Chronologie
Für den Abend des 9. September riefen die „Identitären“ zu einem „Gedenkmarsch“ anlässlich des Endes der Belagerung Wiens durch die Osmanen im Jahr 1683 auf. Vom noch unfertigen Denkmal des polnischen Königs und Heerführers Sobieski am Kahlenberg sollte ein Demozug mit Fackeln bis hinunter zum Cobenzl führen, wo man sich zum Ausklang bei Speis und Trank vernetzen wollte. Daraus wurde jedoch einmal mehr nichts. Die wenigen Lokale am Cobenzl stornierten die Reservierungen der Neofaschist_innen der Reihe nach und schlossen am Tag des Aufmarsches bereits frühzeitig ihre Tore, um die rechtsextreme Kundschaft in spe nicht bewirten zu müssen. Das Café & Schloss Cobenzl startete sogar eine Aktion und spendete an diesem Tag die Einnahmen aller „Kleinen Braunen“ an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Schon bevor der Aufmarsch überhaupt startete, setzte es damit die erste Niederlage für die selbsternannten Verteidiger Wiens.
Der Aufmarsch selbst begann nach Anreiseverzögerungen – unter anderem durch antifaschistische Protestaktionen auf den Anfahrtsrouten – mit rund einstündiger Verspätung, die geplante Route wurde ebenfalls von einer Gegendemonstration versperrt. Der Plan, mit Fackeln und Blick auf die Stadt die weite Strecke zum Cobenzl zu gehen, war damit endgültig gescheitert. Die Polizei stellte den Rechtsextremen jedoch einmal mehr eine Ersatzroute zur Verfügung und so hielten die „Identitären“ einen weit kürzeren Marsch zum Leopoldsberg ab, auf dessen Gipfel sie zwischen Baustellengittern und Bäumen ohne jeglichem Publikum ihre Reden zur glorreichen Verteidigung Wiens abhielten. Danach fuhren die sichtlich enttäuschten Teilnehmer_innen per Bus zu den gut bewachten Autos zurück. Da am Cobenzl kein Gasthaus bereit war, die Rechtsextremen zu bewirten, traf man sich danach stattdessen im Bierlokal Centimeter, in dem die Neofaschist_innen in der Vergangenheit schon wiederholt eingekehrt waren.
Ableitungen
Wie schon beim Fackelzug im Juli am Grazer Schlossberg blieben die „Identitären“ hinter der sonst reichweitenstarken Außenwirkung zurück. Daraus, wie auch aus der Zusammensetzung des Aufmarsches, lassen sich einige Schlüsse auf die derzeitige Verfassung und den Strategiewechsel der neofaschistischen Gruppe ziehen:
- Die „Identitären“ stagnieren derzeit, die Gruppe wächst nicht mehr. Nachdem sie Mitte 2016 mit einer achthundert Personen starken internationalen Demo und permanenter Medienpräsenz einen Peak erreicht hatte, ist es mittlerweile etwas stiller um die einst so hyperaktive Gruppe geworden. Zu Spitzenzeiten hatte es jeden einzelnen Tag eine Aktion, einen Infotisch oder Stammtisch gegeben. Dass dieses Stakkato an Aktivitäten auf Dauer nicht zu halten war überrascht nicht. Manche regionale Strukturen, insbesondere westlich der Enns, scheinen überhaupt eingeschlafen zu sein.
Die Gruppe scheint ihre Strategie gewandelt zu haben: Um ihre Kader nicht allzu schnell auszubrennen und wohl auch aufgrund des abflauenden medialen Interesses angesichts des immer gleichen Aktionsrepertoires fokussieren sie sich verstärkt auf einige wenige aufwändigere und vermeintlich öffentlichkeitswirksamere Projekte. Damit gehen sie jedoch auch ein höheres Risiko ein: scheiternde Aktionen könnten die Stimmung zum Kippen bringen, wenn die kleinen Veranstaltungen fehlen, um Aktivist_innen an die Gruppe zu binden. Gleich bleiben insbesondere die Kader, hier gibt es keine nennenswerten Neuzugänge. Die wichtigen Funktionen – Sprecher, Ordner, Redner – sind mehrheitlich dieselben geblieben. Ein früher zentraler Kader, Alexander M., hat der Gruppe offensichtlich den Rücken gekehrt. Er trat im Wahlkampf des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS) als Kandidat in Erscheinung und publiziert seitdem auf einem eigenen Blog. Die Funktionen als Leiter der Theorie-AG sowie Chefredakteur des Blogprojektes „Identitäre Generation“ hat er zurückgelegt. Auch „Postergirl“ Alina W. trat in den letzten Monaten abgesehen von ihrer Kolumne im FPÖ-nahen Wochenblatt info.direkt.at weit seltener in Erscheinung. Ihre Rolle als Rolemodel und Vorzeigeaktivistin scheint Ingrid W. übernommen zu haben, die zuletzt auch bei der Akademie von Kubitscheks Institut für Staatspolitik (IfS) im deutschen Schnellroda anzutreffen war.
- Kadergruppe statt Bewegung: Das Label der Bewegung war immer schon eine Inszenierung nach außen. Doch selbst dieser Schein hat zunehmend Risse bekommen. Aktivist_innen waren der streng hierarchischen Organisationsstruktur entsprechend schon bisher eher Statist_innen in von Kadern penibel durchstrukturierten Aktionen. Durch den oben skizzierten Wechsel der Aktionsformen hat sich diese Tendenz in letzter Zeit noch verschärft. Wie detailversessen und streng geplant die Aktionen sind, haben in einem Lokal vergessene Dokumente von „Identitären“ im Raum Bayern jüngst offengelegt. Selbst für Kleinigkeiten wie das Kleben eines einzelnen Plakates wurden Lagepläne erstellt und Aufgaben von Späher bis Koordinator verteilt. Der Aktivismus der „Identitären“ wird einer militärischen Operation gleich organisiert, von Bewegung keine Spur. Unter diesen Kadern sind nur wenige Frauen, keine von ihnen hat eine offizielle Funktion – z.B. als Sprecherin, Grupenleiterin oder im Verein – inne. Das verdeutlicht den männerbündischen Charakter der Gruppe.
Große und riskante Projekte wie „Defend Europe“ wurden allein von einer kleinen Gruppe von Kadern gestemmt. Aktivist_innen waren in keiner Form daran beteiligt, gebraucht wurden viel eher finanzstarke Spender_innen, die den Kadern hunderttausende Euro für die menschenverachtende „Mission“ gegen zivile Seenotrettung im Mittelmeer zur Verfügung stellten. Aus Österreich waren bei dieser Aktion lediglich drei Personen beteiligt. Es handelte sich hierbei um den Sprecher der Wiener Gruppe Philipp Huemer und die beiden Bundesleiter Martin Sellner und Patrick Lenart. Auch beim Aufmarsch am Kahlenberg waren die Funktionen – hier hauptsächlich als Ordner in knallgelben Regenjacken – an die üblichen Kader vergeben, neue Gesichter suchte man unter ihnen vergeblich.
- Die Aufmerksamkeit flaut ab: Kleinere Medienaktionen sind mittlerweile zur Seltenheit geworden. Zuletzt wurde ein rassistisches Banner an einer islamischen Schule angebracht – die mediale Rezeption fiel überschaubar aus. Erfreulicherweise reproduzieren Medien nicht mehr ganz so bereitwillig und zahlreich jene Bilder, welche die „Identitären“ ihnen vorsetzen und springen nicht mehr auf jedes gehisste Banner und jede noch so kleine Störaktion auf. So begrüßenswert diese Entwicklung auf den ersten Blick auch ist, hat sie dennoch auch eine beunruhigende Seite: Sie ist auch Ausdruck einer zunehmenden Normalisierung der Aktivitäten der Neofaschist_innen. Es ist kein Skandal mehr, wenn organisierte Rechtsextreme ihre menschenfeindliche Propaganda verbreiten, selbst Angriffe auf politische Gegner_innen gehen eher unter. Der Widerspruch zwischen der Kritik an der Reproduktion ihrer Bilder auf der einen und der fortschreitenden Normalisierung ist hier nur ein scheinbarer: Was es bräuchte ist eine sachliche und kritische Berichterstattung, welche die menschenverachtende Ideologie hinter den hübschen Bannern und adretten Kadern in den Fokus rückt.
Die „Identitären“ setzen — insbesondere seit der intensiven Vernetzung beim „Europäischen Forum“ in Linz — stark auf eigene, explizit rechte bis rechtsextreme Medien, die ihre Propaganda in Bild und Text bereitwillig verbreiten. Einige Kader sind selbst in solchen Medienprojekten jenseits aller journalistischen Standards tätig. Nachdem sich die „Identitären“ selbst in einem „infowar“ sehen, in dem mediale Aufmerksamkeit über Sieg oder Niederlage entscheidet, ist davon auszugehen, dass sie diese Kooperationen in Zukunft noch ausbauen werden.
- Verfestigung der Strukturen: Die Verengung auf einige wenige Kader, die über längere Zeit aktiv sind, bringt auch eine weitere Professionalisierung mit sich. Diese Kader werden über die Jahre intensiv geschult, was die ohnehin strikten Hierarchien der Gruppe noch um Wissenshierarchien erweitert. Außerdem arbeiten die „Identitären“ am Strukturaufbau. In Graz und Linz haben sie bereits Räumlichkeiten angemietet – in Linz sind es sogar zwei getrennte Orte. Einer am Linzer Stadtrand gehört zum „identitären“ Phalanx-Versand, ein weiterer Raum für Veranstaltungen liegt im Keller der deutschnationalen Burschenschaft Arminia zu Linz. In Wien dient ihnen das Haus der Sängerschaft Barden zu Wien als Stützpunkt, Wohnort mehrerer Kader, Vernetzungs- und Lagerraum. Es ist davon auszugehen, dass sie einen weiteren Raum nutzen, welchen sie jedoch vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten versuchen. Neben burschenschaftlichen nutzen die „Identitären“ auch Strukturen der FPÖ, ihr Grazer Zentrum wurde ihnen beispielsweise durch den FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl zur Verfügung gestellt. Mehrere langjährige Aktivist_innen stehen außerdem in unmittelbarer Nähe zur FPÖ. So insbesondere Jan Pawlik, der Bezirksrat in Wien-Penzing ist sowie Katharina Walter, die in Wien-Landstraße FPÖ-Bezirksrätin ist. Auch der ehemalige Kassier und „identitäre“ Haus- und Hof-Fotograph Fabian Rusnjak war bereits für die FPÖ tätig, nämlich als Fotograph im Grazer Gemeinderatswahlkampf, wie der Standard berichtete. Auf der Ebene der Finanzen geriet die Gruppe in letzter Zeit zunehmend unter Druck, Konten wurden ihnen gekündigt, Paypal-Accounts gesperrt. Nun versuchen sie einen teilweisen Umstieg auf die anonyme online-Währung Bitcoin. Ob ihr Klientel diese neue, vergleichsweise unbekannte Zahlweise jedoch auch annehmen wird, darf aber bezweifelt werden.
- Internationale Vernetzung bleibt zentral: Auch beim Fackelmarsch waren wieder „Identitäre aus anderen Städten und Ländern anzutreffen. Abgesehen von einer etwa 40-Personen-Großen Gruppe aus der Steiermark nahmen auch Personen aus Deutschland – über Annika S. und ihr antifeministisches Blogprojekt haben wir bereits gesondert berichtet — und eine Delegation aus Ungarn teil. Die Vernetzung wird intensiv vorangetrieben: So waren auch in diesem Jahr österreichische Kader bei der Sommerakademie der französischen „Identitären“, auf der internationalen Demonstration in Berlin, sowie der IfS-Akademie in Schnellroda. Aktuell vernetzt sich Chefkader Sellner in den USA mit der „alt-right“ und posiert zwischendurch mit Gewehr und Zielfernrohr am Schießstand. Wie diese Schießübungen mit seinem in Österreich verhängten Waffenverbot vereinbar ist, wird noch zu klären sein.
- Schwieriges Terrain: Als letzte, fast schon banale Ableitung kann festgestellt werden, dass Wien für die „Identitären“ nach wie vor kein leichtes Pflaster ist. Die Stärke der Gruppe liegt nach wie vor eher im ländlichen, strukturschwachen Raum, insbesondere der Steiermark und Teilen Oberösterreichs, sowie im Wiener Umland. In anderen Bundesländern scheinen die Strukturen zumindest nach außen hin zum Erliegen gekommen zu sein. In Wien ist die Gruppe zwar an Kadern gut aufgestellt, jedoch ist der Aktivist_innenpool gemessen an der Stadtgröße allenfalls überschaubar. Zudem haben sie in Wien mit weit mehr Gegenwind zu rechnen als in der Peripherie, wirkliche Erfolge konnten sie hier bisher kaum einfahren.