Angeklagt war Lohr, der erst im März dieses Jahres sein Mandat als Grazer Gemeinderat zurückgelegt hatte, wegen Paragraf 207a Strafgesetzbuch: „Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildliche sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen“
Ex-FPÖ-Gemeinderat: Kein Vergleich mit Teichtmeister?
Auch der Schauspieler Florian Teichtmeister musste sich wegen dieses Paragrafen im Herbst 2023 vor Gericht verantworten. Die FPÖ hat den Fall Teichtmeister zum Anlass für eine wilde Kampagne vor und nach dem Prozess genommen und heftig die angebliche „Kuscheljustiz“ kritisiert. Teichtmeister war wegen des Besitzes einer Unmenge von Dateien, die auch sexuellen Missbrauch mit teils sehr brutalen Vergewaltigungsphantasien an unmündigen Kindern zeigen, zu zwei Jahren bedingter Haftstrafe und strengen therapeutischen Auflagen verurteilt worden. Der Unterschied war nicht nur die Menge der Bilder, sondern vor allem, dass sich Teichtmeister schuldig bekannte und reuig zeigte, während sich Lohr im Prozess am 23. August nicht schuldig bekannte und auf Fragen der Richterin ziemlich patzig antwortete. Ein weiterer Unterschied: Von der FPÖ war in der Causa Lohr kein Ton zu hören.
2022: FPÖ-Spitzen für Lohr
Dabei hätte die FPÖ viele gute Gründe, sich öffentlich mit ihrer Haltung zu Lohr auseinanderzusetzen. Als im Oktober 2022 der Grazer FPÖ-Finanzskandal bekannt wurde, waren zwar die damaligen zwei Hauptbeschuldigten, FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio und FPÖ-Klubchef Armin Sippel, aus den öffentlichen Funktionen ausgeschieden. Roland Lohr blieb Gemeinderat und wollte es auch weiter bleiben, als ihm, dem damaligen Finanzreferenten, zumindest Mitwisserschaft vorgeworfen wurde. Mit Mehrheit wurde Lohr deshalb aus dem FPÖ-Gemeinderatsklub ausgeschlossen. Die FPÖ-Spitzen wollten aber den Verbleib von Lohr und schlossen deshalb jene aus der Partei aus, die Lohr aus dem Gemeinderatsklub ausgeschlossen hatten: FPÖ-Obmann Kickl höchstpersönlich die FPÖ-Stadtparteichefin und der Landesparteiobmann Kunasek den Klubchef im Gemeinderat.
„Parteischädigend“ nannte die FPÖ den Ausschluss von Lohr aus dem FPÖ-Gemeinderatsklub! In den darauffolgenden sehr turbulenten Tagen für die Grazer FPÖ kam es zu weiteren Ausschlüssen und Austritten, der Bildung eines neuen „Korruptionsfreien Gemeinderatsklubs“ und – Überraschung! – auch zum Austritt von Lohr aus der FPÖ.
Beide, die FPÖ und Lohr selbst, werden wohl geahnt haben, warum. Anfang Dezember 2022 stand nämlich fest, dass bei den Hausdurchsuchungen im Oktober 2022, die wegen des FPÖ-Finanzskandals veranlasst worden waren, auch NS-Material („übelste Nazi-Literatur“, so der Historiker Gerald Lamprecht) bei zwei Personen gefunden wurde. Eine davon war Lohr, der aber erst im März 2024 sein Mandat als „wilder“ Gemeinderat „aus persönlichen Gründen“ zurücklegte.
Keine Schuldeinsicht
Die „persönlichen Gründe“ fanden ihre Erklärung in dem Fund von sexuellen Darstellungen von unmündigen (7–14) und mündigen (14–18) Minderjährigen, die bei der Hausdurchsuchung zwar sichergestellt, zunächst aber nicht „bemerkt“ worden waren. Wie es möglich sein kann, dass eine doch nicht so kleine Anzahl an pornografischen Bilddateien in der Auswertung zunächst nicht „bemerkt“ worden seien, wurde daher auch die aufmerksame Polizeiinspektorin, die erst heuer mit der Sichtung des Materials beauftragt worden war, von der Richterin gefragt. Die konnte es sich nur mit der großen Menge des Materials erklären. Als sie aber 353 Bilddateien mit sexuellen Darstellungen von unmündigen Kindern gefunden hatte, war Feuer am Dach.
Um die Dimensionen abzuklären: Insgesamt wurden mehr als 24.000 pornografische Bilddateien bei Lohr gefunden, davon betreffen mehr als 2.000 sexuelle Darstellungen mündiger Minderjähriger und 353 sexualbezogenen Kindesmissbrauch. Auf seinem Laptop hatte Lohr Teile der Dateien gelöscht, sie aber auf einen USB-Stick übertragen, weil, wie er in der Verhandlung erklärte, er sie später vielleicht noch einmal schauen wollte, ob etwas „interessant“ ist. Auf die Frage der Richterin, was er mit „interessant“ meine, fiel ihm nur ein „was Spannendes“. Ab 2010 habe er sich diese pornografischen Dateien aus dem Netz heruntergeladen, warf ihm die Anklage vor.
Der Angeklagte, der sich nicht schuldig bekannte, wollte mit abenteuerlichen Erklärungen geltend machen, dass eigentlich alles in Ordnung sei damit. Für ihn seien „Teens“ im Pornozusammenhang 18–19-Jährige. Auf die Nachfrage der Richterin, ob er denn wisse, dass auch 13-Jährige „Teens“ seien, antwortete er: „Ist mir schon klar, dass das im Englischen so ist.“
Auf die Feststellung der Richterin, dass unter „boys“ wohl jüngere Männer zu verstehen sind, widersprach er mit der wenig originellen Ausrede, dass man ja auch in Partnerschaften sage: „That’s my boy.“ Für die fast 500 Bilddateien, die geschlechtliche Handlungen von Minderjährigen zeigen, fand er die bereits ausgelutschte Ausrede, dass ihm die wohl „hineingerutscht“ sein müssten.
Weil ihm im April 2023 der USB-Stick mit den Dateien wieder ausgehändigt worden war, habe er angenommen, dass eh alles legal sei. Bei der Richterin verfing diese Rechtfertigung nicht. Als sie ihm (nicht für das Publikum sichtbar) Bilddateien mit offensichtlich sehr jungen Mädchen zeigte, entspann sich der folgende symptomatische Wortwechsel:
Richterin ®: „Ist diese Darstellerin für sie volljährig?“
Angeklagter (A): „Das fällt mir sehr schwer einzuschätzen, es gibt ja Frauen, die sehen älter aus.“
R: „Und die?“
A: „Ich hätte gesagt …18 Jahre.“
R: „Und das Mädchen?“
A: „Joa … na … vielleicht sieht man‘s heute anders. Aber damals bin ich davon ausgegangen, dass die Darstellerin über 18 ist.“
R: „Na, auch für Laien ist die nicht über 18, da muss man schon einen Sehfehler haben. Sie finden, sie ist über 18?“
A: „Zumindest in dieser Altersspanne.“
2024: FPÖ schweigt zu Lohr
Half alles nichts. Das Urteil – sechs Monate bedingt und eine Geldstrafe von insgesamt 14.400 Euro – war bei Verhandlungsschluss noch nicht rechtskräftig, weil sich Anklage und Verteidigung Bedenkzeit erbaten. Von der FPÖ gab es auch nach dem Urteil gegen den langjährigen Ex-FPÖ-Gemeinderat keine Reaktion.
P.S.: Die 2.587 (!) digitalen Schriftstücke mit NS-Material führten zu keiner Anklage, weil dem Ex-FPÖ-Gemeinderat nicht nachgewiesen werden konnte, dass er die Dateien an andere weitergegeben hat.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!
➡️ derstandard.at (23.8.24): Ex-FPÖ-Politiker wegen Kindesmissbrauchsmaterials verurteilt