Im Vorjahr hat Seehofer in seiner Not eine Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst angekündigt – beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das so wie einzelne Landesämter seit Jahren in der Kritik steht, weil es bei der Bekämpfung rechtsextremer Aktivitäten teilweise völlig versagt hat. Das eindrucksvollste und schlimmste Beispiel: die NSU-Mordserie, die noch immer nicht völlig geklärt ist. Mittlerweile gibt es einen NSU 2.0, der offensichtlich von Polizist*innen betrieben wird und heftige Drohmails an Antifaschist*innen verschickt. Nicht erst seit heute, sondern seit 2018.
Für Seehofer und die CDU/CSU handelt es sich dabei um Einzelfälle. Ein strukturelles Problem von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in der Polizei gibt es für ihn nicht – basta! In Deutschland wird darüber politisch heftig diskutiert. Der Sammelband „Extreme Sicherheit“ liefert dazu eine hervorragende Sichtung rechtsextremer Aktivitäten aus den Bereichen Exekutive und Justiz, greift etwa den Fall des Thüringer Ex-Chefs des Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, noch einmal auf. Roewer, in dessen Amtszeit das Wirken des Thüringer Heimatschutzes, die teuer bezahlte Anwerbung des Neonazi Tino Brandt und der NSU fiel, publiziert mittlerweile ganz offen bei extrem rechten Verlagen wie dem Grazer Ares-Verlag. „In seiner Amtszeit wuchs und radikalisierte sich die rechtsextreme Szene Thüringens, unter anderem mit finanzieller und logistischer Unterstützung des Verfassungsschutzes für V‑Leute wie Tino Brandt“, bringt Wikipedia sein Wirken auf den Punkt.
Im Sammelband wird aber auch die Episode beleuchtet, als Roewer während seiner Amtszeit mit Mitteln des Verfassungsschutzes einen Tarnverlag gründet, „der sich vor allem aus rechtskonservativen, geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Denkmustern und Texten speist“. Natürlich wird auch der deutlich rechtsgestrickte Ex-Chef des BfV, Hans-Georg Maaßen, in einem eigenen Kapitel gewürdigt.
Der politische Wandel in Thüringen (Linke, Grüne und SPD bilden seit 2014 eine Mehrheit) bewirkte auch eine deutliche Veränderung an der Spitze des Verfassungsschutzes. Mit Stephan J. Kramer wurde der frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden, ein Antifaschist, Chef des Landesamtes. Das machte sich bemerkbar etwa im Umgang mit der AfD und ihrer Einschätzung., auch wenn es durchaus Differenzen mit der rotrotgrünen Regierung gibt.
Das Beispiel ist deshalb wichtig, weil im Unterschied zu Deutschland in Österreich die demokratische Linke inklusive der Grünen kein Verhältnis zur Exekutive, respektive zu dem Demokrat*innen in ihr pflegt. Während sich Grüne, Linke und ein bisschen auch die SPD in ihrer Programmatik und Strategie an einer demokratischen und reformierten Sicherheitspolitik mit starken Bürgerrechten abarbeiten, auch Strukturen in der Exekutive bilden, herrscht in dieser Hinsicht in Österreich gähnende Leere, ein Nichtverhältnis oder auch nur Misstrauen.
Mit gebührender Distanz und einigem Erstaunen wurde etwa die Attacke des blauen Innenministeriums auf das Bundesamt für Verfassungsschutz betrachtet. Warum lässt Kickl dort einmarschieren, wo ihm dort doch ohnehin alle dort zu Füßen liegen, war eine verbreitete Einschätzung. Dass dem nicht ganz so ist, bewies das Statement der Leiterin des Extremismusreferats.
Der Sammelband behandelt zwar nicht Österreich, ist aber ein starkes Plädoyer für eine demokratische Polizei und Exekutive. „Mit Sicherheit. Keine Einzelfälle“, lautet eine Zwischenüberschrift und benennt damit einen der wesentlichen Aspekte, die Strukturen, die Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus produzieren. Dass und was man dagegen tun kann, wird in einem absolut empfehlenswerten Interview mit zwei Sozialwissenschaftern (Christoph Kopke und Tobias Singelnstein) beleuchtet:
„Der Anspruch an die Polizei ist, sich eben nicht damit abzufinden, Spiegelbild gesellschaftlicher Polarisierungen zu sein“, heißt es da etwa, und an anderer Stelle:
Rassistische Einstellungen entwickeln sich bei der Polizei nicht im luftleeren Raum, sondern im Kontext des gesellschaftlichen Diskurses. Wenn sich die anderen Parteien von der AfD durch die Verknüpfung von „innerer Sicherheit“ mit Stimmungsmache gegen Geflüchtete in den eigenen Wahlkampagnen beeinflussen lassen, dann muss man sich nicht wundern, dass das Muster sind, die sich auch in der Polizei wiederfinden. (…) Eigentlich hat die AfD ein zentrales Ziel schon erreicht: Im gesellschaftlichen Diskurs sind Kriminalität und Migration miteinander verknüpft – obwohl vollkommen klar ist, dass Kriminalität mit der Herkunft eines Menschen ursächlich nichts zu tun hat.
Allein dieses Interview macht den Sammelband schon lesenswert!
Heike Kleffner/Matthias Meisner (Hg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2019