Der fast vergessene Rechtsterrorismus
Rechtsextreme im Staat
Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators (neu bearbeitete Ausgabe)
Wenn die Liebe ruht
Der fast vergessene Rechtsterrorismus
Das Buch von Uffa Jensen, Historiker am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, hätte eigentlich schon 2020, nämlich zum 40. Jahrestag des titelgebenden Erlanger Doppelmordes vom 19. Dezember 1980, erscheinen sollen, wurde dann aber pandemiebedingt erst 2022 veröffentlicht. An schneidender Aktualität hat es dennoch nichts verloren. Das zeigt sich an den Passagen, in denen Jensen die Verbindung zwischen der neonazistischen Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann und der palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) abhandelt.
Die Zusammenarbeit mit der WSG lässt sich per se als antisemitische Handlung kennzeichnen. Schließlich ging es hierbei um eine Kooperation mit Rechtsextremisten und Antisemiten, die im Libanon gegen „Juden‘ kämpfen wollten. (…) Wer mit Hoffmann und Konsorten zusammenarbeitete, nahm automatisch in Kauf, dass auch Juden – und nicht ‚nur‘ Israelis – ins Visier gerieten. (S.166)
Der Einsatz der WSG im Libanon kam über Trainings in Ausbildungslagern der PLO nicht hinaus. Damals war zumindest einigen wichtigen Kadern der Fatah, der wichtigsten Organisation der PLO, die klar neonazistische (und damit antisemitische) Positionierung der WSG, suspekt, während andere Teile heftig kooperierten. Der verheerende Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest im September und der antisemitische Doppelmord an dem jüdischen Erlanger Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke im Dezember 1980, in die Aktivisten der WSG verwickelt waren, beschleunigten aber staatliche Repression und den Zerfall der WSG.
Ausführlich behandelt Jensen aber nicht nur die Ereignisse rund um den Erlanger Doppelmord und die WSG, sondern auch die Vor- und die Nachgeschichte des Rechtsterrorismus von 1980. 1980 war „das Jahr der westdeutschen Rechtsterroristen; umso befremdlicher ist es, dass viele dieser Taten nahezu in Vergessenheit gerieten. Kaum etwas wurde in der Bundesrepublik so aggressiv und so konsequent beschwiegen und verdrängt wie Gewalt von rechts“, ist das Resümee von Jensen in seiner Einleitung.
Ähnliches könnte übrigens auch für Österreich festgestellt werden – und damit ist nicht der Briefbombenterror des Franz Fuchs gemeint, der sich über mehrere Jahre hinzog, sondern das Jahr 1982, in dem durch eine Serie von antisemitischen Bombenattentaten (gegen Simon Wiesenthal, den damaligen Oberrabbiner Akiba Eisenberg, den Journalisten Alexander Giese und Filialen der Bekleidungskette Schöps) der Rechtsterrorismus in Österreich einen vorläufigen Höhepunkt erlebte. Wer erinnert (sich) heute noch daran?
Uffa Jensen, Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2022
Rechtsextreme im Staat
2020 haben wir das Buch „Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“ vorgestellt. Einiges ist seither passiert – und doch wieder auch nicht. In zwei Lageberichten des Verfassungsschutzes wird das Thema Rechtsextremismus und Reichsbürger in den Sicherheitsbehörden dokumentiert. Ein dritter Lagebericht ist für 2024 geplant. Das alles gilt für Deutschland, nicht aber für Österreich, wo es keine Lageberichte zu diesem Thema gibt, nicht einmal Anmerkungen oder Fußnoten in den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre. Dabei wäre hier genug zu recherchieren und zu dokumentieren. Von den Exekutivbeamten, die mit rechtsextremen Corona-Maßnahmengegner*innen fraternisiert haben über die bei den österreichischen Staatsverweigerer aktiven Polizisten bis hin zu Sympathisanten der Identitären.
Weil sich aber deutsche Antifaschist*innen nicht mit Pflichtübungen des Verfassungsschutzes zufrieden geben wollen, ist das Thema Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden nach wie vor eines, das Zivilgesellschaft, Medien und auch Politik beschäftigt. – und die Herausgeber*innen des oben zitierten Buches „Extreme Sicherheit“, die jetzt den Nachfolgeband „Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“ im Herder-Verlag veröffentlicht haben.
Wobei „Sicherheitsbehörden“ eine etwas ungenaue und unzureichende Bezeichnung ist für jene Institutionen, Ereignisse und Personen ist, die in dem Sammelband vorgestellt werden. Da geht es nicht bloß um die Einrichtungen, die in Deutschland unter dem Überbegriff „Sicherheitsbehörden” zusammengefasst werden, sondern auch um die Justiz, wo zuletzt der rechtsextreme Richter Jens Maier, ein ehemaliger AfD-Bundestagsabgeordneter, der im Kapitel „Rechte in Roben“ abgehandelt wird, eine totale Niederlage vor dem Bundesgerichtshof erlitten hat: Er darf nicht in den Richterdienst zurückkehren.
Zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches war diese letztinstanzliche Entscheidung noch ausständig. Warum sie notwendig war, wird aber durch die geschilderten Entscheidungen des Richters, der sich selbst als „kleiner Höcke“ bezeichnete, klar. So hatte er zum Beispiel als dessen Vorredner bei einer AfD-Veranstaltung gegen Migrant*innen und die Aufarbeitung von Verbrechen des Nationalsozialismus gehetzt.
Natürlich wird auch Birgit Malsack-Winkemann, eine weitere Ex-AfD-Abgeordnete und Richterin vorgestellt, die eine der Hauptangeklagten im Prozess gegen die Reichsbürgergruppe um Heinrich Reuß werden dürfte. Aber in dieser mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe war auch der Kriminalhauptkommissar Michael F. aus dem Landkreis Hildesheim aktiv, der 2019 vom niedersächsischen Innenministerium damit beauftragt wurde, die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu begutachten – was er gegenüber der Jüdischen Gemeinde Hannover prompt verweigerte: der braune Bock als Gärtner. Allein dieses Beispiel erklärt, was die Herausgeber*innen in ihrer Einleitung anklagen: „Dieses Buch vermisst auch die Reaktionen des Rechtsstaats auf eine Reihe bekannter Sachverhalte. (…) Wie ein roter Faden ziehen sich die Grenzen der straf- und disziplinarrechtlichen Aufarbeitungen durch viele Beiträge.“ (S. 21)
Was in dem Beitrag „Hessische Zustände. Politik, Verwaltung, Justiz – ein Bundesland im Tiefschlaf“ über die braunen Umtriebe des NSU 2.0 in der Frankfurter Polizei zusammengefasst wird, bleibt zwar nach wie vor weitgehend ohne Aufklärung und Konsequenzen, wird aber in der öffentlichen Debatte etwa durch die Beiträge im ZDF-Magazin Royale von Jan Böhmermann weitergetragen.
Heike Kleffner, Matthias Meisner (Hg.), Staatsgewalt. Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau. 2023
➡️ ZDF-Magazin Royale vom 29.9.23: „Was deutsche Polizisten lustig finden“
➡️ ZDF-Magazin Royale vom 6.10.23: „Was die Polizei mit dem NSU 2.0 zu tun hat“
➡️ Lagebericht Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden. 2020
➡️ Lagebericht Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbörden. 2022
➡️ Kleine Anfrage Martina Renner zum Lagebild Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden. 2022
Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators
Keine Frage, das Buch von Brigitte Hamann, Hitlers Wien, ist mittlerweile ein Klassiker, der die unzähligen Versuche, den Diktator aus seiner Biografie heraus zu erklären, überstrahlt, indem es eine wesentliche Periode, nämlich die „Lehrjahre eines Diktators“ in Wien, durchleuchtet. Die gebundene Ausgabe von 1996 ist nicht mehr erhältlich, aber wohl noch das Taschenbuch (bei Piper). Wozu jetzt also eine komplette Neubearbeitung, erweitert von den beiden Historikern Johannes Sachslehner und Oliver Rathkolb?
Eine Antwort versucht Oliver Rathkolb in seinem Vorwort zu geben. Die Bewertung wichtiger Quellen wie der Aufzeichnungen des Hitler-Freundes August Kubizek oder auch des Hitler-Gegners Franz Jetzinger habe sich mittlerweile geändert. Im Kern geht es aber um die bei Hamann noch unentschiedene Einschätzung, ob Hitler schon in seiner Wiener Zeit ein Antisemit war oder – was etwa der Historiker Ralf Georg Reuth in seiner Hitler-Biografie aus 2002 und später dann noch eindeutiger in seinem Buch über Hitlers Judenhass tatsächlich versucht hat – ein Freund der Juden.
Diese nicht unwichtige Frage ist mittlerweile durch neuere Quellen und die Arbeit von Hannes Leidinger und Christian Rapp über „Hitler – Prägende Jahre“ aus 2020 weitgehend geklärt: Hitler war schon in seinen Wiener Jahren Antisemit.
Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, der für die Neubearbeitung spricht: ein gegenüber dem Original deutlich verbessertes Layout, das durch lesefreundliche Schrifttypen, aber vor allem durch eine üppige Bildausstattung glänzt.
Brigitte Hamann, Johannes Sachslehner, Oliver Rathkolb, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Molden Verlag Wien. 2022
Fast gelesen
Wenn das neue Buch des slowenischen Schriftstellers Drago Jančar („Als die Welt entstand“) auch nur annähernd so gut ist wie sein 2017 ins Deutsche übersetzter Roman „Wenn die Liebe ruht“, dann sollte man auch das lesen. Aber wir müssen gestehen: Das neue kennen wir nicht, das ältere empfehlen wir dringend! Ein wirklich brillant geschriebener Roman über den Zweiten Weltkrieg in Slowenien, über Maribor/Marburg, über Partisanen und die Gestapo – und über die Liebe, die in diesen Kriegs- und Nazizeiten keine Chance hatte.
Drago Jančar, Wenn die Liebe ruht. Paul Zsolnay Verlag, Wien. 2017