Die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch provozierte einmal mehr einen Eklat im Nationalrat. Der Neos-Abgeordnete Yannick Shetty sprach gerade von seinem Besuch in der Ukraine – „Wir waren in Kiew, wir waren in Butscha, wir haben dort die Massengräber gesehen. Wir haben dort mit Angehörigen jener Menschen gesprochen, deren Kinder nach Russland verschleppt wurden.“ –, als Belakowitsch dazwischenrief: „Da habt ihr viel Spaß gehabt, gell?“ Spaß beim Anblick von Massengräbern? Spaß beim Gespräch mit Opfern der russischen Invasion in der Ukraine, deren Kinder verschleppt wurden?
Ein Blick zurück: Am 25. April 2025 betrat der FPÖ-Abgeordnete und ‑Generalsekretär Michael Schnedlitz das Rednerpult des Nationalrats – und hielt eine Rede, die weniger einem parlamentarischen Beitrag als einem inszenierten Wutanfall gleichkam. Noch bevor er zu seiner eigentlichen Rede ansetzte, erklärte er ironisch, wie viele „Fans“ er im Lager der „Einheitspartei“ habe. Dann wiederholte er neunmal eine zentrale Aussage: Das Parlament sei „kaputt“. Kaputt inhaltlich, kaputt moralisch, kaputt institutionell. Kaputt seien auch die Politiker, die dieses System stützten – so kaputt, dass sie angeblich nicht einmal bemerkten, wie sehr sie sich vor der Wahrheit fürchteten.
Die ewige Opfererzählung
Schnedlitz’ nicht nur angesichts eines freiheitlichen Nationalratspräsidenten absurde Behauptung lautete: Das politische System, so wie es heute in Österreich funktioniere, unterdrücke abweichende Meinungen, bestrafe „Wahrheiten“ im Parlament mit Ordnungsrufen und schütze nur mehr die Mächtigen vor Kritik. Insbesondere die FPÖ, so sein Narrativ, werde im Parlament nicht mehr gleich behandelt – währenddessen FPÖ-Chef Herbert Kickl frei beleidigt werden dürfe, werde jeder kritische Satz der Freiheitlichen geahndet. Die Regierungsparteien – von der FPÖ mittlerweile durchgängig als „Einheitspartei“ bezeichnet – agierten wie eine verschwörerische Machtgemeinschaft gegen die einzige aufrichtige Kraft im Hohen Haus. Die FPÖ also einmal mehr als Opfer des „Systems“ und mit ihr das „Volk“.
Delegitimierung des Parlaments als Ziel
Diese Rede war nicht bloß ein populistisches Schauspiel, sondern auch Symptom einer sprachlichen und politischen Verschiebung, die bei Schnedlitz im Wort „kaputt“ kulminierte. Sein Ton war von einer tiefen institutionellen Verachtung durchzogen. Dass Schnedlitz bewusst und mehrfach das Wort „kaputt“ wählte – und dabei sowohl die demokratischen Institutionen als auch deren Repräsentant*innen meinte – verweist auf eine politische Strategie: Das Parlament soll nicht reformiert, sondern delegitimiert werden.
Diese Strategie ist innerhalb der FPÖ kein Einzelfall. Im Gegenteil: Parteichef Herbert Kickl bedient sich seit Jahren eines Vokabulars, das mit demokratischer Debattenkultur nichts gemein hat. In einer Analyse des „Standard“ vom 21. Jänner 2024 wurde aufgezeigt, wie Kickl systematisch Begriffe wie „Volksverrat“, „Systemparteien“ oder „Ketten brechen“ verwendet – Begriffe, die historisch stark mit dem Sprachgebrauch des Nationalsozialismus verknüpft sind. Sie erzeugen ein dichotomes Weltbild: hier das „Volk“, dort die „Systemelite“, hier der Befreier (Kickl), dort die Verräter („Einheitspartei”), hier der Aufstand, dort die Unterdrückung.
Diese semantische Frontstellung gegen demokratische Institutionen erinnert in ihrer Struktur und Absicht frappant an die Sprache der NSDAP in der Weimarer Republik, die das Parlament nicht als Ort des politischen Streits verstehen wollte, sondern als Symbol einer entarteten Herrschaft, die das „wahre Volk“ verrate. Der Unterschied zur FPÖ: Während die NSDAP offen erklärte, das Parlament abschaffen zu wollen – Hitler nannte es eine „Schwatzbude“, Goebbels verspottete den Reichstag als „Misthaufen“ –, bleiben Kickl, Schnedlitz und andere der FPÖ formell innerhalb der demokratischen Ordnung – noch! Doch sie tun alles, um ihr Vertrauen zu untergraben.
Dass Schnedlitz am Rednerpult behauptet, „die Menschen zu Hause“ würden erkennen, „wie kaputt Sie mittlerweile wirklich sind“, ist nicht nur eine rhetorische Entgleisung. Es ist ein Angriff auf die Legitimität der politischen Institution selbst. Hier sprach nicht mehr ein Abgeordneter unter Abgeordneten. Hier sprach ein selbsternannter Volksanwalt zu einem Publikum außerhalb des Hohen Hauses – mit der impliziten Botschaft: Traut diesem Parlament nicht, es dient euch nicht!
Abwertung und Verachtung anstelle von Argumenten
Natürlich, diese Art von Rede ist in einer liberalen Demokratie nicht verboten. Aber sie ist gefährlich, weil sie nicht nur alle anderen Parteien pauschal kritisiert, sondern demokratische Regeln als Schutzmechanismen einer quasi verlogenen Elite denunziert. Sie ist gefährlich, weil sie eine Sprache etabliert, in der Abwertung und Verachtung an die Stelle von Argumenten treten. Und sie ist gefährlich, weil sie historische Erfahrungen verdrängt: dass Demokratien nicht nur durch Gewalt gestürzt werden, sondern auch durch Worte, die sie von innen zersetzen.
Schnedlitz’ Rede war keine Ausnahme. Sie ist ein Teil eines sprachlichen Klimawandels, in dem das Parlament nicht mehr als Fundament der Demokratie, sondern als Hürde auf dem Weg zur „wahren Volksherrschaft“ – Marke „Volkskanzler“ – dargestellt wird.
Wenn Dagmar Belakowitsch Yannick Shetty unterstellt, im Angesicht von Mordtaten Spaß zu haben, erscheint dies für eine Vertreterin jener Partei, deren Gründer NS-Schergen waren, die tatsächlich Spaß am Morden hatten, geradezu wahnwitzig. Aber Belakowitsch folgt damit einer Serie von kalkulierten oder zuweilen bloß entfleuchten Tabubrüchen und leistet selbst einen Beitrag, um das Parlament letztlich kaputt zu machen.

Rede von Michael Schnedlitz (25.4.25) im Wortlaut
Abgeordneter Michael Schnedlitz (FPÖ): Da sieht man ja schon, bevor ich das erste Wort gesagt habe, wie viele Fans ich in den Sektoren der Einheitspartei habe. (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.) Dabei wissen Sie noch gar nicht, was ich sagen will. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestehen Sie mir trotzdem zu, dass ich mich ein bisschen äußere, um einfach festzuhalten, wie kaputt der Parlamentarismus mittlerweile in Österreich und hier herinnen, in diesem Haus, ist – wie kaputt. (Beifall bei der FPÖ. – Ruf bei den Grünen: Ihr habt noch nie viel vom demokratischen Parlament gehalten!)
Wissen Sie, wir debattieren hier einen wichtigen Punkt. Wir debattieren, dass das System überlastet und überfordert ist – vom Bildungssystem begonnen bis zum Gesundheitssystem, zum Sozialsystem. Ein Innenminister, der nicht mindestens, sondern wahrscheinlich mehr überfordert ist als diese Systeme, versucht der Bevölkerung vorzumachen, dass er irgendetwas macht, was aber in Wahrheit gar nicht stimmt.
Der Parlamentarismus hier herinnen ist aber so kaputt, dass, wenn der Bevölkerung von vorne bis hinten etwas vorgemacht wird, ein Redner hier heraußen nicht sagen darf, dass das, was hier passiert, eine Lüge ist – denn sonst bekommt er einen Ordnungsruf. Wie kaputt muss ein System sein, dass eine Regierung und Politiker so etwas nötig haben? (Beifall bei der FPÖ. –Zwischenruf des Abg. Stögmüller [Grüne]. – Abg. Reiter [ÖVP]: Lies einmal die Geschäftsordnung!)
Wie kaputt muss man sein? (Zwischenruf der Abg. Maurer [Grüne].) Wenn dann auch etwas passiert, was nicht klug ist – also da gibt es ein Wort dafür, das heißt dann, dass etwas dumm ist –, wenn man das gegenüber der Bevölkerung zu Hause ausspricht, dann bekommt man einen Ordnungsruf. (Abg. Tanja Graf [ÖVP]: … vom Thema ab! Ablenkung!) Wie kaputt kann und muss ein System sein, damit es das nötig hat – als Schutz vor der Wahrheit in diesem Haus und innerhalb einer vernünftigen Debatte? (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Schallmeiner [Grüne].)
Außer natürlich, es geht um einen Vorwurf gegenüber der Freiheitlichen Partei oder gegenüber Klubobmann Kickl. Dann kann man beleidigen, ihn als Person als Möchtegernkanzler und so weiter bezeichnen, man kann sogar strafrechtliche Vorwürfe wie die der Hetze machen, dann wird hinter mir (in Richtung Präsidium weisend)ignoriert, weil da halten Sie zusammen – (in Richtung Präsidium weisend) hinten am Regierungsausguck und (in Richtung Plenum weisend) hier in der Einheitspartei. (Zwischenruf des Abg. Ofenauer [ÖVP].) Wie kaputt muss man sein, dass man glaubt, dass das den Menschen zu Hause nicht auffällt? Wie kaputt muss man sein? (Beifall bei der FPÖ.)
Machen Sie ruhig so weiter, machen Sie weiter! Die Menschen zu Hause haben das längst durchschaut. Geben Sie uns Ordnungsrufe, geben Sie sich selbst keine, beschützen Sie sich gegenseitig (Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen), weil Sie den Menschen zu Hause etwas vormachen. (Zwischenrufe der Abgeordneten Tanja Graf [ÖVP] und Reiter [ÖVP].) Die lassen sich von Ihnen trotzdem nicht weiter für blöd und für dumm verkaufen (Zwischenrufe bei der ÖVP), sondern durchschauen, wie hier herinnen gearbeitet wird und wie kaputt Sie mittlerweile wirklich sind. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Egger [ÖVP]: Ablenkungsmanöver!)
Quelle: Stenografisches Protokoll