Dries Van Langenhove, einstiger Jungstar der flämischen Rechtsextremen, wurde am 20. Juni 2025 wegen hasserfüllter Online-Aktivitäten verurteilt. Ein Berufungsgericht im belgischen Gent befand den 30-jährigen Gründer der stark an die Identitären angelehnten Jugendbewegung „Schild & Vrienden“ (1) schuldig der Aufstachelung zu Diskriminierung, Hass und Gewalt. Die Richter bestätigten damit im Kern ein Urteil aus 2024 wegen Verstößen gegen Belgiens Anti-Rassismus- und Holocaustleugnungs-Gesetze.
Zwar setzte das Berufungsgericht die 2024 verhängte einjährige Haftstrafe zur Bewährung aus, reduzierte die Geldbuße von ursprünglich 16.000 Euro auf 1.600 Euro und kippte ebenfalls das zehnjährige Verbot für ein politisches Amt, doch die Symbolik der Verurteilung bleibt unmissverständlich: Was Van Langenhove und seine rechtsradikalen Gesinnungsfreunde getan haben, „bedroht die friedliche Gesellschaft und untergräbt das Recht der Bevölkerung auf ein menschenwürdiges Leben“ (vrt.be, 20.6.25), hält das Gericht fest. Die deutliche Strafminderung wurde mit der langen Verfahrensdauer argumentiert, die die Verteidung durch fortwährende Verzögerungstaktiken mitverursacht hatte.
Der ehemalige Abgeordnete der Vlaams Belang-Partei, Belgiens großer Rechtsaußen-Partei (2), sieht sich hingegen ausschließlich als Opfer. „Das ist ein schwarzer Tag für die Meinungsfreiheit“, kommentierte er nach dem Richterspruch und kündigte an, vor den Kassationsgerichtshof (3) und notfalls vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Für das Genter Berufungsgericht jedoch war klar: Van Langenhoves „Kampf für die Meinungsfreiheit“ ist nichts anderes als ein Deckmantel für rassistische Hetze und letztlich auch Aufrufe zur Gewalt. Das Opfer-Framing wurde quer durch die rechtsextreme Szene Europas gereicht und landete auch bei Petra Steger.
Welche Meinungsfreiheit?
Den Ausgangspunkt der Causa bildete eine Investigativ-Reportage des flämischen Rundfunks VRT im September 2018. Ein Journalist hatte sich undercover Zugang zu den geheimen Onlineforen von „Schild & Vrienden“ verschafft. Was nach außen als patriotischer Jugendklub auftrat, entpuppte sich im Verborgenen als teils neonazistischer Online-Keller. Hunderte Mitglieder verbreiteten in geschlossenen Facebook- und Discord-Chats etwa 67.000 Beiträge voller Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie. Muslime, Juden, Schwarze, Frauen, Homosexuelle, Linke – keine Gruppe blieb verschont.
Die öffentlich gewordenen Beispiele lesen sich wie ein Worst-of rechtsextremer Menschenverachtung. Ein Meme zeigte Adolf Hitler grinsend mit dem Text: „Sie können nicht rassistisch sein, wenn es nur eine Rasse gibt“ – ein zynischer „Witz“, der Völkermord als Lösung propagiert. Die „Witze“ sollen bis zu toten Flüchtlingskindern gereicht haben. Auch wenn Van Langenhove selbst keine Holocaust-leugnenden Memes postete, ließ er die Gruppenmitglieder gewähren.
Van Langenhove habe die übrigen Angeklagten mit hineingezogen in seine rassistische, hasserfüllte, nationalsozialistische und negationistische Propaganda, mit der er Menschen gegen andere aufhetzen wolle, sagte der Richter. Und der Angeklagte habe zudem noch viele weitere Menschen dazu angespornt, ihm darin zu folgen. (brf.be, 12.3.24)
Die Strategie: Mit scheinbar „humorigen“ Internetbildern sollte menschenverachtendes Gedankengut als harmloser Spaß getarnt werden. Doch die Grenze zum offenen Extremismus war längst überschritten. Ein linguistisches Gutachten im Strafverfahren stellte fest, dass in den S&V‑Chats die schlimmsten Beschimpfungen gegen Immigranten gerichtet waren. In einem der geleakten Chats postete Van Langenhove selbst den Satz: „Einige Kulturen sind minderwertig.“ Was daran Humor sein soll, erschließt sich wohl kaum jemandem.
Unter seiner Leitung kursierten Holocaust-verharmlosende Memes, antisemitische Karikaturen und auch sadistische Gewaltfantasien. So zeigte eine Fotomontage Leopold II. beim Abhacken von Obamas Händen – eine Anspielung auf die belgischen Kolonialverbrechen im Kongo. Solche Inhalte seien keineswegs bloß derbe Späße, sondern verfolgten das Ziel, Rassismus und Gewaltbereitschaft zu schüren, so der Richtersenat. Zweifellos würden alle diese „Witze“ auch vor einem österreichischen Gericht landen.

Van Langenhove als Gruppen-Admin und Stichwortgeber
Dries Van Langenhove war nicht nur alleiniger Admin der Chatgruppen, sondern auch inhaltlicher Stichwortgeber. Über 5.000 Beiträge gingen direkt auf sein Konto. Der Gerichtshof bezeichnete ihn als Mastermind, das seine Anhänger durch immer radikalere Inhalte anstachelte. In einem Beitrag orakelte er: „Der Tag der Gewalt wird noch kommen, ich weiß, welche Seite vorbereitet sein wird.“ Das Gericht war überzeugt, dass er mit solchen Aussagen eine paramilitärische Mentalität in der Gruppe förderte. Den Schuldspruch setzte es daher nicht nur für Hassrede, sondern auch für die Beteiligung an einer rassistischen Vereinigung und dem Verbreiten von Holocaustleugnung.
Konzertierte Re-Aktionen
Doch Van Langenhove ist kein Einzeltäter. Er ist eng vernetzt mit Akteuren der europäischen „Neuen Rechten”, allen voran mit dem österreichischen Identitären Martin Sellner. Beide propagieren Verschwörungsmythen wie den „großen Austausch“ und inszenieren sich als Vorkämpfer gegen eine angebliche Islamisierung Europas. Bereits 2017 trafen sie sich bei einem identitären Vernetzungstreffen in Frankreich. Seither pflegen sie persönliche und digitale Kooperation. 2023 saß Van Langenhove im Publikum, als Sellner in Leuven vor nationalistischen Studenten sprach. Im Mai 2025 traten beide bei einer Veranstaltung im italienischen Gallarate auf, die offen die Massendeportation von Migrant*innen propagierte.

Die Reaktionen aus dem rechtsextremen Lager auf das Urteil folgen einem bekannten rhetorischen Muster: Der Schuldspruch wird als politisch motivierte Justizwillkür dargestellt, Van Langenhove zum unschuldigen Familienvater stilisiert und der Strafprozess als Angriff auf die Meinungsfreiheit quer durch verschiedene Länder inszeniert. Die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger schrieb in Verdrehung der Tatsachen auf Facebook:
12 Monate Haft auf Bewährung, angeblich für geschmacklose Bilder die andere in seiner Discord Gruppe gepostet haben. In Wahrheit wurde hier ein junger Familienvater verurteilt, weil er sich gegen die Migrationspolitik seiner Regierung ausgesprochen hat. Ein Skandalurteil, das uns allen in Europa zeigt, wie schnell die Grenze zur Meinungsdiktatur überschritten ist. (FB 20.6.25)
Die neonazistische Schweizer Gruppierung „Junge Tat“ sprach von einem „friedlichen Patrioten“, gegen den ein „Einschüchterungsfeldzug“ geführt werde, und warnte: „Heute trifft es ihn — morgen dich?“ (TG, 20.6.25) Logisch, dass auch Martin Sellner reagierte: „Mein Freund wurde verurteilt – wegen Memes, die jemand anderer gepostet hat.” (TG 20.6.25) Der AfD-Europaabgeordnete Alexander Jungbluth warb wie viele andere aus dem Rechtsaußen-Lager mit dem Hashtag #FreeDries für die Freilassung des Verurteilten, der nie in Haft war, und behauptete, das Urteil sei nur deshalb erfolgt, weil Van Langenhove zur „erstarkenden politischen Opposition“ gehöre. (FB 20.6.25)




Strategie des „Engagement Farming“
In all diesen Botschaften zeigt sich ein systematisch gepflegtes Opfer-Narrativ, das von einem vermeintlichen Meinungsdiktat ausgeht. Die realen Inhalte der Chatgruppen werden entweder verharmlost oder ganz unterschlagen. Die Akteur*innen betreiben hier gezieltes „Engagement Farming“: Sie bewirtschaften den (herbeifantasierten) politischen Skandal als Gelegenheit zur Mobilisierung, emotionalisieren durch Begriffe wie „Familienvater“ und „Repression“ und halluzinieren eine europaweite Verfolgung der „patriotischen Opposition“. Dabei wird bewusst verschleiert, dass Van Langenhove nicht für eine Meinung, sondern für konkrete Inhalte und seine Führungsrolle in Hass- und Hetzplattformen verurteilt wurde.
Die Reaktionen aus der Szene bestätigen die politische Strategie, die auch vor Gericht sichtbar wurde: einerseits das gezielte Spiel mit der Grenze zwischen Sagbarem, Unsagbarem und Strafbarem und andererseits ein völlig übersteigertes Opfergehabe im Fall einer Niederlage, wenn diese auch kaum reale Folgen hat – Stichwort: „FreeDries“. Keine Rolle in den Solidaritätskundgebungen spielen übrigens die fünf ebenfalls verurteilten Mitangeklagten. Spendenaufrufe gibt es nur für den Gruppenführer.

Fußnoten
1 Schild & Vrienden (Schild & Freunde) wurde 2017 gegründet, Inhalte, Aktionsformen und Aufbau der Gruppe weisen deutliche Parallelen zur Identitären Bewegung auf.
2 Van Langenhove war zwischen 2019 und 2023 Parlamentsabgeordneter und wurde zwar in die Fraktion von „Vlaams Belang“ aufgenommen, blieb selbst aber parteifrei.
3 Der Kassationsgerichtshof prüft, ob der Prozess korrekt verlaufen ist, ob das Urteil dem Gesetz folgt und ob ein Verfahren wiederholt werden muss oder nicht.
Quellen (Auswahl)
➡️ Die Pano-Dokumentation von „VRT News“ (5.9.18; niederländisch): Wie is Schild & Vrienden écht?
➡️ Dossiers mit Screenshots zu den „Pano“-Enthüllungen: vrt.be (5.9.18): De twee gezichten van Schild & Vrienden: rechtse beweging versus geheime groep vol racisme, seksisme en wapens (Die zwei Gesichter von Shield & Friends: Rechtsgerichtete Bewegung versus Geheimgruppe voller Rassismus, Sexismus und Schusswaffen)
Wat moet je doen om „strijder” of „veteraan” van Schild & Vrienden te worden en wat is het einddoel? (Was muss man tun, um ein „Krieger“ oder „Veteran“ von Shield & Friends zu werden, und was ist das Endziel?)
➡️ Details zu den Vorwürfen aus dem erstinstanzlichen Urteil: globalfreedomofexpression.columbia.edu: The Case of Schild & Vrienden (S&V)
➡️ Zum zweitinstanzlichen Urteil: brusselstimes.com (20.6.25) Convicted far-right former MP gets lower sentence on appeal