zieht ein rechter Mob durch Chem­nitz. Die Regierung ist entset­zt. (…) Doch noch bevor die ersten Fak­ten durch­sick­ern, am Son­nta­gnach­mit­tag schon, ruft die Hooli­gantruppe ‚Kaot­ic Chem­nitz’ zur Demo auf — um ‚zu zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat’. 800 Men­schen fol­gen dem Aufruf der Ultras, die der Ver­fas­sungss­chutz als recht­sex­trem ein­stuft. (…) Gestern Abend zogen wieder Demon­stran­ten durch die Stadt: Dabei gab es Zusam­men­stöße zwis­chen rechts- und links­gerichteter Kundge­bung­steil­nehmern. Mehrere Men­schen wur­den ver­let­zt. Demon­stran­ten aus bei­den Lagern beschossen einan­der mit Feuer­w­erk­skör­pern und bewar­fen sich mit Gegen­stän­den. Die Polizei war mit einem Großaufge­bot unter­wegs.“ (Die Presse, 28.8.18)

Im Kuri­er ist am 27.8. zwar von Neon­azis zu lesen („Neon­azis und Hooli­gans zogen am Son­ntag durch Chem­nitz, ran­dalierten und macht­en Jagd auf Migranten.“), gle­ichzeit­ig wird in einem anderen Artikel wieder von ein­er „recht­en“ Demo geschrieben („Rechte Demo und ihre Geg­n­er wer­den derzeit durch die Polizei getren­nt.“).

Und dann kam Strache

Erst als Heinz-Chris­t­ian Stra­che auf seinem Face­book-Account fürs Grobe, dem pri­vat­en, den gewalt­täti­gen Mob auf den Straßen von Chem­nitz mit einem Shar­ing des recht­sex­tremen Wochen­blick indi­rekt vertei­digt hat­te, wurde auch im Stan­dard Klar­text gesprochen und zwis­chen „recht­sex­trem“ und „neon­azis­tisch“ dif­feren­ziert: „Der Vizekan­zler teilte Artikel, die Neon­azi-Aufmärsche ver­harm­losten (…) Recht­sex­treme und neon­azis­tis­che Grup­pen organ­isierten daraufhin ‚Trauer­märsche’, bei denen es zu Über­griffe auf aus­ländisch ausse­hende Per­so­n­en kam. Außer­dem wur­den neon­azis­tis­che Parolen skandiert, ‚Demon­stran­ten’ zeigten Hit­ler­grüße. Die Polizei war nicht in der Lage, die Neon­azi-Märsche zu kon­trol­lieren. Die deutsche Bun­desregierung verurteilte die recht­sex­tremen Auss­chre­itun­gen.“ (Der Stan­dard, 31.8.18; online in leicht verän­dert­er Ver­sion)

Bemerkenswert ist, dass es der bei ein­heimis­chen Vor­fällen recht schweigsame Bun­deskan­zler Sebas­t­ian Kurz schaffte, sich zu äußern und die Über­griffe als „neo-nazis­tisch” zu tit­ulieren – aber nur auf Twit­ter, was ihm den Vor­wurf ein­brin­gen kön­nte, dass er sein Face­book-Pub­likum einem solcher­maßen kund­geta­nen Schreck­en nicht aus­liefern wollte. Und der deutsche SPD-Jungstar Kevin Küh­n­ert antwortete Kurz – wie viele andere auch – wenig wohlgesonnen.

Twitter: Kurz zu Chemnitz, Antwort Kühnert (SPD)

Twit­ter: Kurz zu Chem­nitz, Antwort Küh­n­ert (SPD)

Dass die ZiB 24 am 28.8. aus­gerech­net den in Fachkreisen hochum­strit­te­nen Dres­d­ner Poli­tik­wis­senschafter Wern­er Patzelt zugeschal­tet hat­te, ist angesichts der großen Anzahl an renom­mierten Fach­leuten unver­ständlich. So durfte Patzelt auch im ORF seine ewig alten Sprüche vom unver­stande­nen Volk der Sach­sen, dem durch eine ver­fehlte Ein­wan­derungspoli­tik Bös­es ange­tan wurde, unwider­sprochen herunterleiern.

PEGIDA-Versteher Werner Patzelt bei der ZiB 24 zu Chemnitz

PEGI­DA-Ver­ste­her Wern­er Patzelt bei der ZiB 24 zu Chemnitz

Eine gute Zusam­men­fas­sung, wer in Chem­nitz zu welchem Zeit­punkt am Son­ntag und Mon­tag für die Nazi-Aufmärsche mobil­isiert hat, liefert das Mag­a­zin „der rechte rand“: Es ist belegt, dass die Ini­tia­tive von recht­sex­tremen und neon­azis­tis­chen Organ­i­sa­tio­nen aus­ging und dann auch noch Unter­stützung durch die AfD erhielt. Das Resul­tat ken­nen wir, die Täter_innen soll­ten auch entsprechend ein­ge­ord­net und benan­nt werden.

Nach­wort: Rechts gegen Links?

Twitter – Demonstration in Chemnitz: nicht "rechts vs. links"

Twit­ter – Demon­stra­tion in Chem­nitz: nicht „rechts vs. links”