Gedächtnislücken
Im Zentrum der Verhandlung am 3.11.2016 stand jener zur Anklagte gebrachte Vorfall, der sich am Abend des 5.7. 2014 ereignet hat. Auf einen anonymen Hinweis hin, dass im 16. Bezirk eine Art nationaler Liederabend stattfinden solle, waren BVT und LVT mit Unterstützung der WEGA ausgerückt, um das einschlägig bekannte Kellerlokal „Stüber Heim“ an der Ecke Koppstraße/Kreitnergasse aufzusuchen. Tatsächlich traf die Polizei unter den rund 20 Gästen nicht nur die zwei szenebekannten Liedermacher_innen „Lokis Horden“ (Rolf Müller) und „Sterbehilfe“ (Isabella Kordas) an, sondern fand auch zahlreiche, teilweise verbotene Neonazi-Liedertexte.
Im Zuge des Einsatzes waren auch die Identitäten der anwesenden Gäste festgestellt worden und daraufhin vergangenen Donnerstag als Zeug_innen vor Gericht geladen. Wie zu erwarten, zeigten sich diese jedoch alles andere als auskunftsfreudig. Obwohl sich kaum eine_r wirklich für Fußball interessiert, seien die meisten zum Fußball schauen oder Bier trinken in den Keller gekommen, keine_r jedoch für einen Liederabend. Während andere Details des Abends (wie konkrete Getränke oder Essen) den meisten Zeug_innen offensichtlich noch in fester Erinnerung waren, machte sich in Bezug auf das mögliche Konzert Gedächtnisschwund breit. In verblüffend ähnlicher Wortwahl waren sie sich einig, dass „hätte es ein Live Konzert gegeben, wäre es aufgefallen“, aber so wirklich drauf geachtet hatte eigentlich niemand und nur einzelnen Zeug_innen waren auch die Gitarren irgendwo im Raum aufgefallen. Intakt schien lediglich die Erinnerung des sich aktuell in Haft befindenden Lebensgefährten von Kordas. „Der Müller hätte Musik machen sollen“ und „die Isi hat die Gitarre auch kurz in die Hand genommen“ erklärte er in seiner Aussage.
Dass auch Kordas beim ersten Prozesstermin im August 2016 bereits zugegeben hatte, dass an dem besagten Abend geplant gewesen war „Stimmungslieder zu spielen“, jedoch „beim ersten Lied […] die Polizei reingekommen“ sei, schien leider auch den Richter_innen und Geschworenen in Erinnerung geblieben zu sein. Auch Rocker Rolf bestritt im August zwar einen geplanten Auftritt, bestätigte aber gemeinsam mit Isi „die Griffe von Nordland“ auf der Gitarre abgeglichen zu haben „weil sie andere Grifffolgen hatte“.
Interpretationssachen?
Erfrischend nüchtern ist die Aussage des Lebensgefährten von Kordas insgesamt zu werten. Er gab nicht nur zu, dass der Keller „rechts verrufen“ sei, sondern betonte auch mehrfach, besagter Abend sei „ganz normal“ gewesen und kein „Wiederbetätigungsabend“ bzw. „kein Abend, wo alle Sieg Heil schreien“. Ein Häferl, auf dem ein Hakenkreuz zu sehen ist und das im Zuge der Durchsuchung des Kellers beschlagnahmt wurde, wollte hingegen ebenfalls noch nie jemand vorher gesehen haben „Wird schon wem gfallen haben,“ meinte zumindest eine Zeugin, die das Kellerlokal seit sie 12 Jahre alt ist regelmäßig besucht und sich gegen Schubladisierungen à la rechte Szenelokal wehrt – schließlich sei es „Interpretationssache, was die rechte Szene ist“.
Das „Stüber-Heim“ als Ort wie auch einige der geladenen Zeug_innen bzw. „einfachen“ Besucher_innen des „ganz normalen Abends“ lassen jedoch alles andere als Interpretationsspielraum. So mag es beispielsweise nicht verwundern, dass der einschlägig bekannte Andreas „Zwetschke“ Zepke , u.a. Teilnehmer von Identitären Demos und Neonazi-Aufmärschen wie jenem gegen die Wehrmachtsausstellung, am besagten Tag im Keller anwesend war. Auch Gastgeber des Abends, Gregor Tschenscher, ist kein Unbekannter, zumal er in der Szene gut vernetzt ist, die Wiener Blood & Honour Gruppe mitbegründet hat und auch schon des Öfteren als FPÖ-Security aufgetreten ist.
Alle(s) harmlos?
Von der Strategie, sich harmloser darzustellen, als man eigentlich ist, haben auch die Angeklagten bereits beim ersten Prozesstermin Gebrauch gemacht, als Müller versuchte, sich als harmloser Rechter zu inszenieren und Kordas behauptete, mit der Szene nichts mehr zu tun zu haben. Früher wäre sie verliebt und naiv gewesen, hätte sich inzwischen distanziert und würde die Bekannten von damals kaum noch treffen. Damit reproduziert Kordas nicht zuletzt auch gängige Entlastungsstrategien rechtsextremer und neonazistischer Frauen, die als nicht ideologisch Überzeugte auftreten, sondern sich als das politische unbedarfte „Anhängsel von XY“ präsentieren. Dabei können sie auf gesellschaftlich nach wie vor weit verbreitete Klischeevorstellungen aufbauen, die Frauen immer noch nicht als aktive Neonazis anerkennen wollen. Ob sich die Geschworenen davon beeindrucken lassen und Kordas bei diesem Prozess damit durchkommt, wird sich wohl erst zeigen.
Auffallend hoch ist in diesem Prozess nicht nur die Anzahl der weiblichen Angeklagten, sondern auch der Zeug_innen. Eine wichtige Zeugin, von der vermutet wird, dass sie Belastendes vorbringen könnte, erschien nicht zu dem Gerichtstermin. Ihr Fernbleiben mag jedoch nur bedingt verwundern, warteten doch zahlreiche andere Zeugen vor den Türen des großes Schwurgerichtssaals, die für eine potentielle Belastungszeugin durchwegs einschüchternd gewirkt haben könnte. Mehr verwundern mag hingehen, dass keine Medienvertreter_innen anwesend waren, zumal die Angeklagten und die Orte, wo sich die Verstöße ereignet haben sollen, einschlägig bekannt sind.
Der ursprünglich mit Open End angesetzte Verhandlungstag wurde aufgrund von Absagen weiterer Zeug_innen bereits um die Mittagszeit beendet und eine Fortsetzung am letzten Donnerstag im Jänner 2017 anberaumt. Bleibt zu hoffen, dass sich zumindest dann die eine oder andere Tageszeitung dort blicken lässt.
➡️ Teil 1: Rocker Rolf raunt
➡️ Teil 3: Neonazi-Prozess: Mit Bewährungsstrafen davon gekommen