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Zur österreichischen Chemnitz-Berichterstattung – eine Medienkritik

Was war das nun in Chem­nitz? Gehen wir nach den öster­rei­chi­schen Medi­en, waren die pogrom­ar­ti­gen, neo­na­zis­tisch domi­nier­ten Aus­schrei­tun­gen vor­wie­gend etwas, was „rech­te“, „rechts­ra­di­ka­le“, „rechts­po­pu­lis­ti­sche“ und sehr viel sel­te­ner „neo­na­zis­ti­sche“ Grup­pie­run­gen ver­an­stal­te­ten. Wäh­rend bereits am Sonn­tag (26.8.) in den Sozia­len Medi­en – vor allem auf Twit­ter – sehr schnell erschre­cken­de Bil­der und Vide­os aus Chem­nitz auftauchten […]

31. Aug 2018
Neonazi Chemnitz 27.8.18 (mit Hitlergruß und Quarzhandschuh)
Neonazi Chemnitz 27.8.18 (mit Hitlergruß und Quarzhandschuh)

Am Sonn­tag (26.8.) am spä­te­ren Nach­mit­tag ver­mel­de­te die APA (in Über­nah­me von der DPA), dass es in Chem­nitz zu einer „töd­li­chen Mes­ser­ste­che­rei“ gekom­men sei und dann knapp nach 18 Uhr: „Nach töd­li­chem Streit in Chem­nitz: Hun­der­te demons­trie­ren in der City – Wie die ‚Bild’ berich­te­te, sei­en unter den Demons­tran­ten ‚gewalt­be­rei­te Rech­te’, die gegen Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät pro­tes­tier­ten und Sprü­che wie ‚Wir sind das Volk’ skan­dier­ten. Der Mit­tel­deut­sche Rund­funk (MDR) berich­te­te von Ran­ge­lei­en. Anti­fa­schis­ti­sche Akti­vis­ten berich­te­ten in sozia­len Medi­en von Über­grif­fen auf Migran­ten. Der Poli­zei waren zunächst kei­ne Hin­wei­se auf Aus­schrei­tun­gen bekannt. Am frü­hen Nach­mit­tag hat­te zunächst die Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) zu einer Kund­ge­bung auf­ge­ru­fen. Die­sem Auf­ruf waren etwa 100 Men­schen gefolgt. Die­se Ver­an­stal­tung blieb laut Poli­zei stö­rungs­frei. Dem folg­te die zwei­te Kund­ge­bung, der deut­lich mehr Men­schen folg­ten.“ (APA 26.8.18, 18h25)

Etwa zwei Stun­den spä­ter folg­te zu Chem­nitz noch eine „zusam­men­fas­sen­de Mel­dung“: „Laut der Zei­tung ‚Freie Pres­se’ folg­ten die Demons­tran­ten dem Auf­ruf einer rech­ten Ultra-Fuß­ball­ver­ei­ni­gung, die auf Face­book dazu auf­ge­ru­fen hat­te, ‚zu zei­gen, wer in der Stadt das sagen hat.’“ (APA 26.8.18, 20h47) Nach 22 Uhr ver­öf­fent­lich­te die APA noch­mals eine Zusam­men­fas­sung mit einem State­ment der Chem­nit­zer Ober­bür­ger­meis­te­rin: „Dass es mög­lich ist, dass sich Leu­te ver­ab­re­den, ansam­meln und damit ein Stadt­fest zum Abbruch brin­gen, durch die Stadt ren­nen und Men­schen bedro­hen — das ist schlimm.“ (APA 26.8.18, 22h14)

Tona­li­tät und Wor­ding waren damit fest­ge­legt: „Rech­te“ Grup­pen demons­trier­ten in Chem­nitz, dabei sei es zu Über­grif­fen gekom­men. Dass es sich dabei um Neo­na­zis han­del­te, die sich da in Chem­nitz ver­sam­melt hat­ten, war nicht zu lesen, obwohl in den Sozia­len Medi­en bereits genug Zeug­nis­se – auch von Jour­na­lis­tIn­nen –  zu fin­den waren, in denen klar benannt wur­de, wer auf den Chem­nit­zer Stra­ßen wüte­te und Jagd auf Migran­tIn­nen veranstaltete.

Auch am Mon­tag war in diver­sen APA-Aus­sen­dun­gen weit­ge­hend von „rech­ten“ Grup­pie­run­gen und „rech­ten“ Paro­len die Rede: „Am Nach­mit­tag waren nach einem Auf­ruf einer rech­ten Ultra-Grup­pie­rung aus dem Umfeld des Fuß­ball-Regio­na­li­gis­ten Chem­nit­zer FC rund 1000 Men­schen, dar­un­ter zahl­rei­che Rech­te, durch die Innen­stadt gezo­gen. ‚Die sich anschlie­ßen­de Mobi­li­sie­rungs­wel­le im Spek­trum der extre­men Rech­ten und Hoo­li­gans las­sen Erin­ne­run­gen an die Pogro­me zu Beginn der 1990er Jah­re auf­kom­men’, sag­te Feiks [Poli­ti­ke­rin von Die Lin­ke]. (…) Auf Vide­os ist zu sehen, wie Aus­län­der von Per­so­nen aus der Mas­se her­aus atta­ckiert wer­den. Zu hören sind Rufe wie ‚Wir sind das Volk’, aber auch rech­te Paro­len wie ‚Deutsch, sozi­al, natio­nal’. Aus Sicher­heits­grün­den war zuvor das Stadt­fest abge­bro­chen wor­den.“ (APA 27.8.18, 14h07)

Nach dem von Neo­na­zis domi­nier­ten Auf­marsch am Mon­tag und der Gegen­de­mons­tra­ti­on berich­te­te die APA am Abend: „Bei Zusam­men­stö­ßen rechts- und links­ge­rich­te­ter Demons­tran­ten hat es am Mon­tag­abend in Chem­nitz nach Poli­zei­an­ga­ben meh­re­re Ver­letz­te gege­ben. Sie hät­ten zur Behand­lung in ein Kran­ken­haus gebracht wer­den müs­sen, nach­dem Kund­ge­bungs­teil­neh­mer der bei­den Ver­samm­lungs­la­ger mit ‚Feu­er­werks­kör­pern und ande­ren Gegen­stän­den’ gewor­fen hät­ten, teil­te die Poli­zei mit.“ (APA 27.8.18,20h19) „Bei der Kund­ge­bung der Grup­pe ‚Pro Chem­nitz’ habe es Hin­wei­se auf Hit­ler­grü­ße gege­ben, mel­de­te die Poli­zei. Zudem habe ein Bünd­nis ‚Chem­nitz nazifrei’ eine Kund­ge­bung ange­mel­det. Ver­ein­zelt sei­en Teil­neh­mer der ver­schie­de­nen Ver­samm­lun­gen anein­an­der­ge­ra­ten.“ (APA 27.8.18,23h29)

Ins­ge­samt ist in der gesam­ten öster­rei­chi­schen Medi­en­sze­ne zu beob­ach­ten, dass die Bezeich­nung derer, die in Chem­nitz gewü­tet haben, schwer­fällt. Da wer­den Neo­na­zis vor­wie­gend zu „Rech­ten“ oder auch „Rechts­po­pu­lis­ten“, sel­te­ner zu „Rechts­extre­men“, „Rechts­ra­di­ka­len“; viel­fach wer­den die Begriff­lich­kei­ten in einem Arti­kel neben­ein­an­der ver­wen­det, ohne deren Bedeu­tungs­un­ter­schie­de auch nur ansatz­wei­se zu ver­deut­li­chen. Dass es in Deutsch­land, ins­be­son­de­re, was die straf­recht­li­che Rele­vanz betrifft, ande­re Defi­ni­tio­nen als in Öster­reich gibt, mag zum völ­li­gen Begriffs-Wirr-Warr mit bei­getra­gen haben, da Infor­ma­tio­nen und Mel­dun­gen aus Deutsch­land über­nom­men wur­den. (Sie­he dazu: Zum Begriff des Rechts­extre­mis­mus)

Bir­git Bau­mann wur­de in einem Kom­men­tar im Stan­dard zwar deut­lich, dass es sich um Neo­na­zis han­del­te, benennt sie jedoch auch nicht: „Die Sach­sen sei­en ‚immun’ gegen Rechts­ra­di­ka­lis­mus, hat der frü­he­re Minis­ter­prä­si­dent Kurt Bie­den­kopf ein­mal gesagt. Offen­bar gilt das heu­te – trotz eben­so aus­rei­chen­der wie bedau­er­li­cher Gegen­be­wei­se – in der CDU immer noch. Der ‚Feind’ wird links gese­hen, nicht rechts.Dass in die­sem Kli­ma das rech­te Spek­trum immer stär­ker wird, ver­wun­dert nicht. Es wäre jetzt Zeit für kla­re Wor­te aus der säch­si­schen CDU. Schwei­gen und sich ducken – aus Angst vor der AfD – ist ein fal­scher und schänd­li­cher Weg.“

Auch Die Pres­se konn­te sich nicht ent­schei­den: „Ein 35-jäh­ri­ger Deut­scher wird getö­tet. Dann zieht ein rech­ter Mob durch Chem­nitz. Die Regie­rung ist ent­setzt. (…) Doch noch bevor die ers­ten Fak­ten durch­si­ckern, am Sonn­tag­nach­mit­tag schon, ruft die Hoo­li­g­an­trup­pe ‚Kao­tic Chem­nitz’ zur Demo auf — um ‚zu zei­gen, wer in der Stadt das Sagen hat’. 800 Men­schen fol­gen dem Auf­ruf der Ultras, die der Ver­fas­sungs­schutz als rechts­extrem ein­stuft. (…) Ges­tern Abend zogen wie­der Demons­tran­ten durch die Stadt: Dabei gab es Zusam­men­stö­ße zwi­schen rechts- und links­ge­rich­te­ter Kund­ge­bungs­teil­neh­mern. Meh­re­re Men­schen wur­den ver­letzt. Demons­tran­ten aus bei­den Lagern beschos­sen ein­an­der mit Feu­er­werks­kör­pern und bewar­fen sich mit Gegen­stän­den. Die Poli­zei war mit einem Groß­auf­ge­bot unter­wegs.“ (Die Pres­se, 28.8.18)

Im Kurier ist am 27.8. zwar von Neo­na­zis zu lesen („Neo­na­zis und Hoo­li­gans zogen am Sonn­tag durch Chem­nitz, ran­da­lier­ten und mach­ten Jagd auf Migran­ten.“), gleich­zei­tig wird in einem ande­ren Arti­kel wie­der von einer „rech­ten“ Demo geschrie­ben („Rech­te Demo und ihre Geg­ner wer­den der­zeit durch die Poli­zei getrennt.“).

Und dann kam Strache

Erst als Heinz-Chris­ti­an Stra­che auf sei­nem Face­book-Account fürs Gro­be, dem pri­va­ten, den gewalt­tä­ti­gen Mob auf den Stra­ßen von Chem­nitz mit einem Sha­ring des rechts­extre­men Wochen­blick indi­rekt ver­tei­digt hat­te, wur­de auch im Stan­dard Klar­text gespro­chen und zwi­schen „rechts­extrem“ und „neo­na­zis­tisch“ dif­fe­ren­ziert: „Der Vize­kanz­ler teil­te Arti­kel, die Neo­na­zi-Auf­mär­sche ver­harm­los­ten (…) Rechts­extre­me und neo­na­zis­ti­sche Grup­pen orga­ni­sier­ten dar­auf­hin ‚Trau­er­mär­sche’, bei denen es zu Über­grif­fe auf aus­län­disch aus­se­hen­de Per­so­nen kam. Außer­dem wur­den neo­na­zis­ti­sche Paro­len skan­diert, ‚Demons­tran­ten’ zeig­ten Hit­ler­grü­ße. Die Poli­zei war nicht in der Lage, die Neo­na­zi-Mär­sche zu kon­trol­lie­ren. Die deut­sche Bun­des­re­gie­rung ver­ur­teil­te die rechts­extre­men Aus­schrei­tun­gen.“ (Der Stan­dard, 31.8.18; online in leicht ver­än­der­ter Ver­si­on)

Bemer­kens­wert ist, dass es der bei ein­hei­mi­schen Vor­fäl­len recht schweig­sa­me Bun­des­kanz­ler Sebas­ti­an Kurz schaff­te, sich zu äußern und die Über­grif­fe als „neo-nazis­tisch” zu titu­lie­ren – aber nur auf Twit­ter, was ihm den Vor­wurf ein­brin­gen könn­te, dass er sein Face­book-Publi­kum einem sol­cher­ma­ßen kund­ge­ta­nen Schre­cken nicht aus­lie­fern woll­te. Und der deut­sche SPD-Jung­star Kevin Küh­nert ant­wor­te­te Kurz – wie vie­le ande­re auch – wenig wohlgesonnen.

Twitter: Kurz zu Chemnitz, Antwort Kühnert (SPD)
Twit­ter: Kurz zu Chem­nitz, Ant­wort Küh­nert (SPD)

Dass die ZiB 24 am 28.8. aus­ge­rech­net den in Fach­krei­sen hoch­um­strit­te­nen Dresd­ner Poli­tik­wis­sen­schaf­ter Wer­ner Pat­z­elt zuge­schal­tet hat­te, ist ange­sichts der gro­ßen Anzahl an renom­mier­ten Fach­leu­ten unver­ständ­lich. So durf­te Pat­z­elt auch im ORF sei­ne ewig alten Sprü­che vom unver­stan­de­nen Volk der Sach­sen, dem durch eine ver­fehl­te Ein­wan­de­rungs­po­li­tik Böses ange­tan wur­de, unwi­der­spro­chen herunterleiern.

PEGIDA-Versteher Werner Patzelt bei der ZiB 24 zu Chemnitz
PEGI­DA-Ver­ste­her Wer­ner Pat­z­elt bei der ZiB 24 zu Chemnitz

Eine gute Zusam­men­fas­sung, wer in Chem­nitz zu wel­chem Zeit­punkt am Sonn­tag und Mon­tag für die Nazi-Auf­mär­sche mobi­li­siert hat, lie­fert das Maga­zin „der rech­te rand“: Es ist belegt, dass die Initia­ti­ve von rechts­extre­men und neo­na­zis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen aus­ging und dann auch noch Unter­stüt­zung durch die AfD erhielt. Das Resul­tat ken­nen wir, die Täter_innen soll­ten auch ent­spre­chend ein­ge­ord­net und benannt werden.

Nach­wort: Rechts gegen Links?

Twitter – Demonstration in Chemnitz: nicht "rechts vs. links"
Twit­ter – Demons­tra­ti­on in Chem­nitz: nicht „rechts vs. links”