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Die Unschuldsvermutung und Hitler

Über den Vor­fall Im Juni 2011 haben wir berich­tet. Eine jun­ge Frau wird im Zug nach Wien von Nazi-Hoo­­li­­gans ras­sis­tisch beschimpft und bedroht, weil sie gegen das Absin­gen des Deut­sch­­land-Lie­­des und den Hit­ler­gruß pro­tes­tiert. Sie ver­stän­digt die Poli­zei, die auch prompt am Wie­ner West­bahn­hof auf­taucht und die Hoo­li­gans zie­hen lässt. Das Nach­spiel wur­de jetzt am […]

24. Feb 2012

Die Geschich­te ist sym­pto­ma­tisch für den poli­ti­schen Zustand des Lan­des und die feh­len­de Immun­ab­wehr gegen Rechts­extre­mis­mus. Was soll man von einer Exe­ku­ti­ve erwar­ten, deren poli­ti­sche Füh­rung fast jede Woche erneut signa­li­siert, dass eh alles nicht so schlimm und der Rechts­extre­mis­mus sowie­so kein Pro­blem ist?

Ein Wie­ner Poli­zist wur­de wegen des Ver­dachts auf Amts­miss­brauch ange­klagt und stand am 23.2. des­halb vor Gericht. Er wird von der Staats­an­walt­schaft beschul­digt, eine Anzei­ge wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung unter­las­sen zu haben, nach­dem die Frau die Poli­zei tele­fo­nisch ver­stän­digt hatte.

Als der Zug in Wien ankommt, war­ten tat­säch­lich zehn Poli­zis­ten. Die Frau, Bezirks­rä­tin der Grü­nen, schil­dert dem ange­klag­ten Revier­in­spek­tor die Situa­ti­on und zeigt ihm auch die Hoo­li­gan-Trup­pe, doch der hat nach eige­nen Anga­ben gro­ße Pro­ble­me, die­se zu erken­nen: „Die Kol­le­gen haben die­se Leu­te gesucht. Die haben über­all geschaut”, erzählt er dem Gericht. Dem erzählt er auch noch ande­res: „Is’ des Wie­der­be­tä­ti­gung, wenn einer schreit ‚Heil Hit­ler’. I hob des anders g’seng.” (Quel­le: kurier.at)

Das ist der Kern des Pro­blems. Die ande­re Sicht des Poli­zis­ten ist auch die Sicht fast der gesam­ten poli­ti­schen Füh­rung die­ses Lan­des. Ein Tritt in den brau­nen Gatsch- von Heinz-Chris­ti­an Stra­che oder einem ande­ren frei­heit­li­chen Funk­tio­när: Aber bit­te, es bringt doch nichts, sich da auf­zu­re­gen, das macht den Stra­che nur noch grö­ßer! Und so wer­den die Aus­rit­te in den brau­nen Sumpf unge­nier­ter, weil fol­gen­los. Die Rechts­extre­men von ges­tern ver­klei­den sich als die „neu­en Juden“ und laden den Prä­si­den­ten der Isrea­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de dazu ein, doch an ihren Fes­ti­vi­tä­ten in einer Loge in der Hof­burg teil­zu­neh­men. Für ein klei­nes Wort­spiel über die ande­re Loge, die ihm offen­sicht­lich lie­ber ist, reicht es den Bur­schen von der Teu­to­nia alle­mal. Wochen spä­ter bedient sich der Chef der FPÖ scham­los an einem Hetz-Flug­blatt der neo­na­zis­ti­schen AfP und ern­tet dafür Still­schwei­gen der Regierungsparteien.

Der Revier­in­spek­tor vom West­bahn­hof ori­en­tiert sich an die­sem poli­ti­schen Bezugs­rah­men: „Heil Hit­ler“ – was ist das Pro­blem? Ist ja nix pas­siert. Das war auch die Posi­ti­on des Straf­ver­tei­di­gers, der reich­lich zynisch hin­zu­füg­te: „Und nach­her wird eine Staats­af­fä­re dar­aus gemacht.”

Die Staats­af­fä­re hät­te tat­säch­lich schon vor­her statt­fin­den müs­sen: bei den in Serie wie­der­keh­ren­den „Aus­rut­schern“, „Fehl­trit­ten“ und „Ent­glei­sun­gen“ von frei­heit­li­chen Poli­ti­kern. Weil es aber kei­ne Staats­af­fä­re gibt, wenn jemand ras­sis­tisch oder anti­se­mi­tisch pöbelt bzw. an das Ver­bots­ge­setz anstreift, weil in Öster­reich auch für die größ­ten Schwei­ne­rei­en die Unschulds­ver­mu­tung bis zur Ver­jäh­rung oder bis zum Regie­rungs­ein­tritt gilt, rich­tet sich auch ein Revier­in­spek­tor die pas­sen­de Unschulds­ver­mu­tung zurecht und sieht kei­ne Wie­der­be­tä­ti­gung, wenn „Heil Hit­ler“ gebrüllt wird.

Der Pro­zess gegen den Revier­in­spek­tor wird im April fort­ge­setzt: Neue Zeu­gen wer­den geladen.

Pro­zess­be­richt: Poli­zist: „Ist das Wiederbetätigung?“