Beginnen wir mit dem Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist, sondern im Neuen Jahr fortgesetzt werden soll. Vor dem Landesgericht Leoben mussten sich am 19. und 20. Dezember drei Männer wegen des Verdachts verantworten, in der Nacht auf den 11. September 2010 im nationalsozialistischen Sinne einen Sprengstoffanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft der Caritas am Rande von Graz verübt zu haben. Verhandelt wird also nach § 3f und 3g des Verbotsgesetzes. Die Strafandrohung bei dieser Deliktslage ist harsch, auch wenn zwei der Angeklagten damals noch Jugendliche waren und Strafen deshalb milder ausfallen würden.
Wer sind nun die Angeklagten?
Alle drei Angeklagten gehörten zum Tatzeitpunkt einer rechtsextremen Blase an, die sich vorzugsweise in der „Silvanabar“ getroffen hat, die von der damaligen Jugendreferentin der FPÖ Mariazellerland, Silvana Wallmann, geführt wurde. Einige in dieser Blase nannten sich die „Skinheads Steiermark“, und waren deutlich nationalsozialistisch orientiert. Wer von den Angeklagten dazu gehörte, ist strittig. Sicher ist, dass Hannes P. der faktische Chef der „Skinheads Steiermark“ war. Er ist – wie einige mutmaßliche andere Mitglieder oder Aktivisten dieser Gruppe auch – nicht angeklagt, sondern einfacher Zeuge, taucht im Prozess völlig überraschend aber noch in einer anderen Rolle auf. Auf der Anklagebank müssen sich verantworten: Sebastian K. (29) als mutmaßlicher Haupttäter, Tobias W. (28) als Bestimmungstäter und Klaus E. (32) als Beitragstäter. Neben dem Hauptdelikt, dem Sprengstoffanschlag auf das Flüchtlingsheim (§ 3f VerbotsG), wird allen drei Angeklagten auch NS-Wiederbetätigung nach § 3g vorgeworfen.
Warum so spät?
Wenn ein Vorfall bzw. mehrere mit ihm zusammenhängende Delikte erst 13 Jahre später in einer Gerichtsverhandlung geklärt werden sollen, stößt dieses Vorhaben naturgemäß an Grenzen: Erinnerungslücken und Ungenauigkeiten tun sich auf. Zudem wurden die mutmaßlichen Täter erst nach zehn Jahren entdeckt – wie es scheint durch einen seltsamen Zufall. 2020 ermittelte der steirische Verfassungsschutz gegen die Veranstalter und Teilnehmer*innen eines Neonazi-Konzerts im steirischen Mürztal. St. Barbara, wo das Konzert 2018 stattgefunden hatte, ist nicht weit von Mariazell entfernt – fast eine Nachbargemeinde. Naheliegend ist, dass die Mariazeller Neonazis da mitmischten.
Was war da los in Mariazell?
Eine zentrale Rolle spielte damals Hannes P., der sich später vor Gericht verantworten musste und wegen Wiederbetätigung verurteilt wurde. Es war nicht das erste Neonazi-Konzert in der Gegend, bei dem er mitgemischt hatte. 2007 gab die Nazi-Band „Agitator“ in der „Silvanabar“ in Mariazell ein Konzert, bei dem Hannes P. die Fäden gezogen haben soll. Damals wurden ihm Verbindungen zu den „Hammerskins“ nachgesagt, bis sich herausstellte, dass er auf einer (gehackten) Adressenliste von „Blood & Honour“ (B&H) registriert war. Überhaupt: Diverse Hacks ergeben ein ungünstiges Bild von Hannes P.. 2011 scheint er auf der Liste von „ISD-Records” auf, beim jüngsten Hack des schwedischen Midgård-Versands scheint sein Name ebenfalls in der Kundendatei auf. Das passt nicht ganz zu seiner Erzählung vor Gericht, wonach er seit der Hausdurchsuchung 2018 mit der NS-Szene und Ideologie abgeschlossen habe.
Hannes P. war auch einmal Funktionär der FPÖ, und zwar in seiner Blütezeit als Neonazi, in der er auch noch eine Mail-Adresse mit der „88“ zur leichteren Identifizierung hatte. Damals war er stellvertretender Ortsgruppen-Obmann der FPÖ im Mariazellerland und sein Nazi-Spezi, Dominik U., war damals stellvertretender Schriftführer. Der trug die „88“ auf dem T‑Shirt herum.
Es gab also in und um Mariazell, also dort, wo eigentlich katholische Frömmigkeit zu erwarten wäre, eine beachtliche braune Szene, die sich in der FPÖ und besonders in der „Silvana-Bar“ gut aufgehoben fühlte. Dort traf man sich, dort marschierten die braunen Spezis von den „Skinheads Steiermark“ auch schon mal im einheitlichen Dress auf, spielten Nazi-Musik, zeigten sich den Hitlergruß und besprachen ihre Aktivitäten.
Der in Leoben Hauptangeklagte, Sebastian K., wollte da auch dabei sein. Der Zweitangeklagte, Tobias W., war schon dabei. Obwohl im Tatzeitraum erst 15, hatte er einen mächtigen Protegé, seinen Halbbruder Hannes P., der ihm den Zutritt zur Bar verschaffte und auf ihn, so P., „aufpasste“. Das entlockte der Richterin die leicht süffisante Feststellung: „Na toll, ein Nazi passt auf einen anderen Nazi auf!“
Was ist eine Nazi-Gelegenheitsperson?
Wir sparen jetzt die etwas wirre Erzählung des Erstangeklagten um den Tatablauf und seine Verantwortung dafür aus. Seine Geständnisse hat er nämlich schon ebenso oft widerrufen wie seine Dementis. Was uns zunächst interessiert: Wie kam es dazu, dass aus den zehn Jahre lang unbekannten Tätern 2020 plötzlich namentlich bekannte Personen wurden?
Der Zeuge vom Verfassungsschutz klärt das am zweiten Verhandlungstag in seiner Befragung auf. Nachdem ihn die Richterin ermahnte, dass er den Namen des wichtigsten Belastungszeugen nicht verschweigen könne, der den bislang unbekannten mutmaßlichen Täter auf einem Foto vom Tatort identifiziert hatte, nannte er den Namen des Belastungszeugen: Hannes P.! Die Richterin, etwas entgeistert, zum Verfassungsschützer: „Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“
Hannes P. war nämlich kurz zuvor von der Richterin einvernommen worden, hatte aber seine wesentliche Rolle als Hauptbelastungszeuge dabei elegant verschwiegen. Was in der Befragung des Zeugen vom Verfassungsschutz folgte, war dann aber gleich mehrfach geeignet, nicht nur die Richterin aus der Fassung zu bringen. Wir konzentrieren uns auf die wichtigste Passage:
Richterin: War der P. ein V‑Mann für Sie?
Verfassungsschützer: Sowas in der Art. V‑Mann ist übertrieben. Es war eine Gelegenheitsperson. Durch die Einvernahmen hab ich einen guten Zugang zu ihm gehabt. Es hat sich eine gute, respektvolle Gesprächsbasis zwischen uns aufgebaut.
Es folgt dann etwas später eine neuerliche Einvernahme von Hannes P., dem wohl wichtigsten Neonazi aus der Mariazeller-Nazi-Partie, der mit seinen Informationen an den Verfassungsschützer die Anklage ins Rollen gebracht, den Erstangeklagten später aber bedroht hat, wenn er weiter den Zweitangeklagten, also den Bruder von Hannes P. belaste.
Nach dem Widerruf des Geständnisses, dem Outing des Hauptbelastungszeugen und vielen Ungereimtheiten beschloss die Richterin, die Verhandlung nicht wie vorgesehen am zweiten Tag zu beenden, sondern zu vertagen. Drei Jahre hatte es nach dem ersten Geständnis des Sebastian K. bis zu diesem Prozess gebraucht. Nun scheint man wieder von vorne beginnen zu müssen. Das hinterließ nicht nur unsere Prozessbeobachter*innen fassungslos!
Danke an prozess.report, „Doku Service Steiermark“ und „Von Unten“ für die Prozessbeobachtung!