Es sei hier seine liebste Rede, die er jemals gehalten habe, startet der abgehalfterte Ex-Politiker aus der Steiermark, um dann recht schnell zum Lieblingsthema der vaterlandsverliebten Bagage abzubiegen: zur Flüchtlingspolitik. Grosz redet über ermordete Mädchen, lässt ein paar Sager ab, strapaziert in diesem Zusammenhang seine Lederhose, die er nur deshalb angezogen habe, um seinen „Knicker“, ein Jagdmesser, mitnehmen zu können, „weil in Deutschland des Olaf Scholz und der Annalena B‑B-B-Baerbock und des Herrn Habeck und des Herrn Lindner musst du an jedem Ort und zu jeder Zeit damit rechnen, dass du abgestochen wirst“.
Von seinem Messer, das der selbstverteidigungsbereite Grosz dem Publikum auch gleich zeigt, kommt er direkt zu einem Telefonat, das er angeblich mit dem Vater des im Zug bei Brockstedt ermordeten Mädchens geführt habe. Die selbstgefällige Hauptbotschaft von Grosz ist, das Mädchen sei ein großer Fan von ihm gewesen, denn sie habe zuletzt ein Buch von ihm gelesen und jede Sendung – „auf OE24TV, nicht auf ServusTV – von Sebastian Bohrn-Mena darf ich euch liebe Grüße ausrichten“ – mit ihm gesehen. Grosz erntet auch hier Lacher und johlende Zustimmung im biergeschwängerten Raum. Unterhaltung muss bei diesem Redeformat sein, selbst wenn’s um Opfer von Gewaltverbrechen geht!
Es wäre nicht der rechtsextreme Rahmen, es wäre nicht Gerald Grosz, wenn’s nicht wuchtig gegen Frauen ginge: allen voran gegen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die Grosz in eine Linie mit dem 1946 in Nürnberg hingerichteten NS-Außenminister Ribbentrop stellt, gegen die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel („Urfrau der Unterwanderung“, sie habe, „aus einem offenbar falsch verstandenen historischen Verständnis, sich ständig als Deutsche entschuldigen zu müssen, gemeint: ‚Wir schaffen das.‘“) und die Innenministerin Nancy Faeser, die er in NS-Vergleichsmanier als „Armbinden-Nancy“ tituliert, wiewohl gerade sein Publikum mit den Armbindenträgern von 1933 bis 1945 einzelfallsweise Sympathien hegt. Aber Schizophrenie gehört bekanntermaßen zur Grundausstattung des politischen Werkszeugkoffers von Rechtsextremen: auch, wenn sie sich aktuell zu antifaschistischen Friedenstauberln gewandelt haben wollen, um die Ukraine geistig mitzuentnazifizieren, aber ansonsten beim Horst-Wessel-Lied und dergleichen nasse Hosen vor lauter patriotischer Erregung kriegen.
Wir seien, so Grosz, eingebettet in einem Sprachraum, in einem Kontinent, „der so mühsam über die Jahrhunderte um die Freiheit gerungen hat. So viele Menschen mussten ihr Leben lassen, weil wir nach Freiheit und Friede gerufen haben. Der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg …“ Das „Wir“ eröffnet dem AfD-Publikum jede Menge Identifikationsspielraum, irgendwo zwischen der von Grosz ebenfalls zitierten Aufklärung und dem Nazi-Krieg kann sich praktischerweise jede und jeder im Saal wiederfinden. Dazu passt bestens ein von der „Passauer neue Presse“ (22.2.23; Paywall) zitierter Zwischenruf aus dem AfD-Publikum: „Wir werden von Juden regiert!“
Auch Grosz kleidet sich milieugemäß als Gelegenheitspazifist und Gegner der Waffenindustrie, wenn es um den russischen Krieg in der Ukraine geht (in den laut Grosz „der russische Bär“ durch Provokationen der NATO hineingetrieben wurde). Er beruft sich auf seine Erfahrungen aus dem Jugoslawienkrieg, als die Kämpfe bis an die österreichische Grenze reichten: „Das ist nicht lange her, das ist 35 Jahre her“, säuselt er vom Rednerpult. Die etwas falsche zeitliche Einordnung wird dem Publikum nicht aufgefallen sein.
Zum Schluss gibt der bei Intrigen erfahrene Ex-FPÖ-BZÖ-Politiker Grosz der AfD noch mit auf dem Weg, sich doch parteiintern geschlossen zu zeigen und nicht ins eigene Nest zu scheißen – „Scheißt’s doch die anderen an!“, fordert er seine Gesinnungskameraden auf. „Loßt’s jo kan fohrn, weil des is die CO2-Bilanz auch sehr unerträglich und abträglich“, übte sich Grosz mit gebrochenem Deutsch zwischendurch auch in Anbiederung an die Klimawandelleugner. So gesehen, hat Grosz am Aschermittwoch einiges zu einer miesen CO2-Bilanz beigetragen, denn bei ihm stank es wohl aus allen ihm verfügbaren Löchern.
Laut @pnp gab es diverse NS-Vergleiche in der Rede von Grosz gestern bei der AfD Bayern in Osterhofen. Das dient nur der größtmöglichen Desavouierung demokratischer Akteure. Wo die Partei verortet werden muss, zeigt der Zwischenruf aus der Zuhörerschaft. #noafd #PAM23 https://t.co/VZYmCEO2Dy
— Endstation Rechts. (@ER_Bayern) February 23, 2023
➡️ Mit Dreckschleudern zum Bundespräsident? – Gerald Grosz (Teil 1)
➡️ Gerald Grosz (Teil 2): Rechtsextreme Positionen