Verfassungsschutzbericht 2017: dünn und dürftig (Teil I)

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Zwei Anläu­fe hat es gebraucht, bis der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2017 prä­sen­tiert wur­de. Ges­tern war es dann so weit, dass die Gene­ral­di­rek­to­rin für öffent­li­che Sicher­heit, Michae­la Kard­eis, und BVT-Chef Peter Grid­ling vor die Medi­en tra­ten, um – zumin­dest den Fall­zah­len nach, so viel sei gleich ein­lei­tend fest­ge­hal­ten – ins­ge­samt Ent­war­nung zu geben, obwohl Innen­mi­nis­ter Kickl im Vor­wort vor den „viel­fäl­ti­gen Gefah­ren (…), die unser fried­li­ches Mit­ein­an­der mas­siv gefähr­den“ warnt, uns aber gleich­zei­tig ver­spricht, „dass wir mit ver­ein­ten Kräf­ten den auf­ge­zeig­ten Gefah­ren Paro­li bie­ten können“.

Dünn ist er aus­ge­fal­len, der öster­rei­chi­sche Ver­fas­sungs­schutz­be­richt, was aber nicht auf die Tur­bu­len­zen rund um das BVT zurück­zu­füh­ren sein dürf­te, denn das war auch in den letz­ten Jah­ren nicht anders. Wohl­fei­le 88 Sei­ten zählt der Bericht 2017, davon beinhal­ten jedoch 40 Sei­ten gäh­nen­de Lee­re, Titel, Abkür­zungs­ver­zeich­nis, eng­li­sche Zusam­men­fas­sung etc. Zum Ver­gleich: Der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt des deut­schen Bun­des­lan­des Baden-Würt­tem­berg (11 Mio. Ein­woh­ne­rIn­nen) weist ins­ge­samt fast 350 Sei­ten auf – das bei deut­lich gerin­ge­ren Füll­sei­ten und dich­te­rer Beschrei­bung. Das ist auch dem Kurier auf­ge­fal­len und noch etwas: „Im Ver­gleich zu den Berich­ten des deut­schen Ver­fas­sungs­schut­zes ist der öster­rei­chi­sche gene­rell dürf­tig aus­ge­fal­len. Unter Kickl wer­den nun die Links­extre­mis­ten for­mal vor die Rechts­extre­mis­ten gereiht.”

Dass wir unse­re Prio­ri­tät umge­kehrt set­zen, ist nicht nur der Ziel­set­zung unse­rer Platt­form geschul­det, son­dern auch den Zah­len, denn wie bereits in der Ver­gan­gen­heit ist die vom Innen­mi­nis­te­ri­um erfass­te Anzahl rechts­extre­mer Tat­hand­lun­gen und Anzei­gen höher als jene, die dem Links­extre­mis­mus zuge­ord­net wer­den, näm­lich 2017 immer­hin um jeweils etwa 500%.

Der Bericht hält fest: In Öster­reich stel­len rechts­extre­mis­ti­sche Akti­vi­tä­ten eine demo­kra­tie­ge­fähr­den­de Tat­sa­che dar. Ein poten­zi­el­les Risi­ko für die Stö­rung der öffent­li­chen Ruhe, Ord­nung und Sicher­heit ist durch rechts­extre­mis­ti­sche Gewalt gege­ben.“ Das BVT nennt hier­bei die „Neue Rech­te“ (in ers­ter Linie Umschrei­bung für die Iden­ti­tä­ren), die das Vaku­um durch die Abnah­me des „organisierte[n] Rechts­extre­mis­mus ‚tra­di­tio­nel­ler’ natio­na­lis­ti­scher, neo­na­zis­ti­scher und faschis­ti­scher Prä­gung in West­eu­ro­pa fül­le und in ers­ter Linie den „Kampf gegen die Isla­mi­sie­rung“ auf ihre Fah­nen gehef­tet hat.

Die Bei­spie­le für rechts­extre­me Akti­vi­tä­ten beschrän­ken sich im Bericht vor­wie­gend auf eher belang­lo­se Aktio­nen, das größ­te Neo­na­zi- und Rechts­extre­men­tref­fen Euro­pas, näm­lich das Usta­scha-Geden­ken in Blei­burg, wird – ein­mal mehr – nicht erwähnt. Offen­bar wird auch der Sti­wol­ler Dop­pel­mör­der Fried­rich Felz­mann, des­sen Ver­bleib nach wie vor unge­klärt ist, nicht in der Kate­go­rie rechts­extre­mer Straf­ta­ten ver­or­tet. Dass die zahl­lo­sen „Ein­zel­fäl­le“ aus der FPÖ kei­ne Erwäh­nung fin­den, sei nur mehr am Ran­de bemerkt.

Eini­ge Absät­ze wid­men sich dem Anti­se­mi­tis­mus – mit der wenig über­ra­schen­den Fest­stel­lung, dass bei Rechts­extre­mis­ten anti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lungs­mus­ter nach wie vor tief ver­wur­zelt sind“. Etwas rat­los lässt uns aber die­se For­mu­lie­rung zurück: „Anti­se­mi­ti­sche Tat­hand­lun­gen wer­den unter ande­rem auch als Beweis dafür gese­hen, dass durch die Migra­ti­ons­be­we­gun­gen der letz­ten Jah­re Anti­se­mi­tis­mus von mus­li­mi­scher Sei­te nach Euro­pa ‚impor­tiert’ wor­den ist. Hier­bei set­zen Neu­rech­te Akteu­re auf die soge­nann­te ‚selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung’.“ Es gibt wohl kaum jeman­den, der/die bestrei­ten wür­de, dass es den „impor­tier­ten Anti­se­mi­tis­mus“ gibt, aber ein Beweis lässt sich nur durch kon­kre­te Fak­ten und Zah­len erbrin­gen, nicht jedoch allei­ne durch exis­ten­te anti­se­mi­ti­sche Hand­lun­gen, da die­se auch „auto­chthon“ pro­du­ziert wur­den und wer­den. Wor­in denn die ‚selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung’ lie­gen könn­te, stellt ein Rät­sel dar, denn dazu fehlt jeg­li­che Erklärung.

Kon­kret gibt das BVT für 2017 fol­gen­de Zah­len im Bereich des Rechts­extre­mis­mus an:

  • 1.063 rechts­extre­mis­ti­sche, fremdenfeindliche/rassistische, islam­feind­li­che, anti­se­mi­ti­sche sowie unspe­zi­fi­sche oder sons­ti­ge Tat­hand­lun­gen (Rück­gang zu 2016 um 19%); Auf­klä­rungs­quo­te 58,1%

  • Anzei­gen: 1.576 Delik­te (Rück­gang zu 2016 um 15,6%)

Ange­stie­gen sind aller­dings die Ein­gän­ge bei der NS-Mel­de­stel­le des Innen­mi­nis­te­ri­ums, näm­lich von 3.124 im Jahr 2016 auf 3.523 im Jahr 2017.

Der zah­len­mä­ßig am meis­ten ins Gewicht fal­len­de Rück­gang ist im Bereich der Ver­het­zung zu ver­zeich­nen (2017: 259; 2016: 380 Anzei­gen), die Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz haben sich von 884 (2016) auf 798 (2017) redu­ziert. Einen Anstieg gibt es bei Anzei­gen zu Ver­stö­ßen gegen das Waf­fen­ge­setz, näm­lich von 13 auf 18. Mit die­sen Zah­len bewe­gen sich die vom BVT ver­zeich­ne­ten rechts­extre­men Akti­vi­tä­ten auf dem dritt­höchs­ten Niveau nach den Höhe­punk­ten in den Jah­ren 2015 und 2016. Erklä­run­gen für den Rück­gang oder regio­na­le Cha­rak­te­ris­ti­ka suchen wir wie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren vergeblich.

Ein Fach­bei­trag beschäf­tigt sich schwer­punkt­mä­ßig mit der iden­ti­tä­ren Akti­on „Defend Euro­pe“, anhand derer Kam­pa­gnen und inter­na­tio­na­le Ver­net­zung der Iden­ti­tä­ren erklärt wer­den soll. Hier fin­den wir viel Wie­der­ho­lung aus den Berich­ten 2015 und 2016, was die Cha­rak­te­ri­sie­rung der Iden­ti­tä­ren betrifft. Ange­rei­chert ist der Bei­trag um eine Beschrei­bung des wenig geglück­ten, pha­sen­wei­se auf das Niveau eines Kaba­retts abge­glit­te­nen Ver­suchs der Iden­ti­tä­ren aus dem Som­mer 2017, mit einem gechar­ter­ten Schiff „die ille­ga­le Ein­wan­de­rung“ übers Mit­tel­meer nach Euro­pa zu stop­pen. Hier hält der Bericht rich­tig fest, dass die Insze­nie­rung die öffent­li­chen Medi­en durch­aus erreicht hat. Zur Fest­stel­lung, dass hier­bei das Inter­net und die sozia­len Medi­en eine zuneh­mend bedeu­ten­de Rol­le spie­len, hät­ten wir aller­dings den Ver­fas­sungs­schutz­be­richt nicht gebraucht.

zum Teil II Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2017 – die Fachbeiträge