Verfassungsschutzbericht 2012 (I): In der Mitte liegt das Problem!

Der Ver­fas­sungss­chutzbericht 2012 ist in der Vor­woche präsen­tiert wor­den. Die Botschaft des Berichts, für die Medi­en über­set­zt, wird seit Jahren nur ger­ingfügig vari­iert: steigende Bedro­hung durch Islamis­mus, sink­ende Gefahr von Rechts- und Link­sex­trem­is­mus. Doch unter den plaka­tiv­en Schlagzeilen tut sich auch im Bericht etwas.

Seit eini­gen Jahren ist eine Ver­bre­itung von Ver­hal­tensweisen und Aktiv­itäten bis in die Mitte der Gesellschaft festzustellen, die zwar im Bericht­s­jahr nicht sel­ten recht­sex­trem­istis­che Ver­dacht­sla­gen nahe legten, aber kaum „strafrecht­staugliche“ Ereignisse im Sinne der Recht­slage darstell­ten. Darunter fall­en einzelne Ide­olo­gieele­mente des Recht­sex­trem­is­mus bzw. Phänomene wie Frem­den­feindlichkeit, All­t­agsras­sis­mus, NS-Bezüge in diversen Sub­kul­turen usw. (S. 13)

Was da im Kapi­tel „All­ge­meines Lage­bild“ des Ver­fas­sungss­chutzberichts in rel­a­tivieren­den Bezü­gen („nicht sel­ten recht­sex­trem­istisch“, “kaum ‚strafrecht­stauglich‘“, „einzelne Ide­olo­gieele­mente“) beschrieben wird, hat es in sich: Der Ver­fas­sungss­chutz kon­sta­tiert, dass die recht­sex­treme Ide­olo­gie in der Mitte der Gesellschaft angekom­men ist.

Eine Behörde, die sich der Beobach­tung der „extremen“ Rän­der ver­schrieben hat (was ein Bild von Gesellschaft nahelegt, in dem die bre­ite Mitte für poli­tis­chen Aus­gle­ich und Demokratie ste­ht), ist damit eigentlich mehrfach gefordert. Zum einen kön­nte sie Beispiele dafür nen­nen, zum anderen sollte sie eigentlich die poli­tis­chen Instanzen der Repub­lik darauf aufmerk­sam machen, dass sich in der Mitte der Gesellschaft etwas Extremes tut. An bei­dem hin­dern sie nicht zulet­zt die poli­tis­chen Instanzen der Repub­lik, die kein Inter­esse daran haben, sich ihre Mitte näher anzuschauen.

Der „Extrem­is­mus der Mitte“ ist in der Sozial­wis­senschaft seit Sey­mour M. Lipsets Analy­sen über den Mit­tel­stand als tra­gen­des Ele­ment nation­al­sozial­is­tis­ch­er Herrschaft ein mit­tler­weile aus­d­if­feren­ziert­er Ansatz in der Extremismusforschung.

Der Bericht der Ver­fas­sungss­chützer hält sich – abge­se­hen von dem schnei­di­gen Satz – nicht mit dem Extrem­is­mus in der Mitte der Gesellschaft auf, son­dern beklagt stattdessen, dass ihm für seine Arbeit eine Legalde­f­i­n­i­tion des Begriffes Recht­sex­trem­is­mus fehle:„Das Fehlen rechtlich­er Klarheit zur Begrif­flichkeit bzw. Abgren­zung des rechtlich sank­tion­ierten Recht­sex­trem­is­mus von Begrif­f­en wie etwa Frem­den­feindlichkeit und Ras­sis­mus führte auch im Jahr 2011 wieder dazu, dass die Sicher­heits­be­hör­den bei ihrer Auf­gaben­er­fül­lung hohen poli­tis­chen und medi­alen Erwartung­shal­tun­gen aus­ge­set­zt waren, denen sie trotz Auss­chöp­fung aller rechtlichen Möglichkeit­en nicht immer gerecht wer­den kon­nten. (S. 14)

Der Ver­fas­sungss­chutz wün­scht sich von den poli­tis­chen Instanzen, die seine Arbeit dirigieren und zumin­d­est teil­weise ver­ant­wortlich sind für den Extrem­is­mus der Mitte, eine Beschrei­bung des Recht­sex­trem­is­mus per Gesetz, also eine sichere, einge­gren­zte Arbeits­grund­lage. Dass das ein­er Quad­ratur des Kreis­es gle­ichkom­men würde, ahnen die Ver­fas­sungss­chützer aber selb­st: „Beim Recht­sex­trem­is­mus han­delt es sich um einen poli­tisch-ide­ol­o­gisch umkämpften Begriff, dessen konkrete inhaltliche Ausle­gung von den jew­eili­gen gesellschaftlichen und poli­tis­chen Rah­menbe­din­gun­gen abhängt.“ (S. 13)

Wenn Frem­den­feindlichkeit und Ras­sis­mus in der Mitte der Gesellschaft verortet wer­den und damit auch Bestandteil der Agen­da von poli­tis­chen Parteien und Instanzen gewor­den sind, die nicht unter dem Begriff recht­sex­trem zu fassen sind, dann hil­ft auch eine Legalde­f­i­n­i­tion des Recht­sex­trem­is­mus nur wenig weit­er. Teile der ‚poli­tis­chen Mitte‘ haben kaum ein Inter­esse daran, Frem­den­feindlichkeit und Ras­sis­mus oder all­ge­mein­er, den Durch­marsch recht­sex­tremer Ide­olo­gieele­mente in die Mitte der Gesellschaft und damit die Ver­schiebung des poli­tis­chen Koor­di­naten­sys­tems, zum strafrechtlich rel­e­van­ten Gegen­stand wer­den zu lassen.

Quelle: bmi.gv.at — Ver­fas­sungss­chutzbericht 2012

➡️ Ver­fas­sungss­chutzbericht 2012 (II): Deut­lich­er Recht­sruck oder Entspannung?