Nicht, dass die Verhandlung besonders aufregend gewesen wäre oder interessante Einblicke in die Vita eines Neonazi geboten hätte. Die fünf Anklagepunkte zum Vorwurf der NS-Wiederbetätigung, die der Staatsanwalt vortrug, ließen relativ deutlich erkennen, dass da kein Neonazi vor Gericht stand. Eher einer wie das verflossene rechtsextreme FPÖ-Urgestein Otto Scrinzi, der über sich sagte: „Ich war schon immer rechts, auch innerhalb der NSDAP.“ Bloß, dass Robert G. nie Mitglied der NSDAP war und glaubhaft auch bei keiner späteren rechtsextremen Organisation.
Als „libertär“, gar als „liberal“ versucht sich der Angeklagte in seiner langatmigen Erklärung zu Beginn der Verhandlung selbst zu verorten. Als einer, der eine ausländische Frau habe, der sogar zu einem Sympathisanten der kolumbianischen Guerilla gute Kontakte habe und auch Aufträge für jüdische Friedhöfe übernommen habe. Robert G. ist nämlich Ziviltechniker. Sein Studium hat er teilweise in Kolumbien absolviert, seine Frau dort kennengelernt. Seine quälend lange Selbstdarstellung mit Lebenslauf, die erst gegen Ende auf die Anklage Bezug nimmt, ist auf eine einzige Frage ausgerichtet: Kann so ein „zutiefst liberaler, libertärer Mensch“ solche Verbrechen, wie sie ihm die Anklage vorwirft, begangen haben? Der Angeklagte betont auch mehrmals, dass es ihn völlig aus den Socken gehaut habe, als er von der Anklage erfahren hat. Ein Irrtum der Ermittler?
Nun ist zwischen liberal und libertär schon ein gewaltiger Unterschied. Aber nur, wenn man unter einer libertären Haltung auch das Recht verstehen würde, nach eigenem Bedürfnis wild zu hetzen, könnte man ihn so rubrizieren. Eine ordentliche Selbsttäuschung. Aber was wurde Robert G. überhaupt vorgeworfen?
Begonnen hat es damit, dass irgendjemand der Kammer, in der Robert G. als Ziviltechniker organisiert ist, gemeldet hatte, dass G. auf seiner Website unter anderem sexistische Fotos veröffentlicht habe. Die Kammer hat dies zum Anlass für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens genommen (das Verfahren ist noch immer nicht abgeschlossen) und die Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft weitergemeldet. Die hat daraufhin zu ermitteln begonnen und ist fündig geworden. Wo? Auf der Website des Angeklagten, die nicht bloß die übliche berufliche Werbung anbietet (Rubriken „Leistungen“, „Projekte“, „Curriculum Vitae“ usw.), sondern gleich im Intro seltsame rechte Sprüche wie „Germany, Sweden, France.…let the pussies govern and watch what happens“. Unter den Pussies versteht der Herr Diplomingenieur auch die männliche Variante des Schimpfwortes, also Schlappschwänze, wie dieser Punkt der Anklage, veröffentlicht am 6.3.2017, zeigt: „The German Male, from Hitler-Youth to suicidal pussies, within less than a century. Amazing!“ („Der deutsche Mann: Innerhalb von weniger als einem Jahrhundert vom Hitler-Jungen zum selbstmordgefährdeten Schlappschwanz. Erstaunlich!“) Ist das NS-Wiederbetätigung? Eher nicht, aber widerlich und zynisch. So wie sein (nicht angeklagter!) Eintrag vom 19.1.2017: „The Decline: Boys becoming pussies, Girls becoming sluts, and the worst: both proud of it.“ („Der Niedergang: Die Burschen werden Schlappschwänze, die Mädels Schlampen, und das Übelste dabei: Beide sind auch noch stolz darauf.“)
Robert G. äußert sich in seiner Kolumne aber nicht nur auf Englisch, sondern auch in deutscher Sprache. Journalist*innen sind für ihn Abschaum, Kopftuchträgerinnen Religionsfaschistinnen, die verstorbene Schriftstellerin Friederike Mayröcker eine „senile Plaudertasche“ und Merkel in bekannt rechtsextremer Diktion auch „Murkel“. Aber nicht nur das: „Wäre Merkel ein Mann, mit nicht deutlich unterdurchschnittlichem Ehrgefühl, hätte er sich längst eine Kugel in den Kopf geschossen für das Unheil, das er über sein Land gebracht hat.“
Das postet der Mann, der sich als „liberal“ bezeichnet sehen will, im Jahr 2017. Auch dieses Posting ist nicht angeklagt: Mit dem zynisch empfohlenen Suizid und dem Konjunktiv zieht er – nach bisheriger Rechtsprechung – seinen Kopf aus der strafrechtlichen Schlinge. In Deutschland ändert sich das gerade nach dem Mord an Walter Lübcke.
In der Verhandlung will der Angeklagte glauben machen, dass es nur ganz wenige Postings – eben die acht angeklagten – seien, die ein bisschen ärger wären und zwischen Dutzenden völlig friedlichen Postings stünden. Das Gegenteil ist der Fall! Ein zynisches, sexistisches, verletzendes, hetzendes Posting reiht sich an das nächste. Wer den stattlichen Mann sieht, der da mit ruhiger Stimme auf der Anklagebank sitzt und spricht, möchte gar nicht glauben, dass er es ist, der Postings wie dieses geschrieben hat: „Wann ist eigentlich die Mode aufgekommen, Plünderer und Brandstifter auf frischer Tat nicht ohne Vorwarnung zu erschießen? Hat wahrscheinlich mit dem steigenden Mädchenanteil bei der Polizei und der Richterschaft zu tun.“ (28.6.20)
Oder das hier: „Considering the facts it seems that AntiFa is Marxist Shit and BLM is Racist Shit. Change my mind!“ (26.7.20)
Oder das: „Wir sollten nicht mehr von Fluchtrouten, sondern, zutreffender, von Invasionsrouten sprechen, was den linken Mädchen, mit und ohne Pimmel, gar nicht gefallen dürfte, aber das macht nichts.“ (20.10.2020)
Auch dieses Posting ist nicht unter den Anklagepunkten: „Conchita, 50% der Leute, die du singend willkommen heißt, wollen dich an einem Baukran hängen sehen.“ (4.10.2015)
Für Robert G. fällt das alles unter liberale Selbstreflexion und Meinungs- und Gedankenfreiheit. Bei den Befragungen durch den vorsitzenden Richter, dem die langatmigen Erklärungen des Angeklagten viel zu lange dauern, hat man den Eindruck, dass er das auch so ähnlich sieht.
Angeklagt ist etwa dieses Posting: „Ich weiß nicht, warum sich die Leute so echauffieren, es ist doch nur ein Stückchen Stoff, die Hakenkreuzbinde.“ (14.4.2018)
Mehrmals wird der Zivilingenieur gefragt, warum er all seine Hetz- und Hass-Postings auf seiner Firmen-Website online stellte. Eine wirklich überzeugende Antwort kann er nicht liefern, betont nur immer wieder, dass er seine Kunden nicht im Unklaren lassen wollte über seine Ansichten. Leitet er daraus ab, dass die seine Ansichten billigen oder gar teilen? Das wurde er leider nicht gefragt, dafür betont er aber mehrmals, dass er sogar Aufträge von der Israelitischen Kultusgemeinde erhalten habe. Die hat aber das Hakenkreuzbinden-Posting sicher ebenso wenig bemerkt wie das mitangeklagte (wegen Verhetzung) Schweinsbraten-Posting: „Bei einem Schweinsbraten hat man wenigstens die Garantie, dass das Tier nicht von Geisteskranken, unter Anrufung eines Hirngespinstes, religiös einwandfrei, zu Tode gequält wurde.“ (3.4.18)
Nach mehr als zwei Stunden und nachdem die von der Verteidigung beantragte Ladung von drei Zeugen abgelehnt worden ist, wurde die Verhandlung zur Formulierung der Fragen an die Geschworenen unterbrochen. Das ging ziemlich schnell. Das Urteil: In zwei der acht Anklagepunkte entschieden die Geschworenen tatsächlich auf „schuldig“. Der Richtersenat hat den Wahrspruch der Geschworenen dann allerdings wegen „Irrtums“ ausgesetzt. Damit tritt der extrem seltene Fall ein, dass die Berufsrichter einen Schuldspruch der Geschworenen nicht anerkennen und ein neu zusammengesetztes Geschworenengericht neuerlich über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden muss.
Zitate von G.s Website unter dem Label „Milieubedingte Unmutsäußerungen” (Auswahl):
Conchita, 50% der Leute, die du singend willkommen heißt, wollen dich
an einem Baukran hängen sehen.
4.10.2015Ohne den Feminismus und dessen heldenhaften Kampf gegen das
„Weiße Patriarchat“ hätten es die Islamis, also die vollbärtigen
Volltrottel aus dem 7. Jahrhundert um einiges schwerer, ihre Vorstellungen
von der idealen Gesellschaft auch im Westen durchzusetzen.
8.3.2017The truth is neither correct nor diverse,
the truth, I´m sorry to say it, is racist.
24.4.2017Sie wollen einen vermummten Demonstrierenden verwirren bzw. in
Erstaunen versetzen ?
Sagen Sie ihm, dass das Wort Nazi von National-Sozialist stammt.
20.4.2017Wäre Merkel ein Mann, mit nicht deutlich unterdurchschnittlichem
Ehrgefühl, hätte er sich längst eine Kugel in den Kopf geschossen
für das Unheil, das er über sein Land gebracht hat.
26.7.2017
Danke an Prozessreport für die Übermittlung des Urteils!