Midgård ist seit den 1990er-Jahren ein bedeutender Akteur in der Neonazi-Musikszene, der zunächst als Ladengeschäft begann und später zum Online-Verkauf überging. Das Unternehmen steht in Verbindung mit der „Nordic Resistance Movement“ (NRM), einer Neonazi-Gruppierung, die in mehreren skandinavischen Ländern aktiv ist. Das Midgård-Leak enthüllte die Identität und Bestellhistorie von etwa 20.000 Kund*innen, darunter 61 aus Österreich, die zwischen 2017 und 2022 277 Einkäufe getätigt hatten. Die Liste der österreichischen Besteller liest sich zum Teil wie ein Who is Who der österreichischen Neonazi-Szene. Besonders fleißig wurde aus der Steiermark eingekauft: Gleich 19 Namen mit steirischen Adressen tauchen auf der Kundenliste auf.
Rechtswidrige Hausdurchsuchungen und blinder Verfassungsschutz
Entscheiden des Oberlandesgerichts Graz (hier und hier) ist zu entnehmen, dass auf Basis eines Berichts des steirischen Verfassungsschutzes vom Jänner 2024 Hausdurchsuchungen bei mindestens zwei altbekannten Neonazis angeordnet wurden. Am 23. April, also mehr als vier Monate nach Veröffentlichung der Kundendatei, erhielt ein Grazer, der bereits bei Alpen-Donau aktiv war und bis jetzt bei einschlägigen Events und zuweilen auch bei Neonazi-Prozessen auftaucht, Besuch von den Behörden. Drei Tage später wurde bei einem amtsbekannten Neonazi in einer Ortschaft im Bezirk Graz-Umgebung angeklopft. Der OLG-Entscheid hält dazu fest: „Laut Zwischenbericht der Landespolizeidirektion Steiermark, Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung vom 29. April 2024 (ON 6) konnten die inkriminierten Datenträger (CDs) nicht aufgefunden werden, wobei A* auch bestritt, diese bestellt zu haben.“
Beide Durchsuchungen wurden beeinsprucht und vom OLG Graz als rechtswidrig erklärt. Bemerkenswert sind zwei Passagen in beiden OLG-Entscheiden:
Eine Nachschau auf der noch immer bestehenden Homepage habe jedoch keine Hinweise auf offensichtliche Darstellungen von NS-Insignien (zB Hakenkreuze, schwarze Sonne, Lebensrune usw) auf den CD- bzw Buchhüllen ergeben. Aus der bewilligten Anordnung [zur Durchsuchung; Anmk. SdR] ergibt sich nicht, worauf sich die Annahme stützt, dass sich auf der Homepage [des Midgård-Versands; Anmk. SdR] diverse Darstellungen von NS-Insignien, wie etwa der Lebensrune finden.
Tatsache ist, dass sich bereits auf der Startseite des Versands diverse Symbole finden lassen – vom Dezember 2023 bis aktuell ist dort ein CD-Cover mit einem stilisierten Hakenkreuz zu sehen. Auch der von „Stoppt die Rechten“ im Dezember eher willkürlich angefertigte Screenshot zeigt ein CD-Cover mit einer „Schwarzen Sonne“, und die Eingabe von „Schwarze Sonne“ im Suchfeld wirft sofort eine Reihe von Treffern aus. Ein von „Stoppt die Rechten“ im Dezember 2023 von der Startseite abgenommenes PDF zeigt zudem die in Österreich verbotene Sig- und Tyr-Rune und ein CD-Cover mit Hitler-Zitaten. Und als Draufgabe: Auf dem Cover der vom Grazer bestellten CD ist eine stilisierte Lebensrune abgebildet.
Doch das OLG wird in beiden Entscheiden mit seiner Kritik am Verfassungsschutz noch deutlicher:
Im vorliegenden Fall gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass A* im Zusammenhang mit den inkriminierten CDs, deren Inhalt im Übrigen außer durch den pauschalen Hinweis auf Musik aus dem rechtsradikalen/-extremen Bereich im Bericht des Landesamtes Staatsschutz und Extremismusbekämpfung Steiermark vom 8. Jänner 2024 (ON 2) unkonkretisiert blieb, …
Konkret: Der Verfassungsschutz hat es verabsäumt, den neonazistischen und damit eventuell strafbaren Charakter der von den Durchsuchten bestellten Ware – bei beiden CDs des wegen Volksverhetzung verurteilten Neonazi Daniel „Gigi“ Giese – darzustellen.
Vorarlberger nach Midgård-Leak verurteilt
Ein 43-jähriger Vorarlberger aus dem Bezirk Dornbirn hat nun für seine Bestellung im Midgård-Versand eine saftige Rechnung zu begleichen. Die Ermittlungen gegen ihn begannen nach dem Leak, im Zuge einer Hausdurchsuchung wurde einiges gefunden, was zu einer Anklage nach dem Verbotsgesetz (3g) und einem Prozess am Landesgericht Feldkirch führte.
Der Angeklagte mit Skinhead-Vergangenheit hatte einem Arbeitskollegen Bilder von einer Hakenkreuzfahne und einer Felswand mit einem Hakenkreuz geschickt. Zwischen 2004 und 2024, also zwanzig Jahre lang, konnte der Vorarlberger unbehelligt ein Tattoo mit einem SS-Totenkopf auf seinem Unterarm tragen und gelegentlich auch herzeigen. In seiner Wohnung waren für Gäste sichtbar NS-Devotionalien wie ein CD-Cover mit einem Hakenkreuz und eine Weinflasche mit der Aufschrift „Führerwein“ und einem Bild von Adolf Hitler.
Der Versuch des Verteidigers, eine Diversion für seinen geständigen Mandanten zu erwirken, scheiterte. Der Unterländer wurde einstimmig in allen vier Anklagepunkten für schuldig befunden und zu einer bedingten Haftstrafe von fünf Monaten und einer unbedingten Geldstrafe über 8.100 Euro verurteilt, was in Kombination acht Monaten Haft entspricht. Der Mann, der über ein Nettoeinkommen von 3.000 Euro verfügt, akzeptierte das bereits rechtskräftige Urteil. (Quelle: neue.at, 13.8.24)