Verfassungsschutzbericht 2017 (Teil II): die Fachbeiträge

Lesezeit: 4 Minuten

Neben einem sta­tis­ti­schen Teil umfasst der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt auch Fach­bei­trä­ge, die aus­ge­wähl­te The­men­be­rei­che auf ein paar weni­gen Sei­ten näher unter die Lupe neh­men, immer aber unter­schied­li­cher Qua­li­tät sind. Eini­ge Kapi­tel hät­te man sich schen­ken kön­nen – weni­ger The­men, dafür aber eini­ge aus­führ­li­cher, wären ver­mut­lich bes­ser gewesen.

Der ers­te Fach­bei­trag setzt sich mit sepa­ra­tis­ti­schen Strö­mun­gen und ihren Aus­wir­kun­gen auf Öster­reich aus­ein­an­der. Erör­tert wer­den hier­bei in kur­so­ri­scher Wei­se Grün­de und Moti­ve für Abspal­tungs­be­we­gun­gen und dass es hier­bei zu Ein­flüs­sen aus dem Aus­land kom­men kön­ne. Zwei sepa­ra­tis­ti­sche Bewe­gun­gen ste­hen im Fokus, näm­lich die kur­di­sche und die kata­la­ni­sche mit dem Fazit, dass in bei­den Regio­nen nach Refe­ren­den „deut­li­che wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Rück­schlä­ge“ zu kon­sta­tie­ren sei­en. Aller­dings: Was hier­bei der kon­kre­te Bezug zu Öster­reich ist, wor­in Aus­wir­kun­gen bestehen, bleibt uns der Fach­bei­trag gänz­lich schul­dig. Somit ist zu fra­gen, was die­ser Bei­trag im öster­rei­chi­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt zu tun hat.

Fach­bei­trä­ge im aktu­el­len Verfassungsschutzbericht

Ein wei­te­rer Auf­satz beschäf­tigt sich mit dem Sala­fis­mus, kon­kre­ter mit des­sen „Mis­sio­nie­rungs­ak­ti­vi­tä­ten in Öster­reich“. Da wird von (angeb­lich) bereits 2017 ein­ge­stell­ten Koran-Ver­tei­lungs­ak­tio­nen berich­tet, kur­so­risch von Schu­lun­gen und Leit­fä­den, wie Per­so­nen über­zeugt wer­den kön­nen, zum Islam bzw. rei­nen Islam über­zu­tre­ten und von der inter­na­tio­na­len Ver­net­zung der ein­zel­nen Grup­pie­run­gen. Ein Absatz beschäf­tigt sich mit dem „Ver­ein Gesicht“, der in Reak­ti­on auf das Gesichts­ver­hül­lungs­ver­bot gegrün­det wur­de und der angeb­lich Niqab-Trä­ge­rin­nen dazu ermu­tigt, ihren Gesichts­schlei­er wei­ter zu tra­gen – wie wir wis­sen, eine Rand­the­ma­tik (https://kurier.at/chronik/oesterreich/burkaverbot-nimmt-keiner-ernst/400059698https://kurier.at/chronik/oesterreich/burkaverbot-nimmt-keiner-ernst/400059698) oder eher zu slap­stick­ar­ti­gen Voll­zie­hun­gen geführt hat als auch nur einen Deut zu einer bes­se­ren Inte­gra­ti­on beizutragen.

Fast ein High­light ist der Fach­bei­trag zum soge­nann­ten Aka­de­mi­ker­ball der Wie­ner Bur­schen­schaf­ten in der Hof­burg. Schon der sta­tis­ti­sche Bei­trag wid­met sich haupt­säch­lich den Anti-WKR-Pro­tes­ten mit dem bemer­kens­wer­ten Zitat: Zen­tra­les Pro­test­ziel der gesam­ten öster­rei­chi­schen links­extre­men Sze­ne – vor allem für das auto­no­me Spek­trum – war erneut der Wie­ner Aka­de­mi­ker Ball (WAB).“ Dass dies das wirk­li­che Pro­test­ziel ist – und nicht die Pro­ble­ma­tik, dass eine rechts­extre­me Ver­an­stal­tung aus­ge­rech­net in der Hof­burg statt­fin­det , sei dahin­ge­stellt. Da aber selbst bei den Anti-Aka­de­mi­ker­ball-Pro­tes­ten in den letz­ten Jah­ren kei­ne bedroh­li­chen Akti­vi­tä­ten vor­zu­wei­sen sind, gibt’s einen Rekurs auf die Demons­tra­tio­nen gegen den brau­nen Ball in der Hof­burg mit einer ein­lei­ten­den „Pro­test­his­to­rie“, die aber auch schon zum Ende des Arti­kels führt, der man­gels an Vor­fäl­len in den letz­ten Jah­ren damit schließt, dass vor dem Gewalt­po­ten­ti­al von auto­no­men Grup­pen gewarnt wird.

Nach einem Bei­trag, in dem die Prä­ven­ti­ons- und Dera­di­ka­li­sie­rungs­maß­nah­men der Repu­blik gelobt wer­den, beschäf­tigt sich wie im letz­ten Jahr ein Kapi­tel mit den staats­feind­li­chen Ver­bin­dun­gen. Es wird berich­tet, dass die sog. Staats­ver­wei­ge­rer – auf­ge­teilt in „zwei domi­nie­ren­den welt­an­schau­li­chen Strö­mun­gen: die Reichs­bür­ge­rideo­lo­gie und die Natur­rechts­ab­lei­tun­gen“ – kon­spi­ra­ti­ve Indok­tri­na­ti­ons- und Rekru­tie­rungs­tref­fen abge­hal­ten haben und damit um die 2.500 Per­so­nen erreicht wur­den. Im Fokus des Bei­trags ste­hen Gerichts­ver­fah­ren, die Staats­ver­wei­ge­rer in Ableh­nung des öster­rei­chi­schen Jus­tiz­sys­tems selbst­stän­dig durch­füh­ren und die zu Ermitt­lun­gen und Straf­ver­fah­ren geführt haben:

Im Jahr 2017 haben die Akti­vi­tä­ten des ICCJV zu rechts­kräf­ti­gen teil­be­ding­ten Haft­stra­fen bis zu 20 Mona­ten geführt. Im sel­ben Jahr wur­den gegen den ‚Staa­ten­bund Öster­reich’ und sei­ne Ver­ant­wort­li­chen im Vor­feld der geplan­ten ille­gi­ti­men ‚Völ­ker­recht­ge­richts­ver­hand­lung’ über Anord­nung der Staats­an­walt­schaft Graz und mit gericht­li­cher Geneh­mi­gung Fest­nah­men und Haus­durch­su­chun­gen durch­ge­führt. Im Zuge wei­te­rer Ermitt­lun­gen kam es bis Jah­res­en­de zur Umset­zung von bun­des­weit ins­ge­samt 33 Haft­be­feh­len und 51 Haus­durch­su­chun­gen. Ins­ge­samt wur­den bis­her in die­sem noch lau­fen­den Ver­fah­ren über 200 Beschul­dig­te anhän­gig gemacht.“

Ber­lin: „Pro­test­kund­ge­bung“ von Ange­hö­ri­gen von Grup­pen, die behaup­ten, dass die BRD nie als Staat im Sin­ne des Völ­ker­rechts exis­tiert hat, und dass das Deut­sche Reich (wie es von 1918 an exis­tiert hat) nach 1945 fort­be­stand und noch heu­te besteht. Men­schen die dies behaup­ten oder glau­ben, wer­den der soge­nann­ten Reichs­bür­ger­be­we­gung zuge­ord­net (oder ord­nen sich ihr selbst zu); Crea­ti­ve Com­mons Attri­bu­ti­on-Share Ali­ke 3.0 Unpor­ted license

Wie im letz­ten Jahr gibt es einen Hin­weis, dass die Sze­ne der Staats­ver­wei­ge­rer auch im öffent­li­chen Dienst Fuß gefasst hat, kon­kre­te Zah­len dazu feh­len aber. Und auch heu­er feh­len lei­der Aus­füh­run­gen zu den bestehen­den Ver­schrän­kun­gen mit der rechts­extre­men Sze­ne.

Die zwei letz­ten Kapi­tel the­ma­ti­sie­ren Bedro­hun­gen gegen öster­rei­chi­sche Staats­or­ga­ne, die rück­läu­fig gewe­sen sei­en, die Auf­stel­lung von Pol­lern im Regie­rungs­vier­tel und die Cyber­si­cher­heit. Zu letz­te­rem wer­den aus­ge­wähl­te Vor­fäl­le geschil­dert. Den Bei­trag zu den Iden­ti­tä­ren haben wir bereits in Teil I zum Ver­fas­sungs­schutz­be­richt besprochen.

Anzu­mer­ken ist, dass die rechts­extre­me Bewe­gung „Graue Wöl­fe“ im gesam­ten Bericht kei­ne ein­zi­ge Erwäh­nung fin­det, was so bedau­er­lich wie sym­pto­ma­tisch ist. Um hier­bei einen Ein­blick zu erhal­ten, benö­ti­gen wir exter­ne Exper­tIn­nen wie Tho­mas Ram­mer­stor­fer, der zum The­ma unlängst ein bemer­kens­wer­tes Buch vor­ge­legt hat – wir emp­feh­len dazu die­ses Interview.

Dafür rich­te­te Heinz-Chris­ti­an Stra­che aber via Face­book zur Freu­de sei­ner Kli­en­tel den öster­rei­chi­schen Erdoğan-Wäh­le­rIn­nen aus, sie mögen doch in die Tür­kei zurück­ge­hen. Das Pos­ting hat fast 30.000 Likes und bei­na­he 2.000 Kom­men­ta­re erreicht. Auch eine Form der Poli­tik, zu einer Dera­di­ka­li­sie­rung wird sie – wie die pro­pa­gan­dis­tisch ver­kün­de­ten Moscheen-Schlie­ßun­gen – jedoch nicht bei­tra­gen, eher im Gegenteil.

zum Teil I über den Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2017