Rund um die Berichterstattung zum rechtsextremen Geheimtreffen, das Ende November in Potsdam stattgefunden hat, wurde bisher kaum thematisiert, dass im „Landhaus Adlon“ auch ein Neurochirurg aus Kärnten teilgenommen hat. Auf einem Briefumschlag sind „Susi und Otto O.“ [Nachname abgekürzt; SdR] vermerkt, die zur Nächtigung im „Bootshaus” eingeteilt waren. Wie „Susi und Otto” aus Kärnten zur Einladung für dieses klandestine Meeting gekommen sind, ist uns nicht bekannt. Was treibt einen offenbar gut situierten Arzt und seine Ehefrau, die in einem kleinen Kärntner Ort südlich von Klagenfurt ÖVP-Ersatzgemeinderätin ist, dazu, den völkischen Gewaltfantasien eines Rechtsextremen zu lauschen?
Auch anhand weiterer Teilnehmer*innen des Meetings, bei dem Spenden für Sellner und seine rechtsextreme Truppe eingeworben wurden, lässt sich aufzeigen, dass Teile des rechtskonservativen Spektrums in Deutschland und Österreich in den Rechtsextremismus kippen bzw. schon dort angekommen sind.
Rechts-kippende Konservative
Da wäre zunächst einmal Alexander von Bismarck zu nennen, ein Großneffe des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck. Politisch war Alexander bislang ein CDU-Mann, rechter Flügel. In seiner Freundschaftsliste auf Facebook tummeln sich jede Menge Adel und viel CDU/CSU. Bismarck wurde vom Organisator Gernot Mörig offensichtlich als Teaser benutzt – wegen seiner Vernetzung weit über das bürgerliche Lager hinaus.
Beim Treffen, auf dem Martin Sellner sein Konzept der gewaltsamen Vertreibung von deutschen Staatsbürger*innen mit Migrationshintergrund vorstellte, waren nicht nur prominente rechtsextreme Funktionäre der AfD (für die eigentlich ein Verbot der Kooperation mit Identitären gilt) anwesend, sondern auch Vertreterinnen der „Werteunion“, eines bislang rechtskonservativen Vereins am Rand von CDU/CSU. Für die „Werteunion“ gilt offiziell ebenso, dass sie eine Kooperation mit der AfD ausschließt. Simone Baum, die stellvertretende Vorsitzende der „Werteunion“ auf Bundesebene, war dennoch bei dem rechtsextremen Treffen vertreten, ebenso Michaela Schneider vom Vorstand in Nordrhein-Westfalen.
Uns interessieren vor allem die österreichischen Facebook-Freunde von Simone Baum, weil gerade sie deutlich machen, dass auch die österreichischen Rechtskonservativen in Richtung Rechtsextremismus kippen bzw. schon umgefallen sind. Bei Baum vertreten ist etwa Andreas Tögel, der sich selbst auf Facebook als „libertärer, reaktionärer Fundamentalist“ bezeichnet, die Schmähschrift „Schluss mit Demokratie und Pöbelherrschaft!“ (2015) verfasst hat und als Kolumnist für die rechte Desinformations-Website „exxpress.at“ schreibt. Auch Michael Hörl, ein Salzburger Wirtschaftspublizist, der am äußerst rechten Rand der ÖVP schreibt, zählt zu ihren FB-Freunden, ebenso wie der Wiener Identitäre Rene Lysander Scheibe.
Der „Verein Deutsche Sprache“ ist bislang hauptsächlich durch seinen Kampf gegen das Gendern in der Sprache aufgefallen. Sein Vorstandsmitglied Silke Schröder schreibt für rechtskonservative deutsche Medien und hat einen ähnlichen Freundeskreis wie Simone Baum in Österreich. Immerhin hat sich der konservative Sprachverein von seinem Vorstandsmitglied Schröder wegen dessen Teilnahme an dem rechtsextremen Treffen offiziell distanziert.
Beunruhigende Entwicklung
Die erwähnten Personen verweisen darauf, dass der Übergang von rechtskonservativ zu rechts(extrem) fließend ist. Rechtsextreme Aktivist*innen wissen, dass der Einbezug konservativ-bürgerlicher Sprachrohre (und Geldgeber) nötig ist, sofern die anvisierte völkische Mobilisierung tatsächlich zur Hegemonie führen soll – solche Positionen erfüllen also eine wichtige Scharnierfunktion.
Vor diesem Hintergrund zeigt das konspirative Treffen eine beunruhigende Entwicklung an: Rechtskonservative und Rechtsliberale, die sich offiziell von den Rechtsextremen der AfD distanzieren, treffen sich geheim mit diesen, um einem Vortrag des Neofaschisten Sellner zu hören, mit dem wiederum die AfD einst ebenso wenig zu tun haben wollte wie die FPÖ.
Nachbemerkung
Beide, der Arzt und seine Frau, stammen unseren Recherchen nach aus Deutschland und sind nach Österreich migriert. In einen Kärntner Ort, aus dem die Nationalsozialisten die slowenische Bevölkerung vertrieben und deportiert haben. Das Ehepaar sollte bei den im Ort verbliebenen Slowen*innen nachfragen, was ethnische Säuberungen Marke Sellner bedeuten.
➡️ Der Standard: Auch Österreicher bei rechtem Geheimtreffen in Deutschland