Es klingt wie ein alptraumhafter Aufkoch der 1930er-Jahre: Ideengeber aus neofaschistischen Kleingruppen treffen sich im Geheimen mit politischen Entscheidungsträger*innen und finanzstarken Akteuren aus der Wirtschaft und bürgerlichen Gesellschaft, um detailliert zu besprechen, wie man am besten jene Millionen von Menschen aus Deutschland deportiert, die nicht ins völkisch-rassistische Bild der extremen Rechten passen. Genau das ist Ende November in einem Landhotel in Potsdam passiert, wie die Plattform „Correctiv“ in einer gestern, 10. Jänner, erschienenen und lesenswerten Reportage aufgedeckt hat. Der fanatische Ideengeber im Zentrum des Treffens im November war ausgerechnet Martin Sellner, der bekannte neofaschistische Influencer aus Österreich, der in der Correctiv-Recherche als „Neonazi“ tituliert wird.
Mediale Berichterstattung in Österreich: zwei Probleme
An der medialen Berichterstattung in Österreich fallen zwei Probleme im Umgang mit diesen Informationen auf. Erstens wurde die Tatsache, dass Sellner nicht bloß ein Teilnehmer der konspirativen Zusammenkunft war, sondern der zentrale Redner, in etlichen Artikeln nicht kenntlich gemacht. Dadurch gerät nicht in den Blick, dass die rassistischen Gewaltfantasien eines aus der Neonazi-Szene stammenden Aktivisten bei tatsächlich mächtigen Akteur*innen offenkundig verfangen. Zudem wird die „neurechte“ Einfluss- und Desinformationsstrategie, die von der Identitären Bewegung und ihren Stichwortgebern als „Metapolitik“ bezeichnet wird, in diesem Milieu ernst genommen.
In der Runde geht es darum, wie aus der Idee der Remigration eine politische Strategie werden soll. Sellner sagt: Dazu müsse „metapolitische, vorpolitische Macht“ aufgebaut werden, um „das Meinungsklima zu ändern“. Ein aktives Vorfeld müsse die kommende rechte Regierung in Deutschland auch nach der Wahl unterstützen. (correctiv.org, 10.02.24)
17 Mal ein neofaschistischer Propagandabegriff in der ZiB 2
Das führt direkt zum zweiten Problem der österreichischen Medienberichterstattung: Die rechtsextremen Slogans, deren Verankerung im Medien-Mainstream erklärtes Ziel von „Metapolitik“ ist, werden häufig einfach übernommen. So auch der „neurechte“ Euphemismus „Remigration“. Hinter diesem Szenewort steht die Forderung, Millionen Menschen zu deportieren, was freilich ohne massive Anwendung staatlicher Gewalt nicht möglich wäre. Durch die Verbreitung dieser „metapolitisch“ motivierten Schönfärbung soll also Massendeportation als legitime Idee in öffentliche Debatten Einzug halten. Genau das ist passiert, als FPÖ-Chef Herbert Kickl im gestrigen ZIB-2-Interview (on.orf.at, 10.1.24) lange Zeit darüber reden durfte, was er unter „Remigration“ versteht, ohne dass Kickl dabei eine Abgrenzung zum rassistischen „Masterplan“ Sellners getätigt hätte und auch ohne dass dieser Begriff seitens der Interviewführung eingeordnet worden wäre als das was er ist: ein neofaschistischer Propagandabegriff. So fiel der Begriff 17 Mal während dieses Interviews, acht Mal nannte ihn der Interviewer selbst, der sich von Kickl sogar dazu treiben ließ zu sagen, er habe mit dem Wort kein Problem.
Kickl Herbert: Auch das ist Remigration. Ja, was haben Sie dann für ein Problem mit dem Begriff Remigration?
Thür Martin (ORF): Ich habe kein Problem. Ich habe versucht zu verstehen, wie Sie ihn denken.
(Transkript Interview Martin Thür mit Herbert Kickl, ZiB 2 10.1.24)
Kurz: Die Deckungsgleichheit von AfD und FPÖ und der antidemokratischen extremen Rechten hinsichtlich ihrer Zielsetzung, die die Anwendung von Gewalt impliziert, bleibt medial unterbelichtet, während die euphemistischen Slogans der außerparlamentarischen extremen Rechten unreflektiert verbreitet werden.