Überraschung: Neonazis!

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Es gibt ja immer wie­der Über­ra­schun­gen bei den Neo­na­zis. Die ers­te war jene, dass die bei­den wegen Wie­der­be­tä­ti­gung Ange­klag­ten, Paul B. und Tho­mas C., noch kei­ne Ver­ur­tei­lung am Buckel haben. Wie geht das denn bei Neo­na­zis, die schon seit etli­chen Jah­ren durch­aus hef­tig in der Sze­ne unter­wegs waren? Die zwei­te Über­ra­schung in der Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ge­richt Wien am 28.11. war: Zunächst woll­ten sie gar nichts sagen, dann aber doch. Ein Prozessbericht.

Das Han­dy

Die bei­den ste­hen vor Gericht, weil sie auf dem Han­dy des bereits ver­ur­teil­ten Neo­na­zis A.L. mit Nach­rich­ten und Bild­chen gut ver­tre­ten waren. Sozu­sa­gen brau­ne Vari­an­te von Tho­mas Schmid und Co. Nur, dass am Han­dy von Wotan nicht so viel Pro­mi­nenz mit­ge­mischt hat und die Bil­der, die da getauscht wur­den, eine ande­re Qua­li­tät haben. Viel Adolf Hit­ler näm­lich. Eigent­lich fast nur Adolf Hit­ler-Bil­der und ande­rer brau­ner Dreck. Anti­se­mi­ti­scher Dreck wie der vom „Volk, das sein Blut juden­frei“ hält oder ein Zitat von Himmler.

Der Waf­fen­pass

Das alles erfah­ren wir erst nach der Fest­stel­lung der Per­so­na­li­en, die sehr kurz aus­fällt, weil bei­de Ange­klag­ten, die auch sonst häu­fig als Duo auf­tre­ten, nähe­re Anga­ben zur Per­son ver­wei­gern und auf ihren Anwalt ver­wei­sen. Immer­hin wis­sen wir: Bei­de sind Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter und einer von ihnen mit einem Waf­fen­pass aus­ge­stat­tet. Das ist sozu­sa­gen eine amt­li­che Fest­stel­lung: Ein Nazi darf einen Waf­fen­pass besit­zen und damit auch Waf­fen bei sich tra­gen. Schon wie­der eine Über­ra­schung, auf die wir aller­dings ger­ne ver­zich­tet hätten.

Aber sind die bei­den auch wirk­lich Nazis? Zunächst müht sich der Ver­tei­di­ger Mar­tin Mah­rer ab, die­se Fra­ge zu ent­kräf­ten. Nicht wirk­lich über­zeu­gend, fin­den wir vom SdR-Gerichts­team über­ein­stim­mend. Mah­rer stellt zu den ver­schie­de­nen Ankla­ge­punk­ten haupt­säch­lich nur fest, dass die Ereig­nis­se zwar so statt­ge­fun­den haben, aber dar­aus kei­ne Schuld, kein Vor­satz, sich natio­nal­so­zia­lis­tisch wie­der­be­tä­tigt zu haben, abge­lei­tet wer­den könne.

Die Tanz­bri­ga­de

Damit sind wir schon beim eigent­li­chen Pro­blem: Wenn die ein­zel­nen Ankla­ge­punk­te nicht oder kaum inhalt­lich vor­ge­stellt wer­den, son­dern nur ihre Num­me­rie­rung, dann wird es für unge­üb­te Zuhörer*innen, aber vor allem für die Geschwo­re­nen schwie­rig, sich ein umfas­sen­des Bild von den Ange­klag­ten zu machen. Wer von ihnen weiß denn schon, was die ein­zel­nen poli­ti­schen Sta­tio­nen, die den bei­den Brau­nen zuge­ord­net wer­den, wirk­lich bedeu­ten: Unwi­der­steh­lich, Unsterb­lich, Feri­al­ver­bin­dung Impe­ria, Tanz­bri­ga­de, Iden­ti­tä­re? Woher sol­len die Geschwo­re­nen wis­sen, dass die Nazi-Bar­den, mit denen die bei­den abge­fei­ert haben bzw. deren Bild­chen sie ver­schickt oder auf T‑Shirts getra­gen haben, wirk­lich Nazis sind und nicht, wie die bei­den flö­ten („mir ist kein Lied bekannt, das natio­nal­so­zia­lis­tisch wäre“), „nur“ Rechtsextreme?

Die bei­den Ange­klag­ten bemü­hen sich näm­lich in ihren per­sön­li­chen Erklä­run­gen, die sie – Über­ra­schung! – nach den Ein­gangs­plä­doy­ers von Ankla­ge und Ver­tei­di­gung dann doch abge­ben, jeden Ver­dacht zu zer­streu­en, bei ihnen könn­te es sich um Neo­na­zis han­deln. Rechts­extrem, ja gern, aber Neo­na­zis? Nur weil man mit Küs­sel befreun­det ist? Weil man in der Küssel‘schen Feri­al­ver­bin­dung Impe­ria, vor­mals „Reich“ benannt, aktiv ist? Weil man Hit­ler-Bild­chen über sozia­le Medi­en und Mes­sen­ger­diens­te ver­schickt oder erhält? Und wenn schon etwas anbren­nen soll­te bei den Fak­ten, dann sagt man vor­sichts­hal­ber, es ist im Aus­land pas­siert! Die bei­den ken­nen sich beim Ver­bots­ge­setz aus. Die Novel­le, die auch Wie­der­be­tä­ti­gung im Aus­land unter Straf­an­dro­hung stellt, kommt ja erst.

Was aber ist mit dem Nazi-Schrott, der bei den Haus­durch­su­chun­gen in ihren Woh­nun­gen gefun­den wur­de? Kaum ange­schaut, von Drit­ten zur Ver­wah­rung über­nom­men und außer­dem: Bei­de wol­len die beschlag­nahm­ten brau­nen Devo­tio­na­li­en gar nicht mehr zurück­for­dern, son­dern sie der Jus­tiz über­las­sen. Eine neue Etap­pe begin­nen? Der war gut!

Alle drei vor Gericht: Thomas C., Andreas L. und Paul B. in Alpen-Donau-T-Shirts beim Neonazi-Festival "Schild & Schwert" in Ostritz (21.4.18; @ Presseservice Rathenow)

Alle drei vor Gericht: Tho­mas C., Andre­as L. und Paul B. in Alpen-Donau-T-Shirts beim Neo­na­zi-Fes­ti­val „Schild & Schwert” in Ost­ritz (21.4.18; @ Pres­se­ser­vice Rathenow)

Der Krug und die Ker­zen mit der Sig-Rune

Unter den beschlag­nahm­ten „Gütern“ befin­den sich so wert­vol­le Din­ge wie ein Krug mit der Inschrift „Impe­ria“ und einer Sig-Rune. Hat den Krug viel­leicht der Küs­sel selbst getöp­fert? Jeden­falls nach Mei­nung der bei­den brau­nen Rechts­exper­ten nicht straf­bar, weil nur eine Sig-Rune dar­auf ist. Das gilt ihrer Mei­nung nach auch für die Ker­zen mit ein­fa­cher Sig-Rune. Dann kommt ein schö­ner Satz: „So eine Ker­ze kön­nen Sie auf jedem Win­ter­markt, wenn Sie jetzt ins Hee­res­ge­schicht­li­che Muse­um gehen, kau­fen.“ Wir mer­ken an: Die Nazis sagen Win­ter­markt statt Christ­kindl­markt! Im Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um gibt’s aller­dings einen Adventmarkt.

Die brau­ne Hochzeit

Die Ker­zen mit der Sig-Rune befin­den sich ver­mut­lich höchs­tens als Stum­mel unter den brau­nen Reli­qui­en, die jetzt der Jus­tiz gehö­ren. Abge­brannt wur­den sie näm­lich bei einer Hoch­zeit. Bei einer brau­nen Hoch­zeit. Die war sozu­sa­gen das „High­light“ der Ver­hand­lung, obwohl sie kaum näher beleuch­tet wur­de. Schließ­lich hät­ten auch wir ger­ne gewusst, wie so eine ger­ma­nisch-völ­ki­sche Hoch­zeit abläuft. Viel haben wir durch die Ver­hand­lung nicht erfah­ren dar­über, nur, dass der Zere­mo­nien­meis­ter für alles ver­ant­wort­lich war: für die Ker­zen mit der Sig-Rune und für das zusam­men­ge­fal­te­te Tuch, hin­ter dem die Ermitt­lungs­be­hör­den eine Haken­kreuz­fah­ne ver­mu­tet haben. Ver­mut­lich muss­te sich das ger­ma­nisch-völ­ki­sche Braut­paar ewi­ge Treue schwö­ren auf dem Tuch. Auf einem lee­ren Fet­zen? Der Zere­mo­nien­meis­ter, der da mehr wüss­te, kann nicht mehr befragt wer­den, weil er schon in einem Gerichts­ver­fah­ren als unzu­rech­nungs­fä­hig aus­ge­schie­den wur­de. Auch, wo sich der Event abspiel­te, war dem brau­nen Duo nicht mehr erin­ner­lich. Sicher nicht auf einer Hüt­te in Öster­reich. Theo­re­tisch, mein­te der Paul B., könn­te es Ungarn gewe­sen sein (wir erin­nern uns: Ver­bots­ge­setz gilt – noch – nicht für Taten im Aus­land), aber wo, das weiß auch er nicht mehr.. Der Staats­an­walt weiß dafür, dass man einen Wald mit so präch­ti­ger Fich­ten­mo­no­kul­tur im Hin­ter­grund in ganz Ungarn nicht fin­den könne.

Die Schluss­plä­doy­ers

Natür­lich könn­te man noch eini­ge Details anfüh­ren – wir haben ja brav mit­ge­schrie­ben. Aber Ange­sichts des Umstan­des, dass hier gegen Hard­core-Neo­na­zis ver­han­delt wur­de (Staats­an­walt: „Mehr Neo­na­zi geht nicht in Öster­reich!“), die in Grup­pen aktiv waren, von denen über Jah­re ech­te rohe Gewalt aus­ge­gan­gen ist, über die in dem Pro­zess kein Ster­bens­wört­chen gefal­len ist, läuft die Ver­hand­lung ziem­lich emo­ti­ons­los und inhalts­leer ab. Der Paul lobt in sei­nem kur­zen Schluss­wort das Schluss­plä­doy­er des Staats­an­walts („sehr gut vor­ge­tra­gen“), der Tho­mas hält sich noch kür­zer, dann zie­hen sich die Geschwo­re­nen zur Bera­tung der 21 Fra­gen, mit denen über Schuld oder Unschuld ent­schie­den wird, zurück.

Die Urtei­le

Fünf Stun­den spä­ter dann die Urtei­le. Paul B. wird zu 18, Tho­mas C. zu 15 Mona­ten ver­ur­teilt. Bei­de Urtei­le wer­den bedingt auf drei Jah­re aus­ge­spro­chen. Für die brau­nen Reli­qui­en in den Woh­nun­gen gibt’s kei­ne Schuld, auch nicht für die Teil­nah­me an der Hoch­zeit, bei der die bei­den nur unbe­tei­ligt her­um­ge­stan­den sein wol­len. Mit dem Urteil der Geschwo­re­nen sind die bei­den also nicht nur Rechts­extre­me, son­dern Neo­na­zis. Die Urtei­le sind noch nicht rechtskräftig.

➡️ Tho­mas C. als Par­la­ments-Secu­ri­ty: „Bal­dur Wien“ im Parlament
➡️ Zur Neo­na­zi-Grup­pe „Unwi­der­steh­lich”: Unwi­der­steh­lich ist nicht unsterblich

Aktivitäten und Interessen auf Facebook-Account von Thomas C. (2011)

Akti­vi­tä­ten und Inter­es­sen auf dem (mitt­ler­wei­le gelösch­ten) Face­book-Account von Tho­mas C. (2011): Tho­mas C. inter­es­siert sich für Tho­mas C.