Das Oberlandesgericht Graz (OLG) musste nur über die Berufung wegen des Strafmaßes entscheiden – die Nichtigkeitsbeschwerde, in der über den Schuldspruch zu urteilen war, war bereits vom Obersten Gerichtshof abgewiesen worden. Gegen das Urteil in einem Geschworenenprozess vorzugehen, ist kompliziert und in der Regel wenig aussichtsreich. Klaus E. hat es versucht. Er war einer der Angeklagten, über die am 1.2.24 am Landesgericht Leoben wegen NS-Wiederbetätigung nach § 3f und 3g Verbotsgesetz verhandelt und geurteilt wurde. Dank prozess.report konnte „Stoppt die Rechten“ über den mehrtägigen Prozess ausführlich berichten – und auch über die schier unglaublichen Ermittlungsfehler und ‑versäumnisse, die in der Verhandlung auf den Tisch kamen.
Verhandelt wurde damals hauptsächlich über einen Sprengstoffanschlag auf ein Asylheim der Caritas in Graz, der bereits im Jahr 2010 (!!) stattgefunden hatte. Das wäre ein Delikt nach § 3f Verbotsgesetz mit einer Strafandrohung zwischen 10 und 20 Jahren. Eigentlich als Nebengeräusch dazu waren etliche Delikte nach § 3g Verbotsgesetz angeklagt, denn bei den drei Angeklagten handelte es sich nach Ansicht der Anklage um Neonazis. Sie waren in Mariazell in einer größeren Gruppe von Neonazis aktiv, die sich gerne in einer Bar getroffen hatte.
2021, also elf Jahre nach dem Sprengstoffanschlag, jubelte das Innenministerium, dass der Anschlag endlich geklärt sei:
Angesichts der nicht nachvollziehbaren Serie an Ungereimtheiten, verschwundenen Beweismitteln und des Prozessausgangs ist eine Presseaussendung des Innenministeriums vom Oktober 2021 nur als Satirebeitrag ohne Unterhaltungswert einzuordnen. Damals verlautbarte das BMI: „Sprengstoffanschlag nach erneuter Sichtung von Videoaufzeichnungen nach über elf Jahren geklärt – Ermittlungen gegen mehrere Tatverdächtige, einer davon geständig.“ Heute wissen wir: Nichts ist geklärt! (SdR)
Wären nicht einige wenige Vorwürfe der Wiederbetätigung nach § 3g bei zwei der Angeklagten hängengeblieben – die meisten waren verjährt –, wären alle drei ohne Strafe aus dem Gerichtssaal spaziert, denn für das Sprengstoffattentat erfolgten Freisprüche für alle drei Angeklagten. Der Erstangeklagte und der Drittangeklagte erhielten einen Schuldspruch und Strafen wegen Wiederbetätigung nach 3g, der Zweitangeklagte wurde auch in diesem Punkt freigesprochen. Eine Riesenblamage für die Ermittler vom steirischen Verfassungsschutz!
Der Journalist Christoph Mackinger fragte am Landesgericht Leoben wegen der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils nach und erfuhr, dass gegen die Verurteilung Nichtigkeit und Berufung eingelegt wurde: von beiden oder nur von einem Angeklagten? Das Landesgericht Leoben wollte mit der Information nicht herausrücken. Warum?
Sprengstoffanschlag weiterhin ungeklärt
Jetzt wissen wir jedenfalls, dass der Drittangeklagte, Klaus E., diese Rechtsmittel eingelegt hatte und am 20.9. auch die Berufung gegen sein Strafmaß (24 Monate bedingt) verloren hat. Das OLG wollte seinen Ausführungen, wonach er „seit ewigen Zeiten“ keine Straftat mehr begangen habe, nicht folgen und hielt ihm stattdessen vor, dass er das Tattoo der „Schwarzen Sonne“ zumindest 30-mal öffentlich gezeigt hatte – das waren 30 Delikte, die E. zur Last gelegt wurden. Damit blieb es bei den von der ersten Instanz festgelegten 24 Monaten. Ob der Erstangeklagte ebenfalls Rechtsmittel ergriffen hat, wurde in der Verhandlung nicht angesprochen. Sicher ist hingegen, dass der Sprengstoffanschlag von 2010 nach wie vor nicht geklärt ist!
Danke an prozess.report für die Beobachtung des Berufungsverhandlung!