Wochenschau KW 28–33/22 (Teil 2: Wiederbetätigungsprozesse)

Lesezeit: 6 Minuten

Im Bur­gen­land häu­fen sich seit eini­gen Mona­ten die Wie­der­be­tä­ti­gungs­pro­zes­se – ein Aus­lö­ser sind jene Chat­grup­pen sein, über die erst­mals im Mai berich­tet wur­de und in denen um die 20 Per­so­nen, dar­un­ter ein Poli­zist, aktiv Nazi-Schrott geteilt hat­ten. Egal, wel­che Ange­klag­ten nun vor Gericht auf­mar­schie­ren: Ihre Erklä­run­gen sind alle­samt wenig ori­gi­nell, und alle haben bis­lang einen Schuld­spruch kassiert.

Bez. Oberwart/Eisenstadt: „Pot­pour­ri der Grausamkeit“
Bez. Oberwart/Eisenstadt: Opfer des Grup­pen­zwangs und ein Jux
Bez. Oberwart/Eisenstadt: Wie­der­be­tä­ti­gung in Trance
Bez. Mattersburg/Eisenstadt: Schrei­du­el­le vor Gericht

Bez. Oberwart/Eisenstadt: „Pot­pour­ri der Grausamkeit“

Als „Pot­pour­ri der Grau­sam­keit“ bezeich­net der Pro­zess­be­richt­erstat­ter von meinbezirk.at, was der bereits wegen Kör­per­ver­let­zung, Sach­be­schä­di­gung und Urkun­den­un­ter­drü­ckung zwei­fach vor­be­straf­te 34-jäh­ri­ge Unter­neh­mer von 2016 bis 2018 via Whats­App ver­schickt hat­te. Und die­se Cha­rak­te­ri­sie­rung der ins­ge­samt 51 ange­klag­ten Nach­rich­ten erfolgt zurecht:

Pie­tät­lo­sig­keit mit der Frat­ze der NS-Ver­herr­li­chung. Pot­pour­ri der Grau­sam­keit. Men­schen­ver­ach­tung mit Gän­se­haut­ef­fekt. Und das alles, um sich bei einem rechts­ra­di­kal ori­en­tier­ten Freund anzu­bie­dern. Des­halb ver­schick­te ein Unter­neh­mer aus dem Bezirk Ober­wart ins­ge­samt 51 Bild­nach­rich­ten per Whats­App. Mit dra­pier­ten Lei­chen­fo­tos eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers, einem Weih­nachts­mann mit Haken­kreuz-Arm­bin­de und Hit­ler-Gruß, einer bis zum Ske­lett abge­ma­ger­ten Frau, die eine Schär­pe mit der Auf­schrift trug: „Miss Ausch­witz“… Unfassbar. (…)
Als die Anklä­ge­rin eini­ge der 51 Bild­da­tei­en beschrieb, inklu­si­ve der dazu ver­fass­ten Tex­te, erklär­te sie: „Ich bekom­me gera­de Gän­se­haut auf­grund der Grau­sam­keit man­cher Abbil­dun­gen!“ Expli­zit führ­te sie das Foto mit dem abge­lich­te­ten Gesell­schafts­spiel „Twis­ter“ an, auf dem meh­re­re Lei­chen­bil­der von Opfern eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers auf­ge­legt waren.
Sprü­che wie „Die SS ruft dich“, „Unser Chef (Hit­ler) fei­ert bald sei­nen 130. Geburts­tag“, kom­bi­niert mit Haken­kreu­zen, NS-Wahl­pro­pa­gan­da-Pla­ka­ten, Toten­kopf-Sym­bo­len, NSDAP-Bekun­dun­gen und Juden­stern-Dar­stel­lun­gen spie­geln die Band­brei­te der per Whats­App ver­sen­de­ten Datei­en. Kom­plet­tiert mit einem adap­tier­ten Auto­rei­fen-Miche­lin-Männ­chen, das die Hand zum Hit­ler­gruß erhob und einen Ober­lip­pen­bart trug. (meinbezirk.at, 3.8.22)

Der Ange­klag­te gab an, sich für die Nach­rich­ten zu schä­men, kein Nazi zu sein, er habe das getan, weil es alle getan hät­ten usw. Ins Visier der Ermitt­lun­gen ist er gekom­men, weil im Zuge einer Raz­zia in meh­re­ren Bun­des­län­dern auf dem Han­dy eines Durch­such­ten sei­ne Chats gefun­den wor­den waren.

Das Urteil fiel nach rela­tiv kur­zer Bera­tung der Geschwo­re­nen ein­deu­tig aus: ein­stim­mi­ger Schuld­spruch, zwölf Mona­te bedingt und eine Geld­stra­fe über 1.440 Euro.

Bez. Oberwart/Eisenstadt: Opfer des Grup­pen­zwangs und ein Jux

Ein 35-Jäh­ri­ger aus dem Bezirk Ober­wart hat­te zwi­schen 2017 und 2018 ins­ge­samt 31 Whats­App-Nach­rich­ten ver­schickt, für die er sich vor dem Lan­des­ge­richt Eisen­stadt ver­ant­wor­ten muss­te. Es sei ein „Jux“ gewe­sen, ein Sel­fie für das er sich einen Hit­ler-Bart auf­ge­ma­len hat­te, bezeich­ne­te er als „besof­fe­ne Geschich­te“.

Dass er sich straf­bar gemacht hat­te, sei ihm klar gewor­den, als er selbst schon ein­mal im Schwur­ge­richts­saal saß: Als Ersatz­ge­schwo­re­ner war er zu einem Pro­zess wegen Wie­der­be­tä­ti­gung ein­ge­la­den wor­den. Staats­an­walt Chris­ti­an Petö bezeich­ne­te die am Han­dy des Ange­klag­ten sicher­ge­stell­ten Bot­schaf­ten als „wirk­lich geschmack­los“. „Er sag­te, es war nur ein Scherz, ein Jux für ihn“, wun­der­te sich der Staats­an­walt. Ihm erschlie­ße sich nicht, was dar­an lus­tig sei, „wenn Men­schen so ver­höhnt wer­den“. „Er ist wie vie­le ande­re Opfer des Grup­pen­zwangs gewor­den“, sag­te Ver­tei­di­ger Roland Heindl. (BVZ, 18.08.2022, S. 26)

Der Bur­gen­län­der gab sich reu­mü­tig, er wür­de so etwas nie wie­der tun. Der Schuld­spruch blieb den­noch nicht aus: „Die Geschwo­re­nen „ver­ur­teil­ten den Bur­gen­län­der mit 8 : 0 Stim­men zu einer Frei­heits­stra­fe von 13 Mona­ten, bedingt auf drei Jah­re. Wei­ters zu einer Geld­bu­ße von 3.000 Euro und zur Bezah­lung der Pro­zess­kos­ten von 500 Euro. Das Urteil ist rechts­kräf­tig.“ (meinbezirk.at, 11.8.22)

Bez. Oberwart/Eisenstadt: Wie­der­be­tä­ti­gung in Trance

Mit „Wolfs­schan­ze 1“ oder „Hans SS Heil“ waren diver­se Mail-Accounts des Mit­te 50-jäh­ri­gen Ange­klag­ten aus dem Bezirk Mat­ters­burg benannt, wegen diver­ser Pos­tings, in denen er offen gegen Juden/Jüdinnen und Ausländer*innen hetz­te, im Mai 2021 saß er vor Gericht. Bis  zur Ver­hand­lung gab er sich bei Befra­gun­gen schweig­sam, wäh­rend des Pro­zes­ses ging’s um Tablet­ten- und Alko­hol­kon­sum und dar­über, dass er sich über „die Israe­lis, die Hamas und Asy­lan­ten, die im Wald den Dreck zurück­las­sen“ geär­gert hätte.

Zwi­schen­durch ver­such­te er es mit der Vari­an­te, er habe gar nicht gewusst, was er da geschrie­ben habe, er kön­ne es selbst gar nicht glau­ben. Es folg­ten offen­bar ans Skur­ri­le gren­zen­de Dia­lo­ge mit dem vor­sit­zen­den Rich­ter., die immer wie­der auf den Satz „Ich war wie in Trance“ hinausliefen.

„Was haben sie gemeint mit ihrem Kom­men­tar ‚Der letz­te Wähl­ba­re hat sich 1945 erschos­sen?“ „Ich bin mit unse­rer Regie­rung unzu­frie­den!“ „Und dann schrei­ben sie so einen Schwach­sinn?“ „Jetzt weiß ich auch, dass das ein Blöd­sinn war. Ich wun­de­re mich selbst über mich. Ich war wie in Trance!“ „Und wofür steht ‚Raus mit Juden und Mus­li­men?“ „Ich kann mich nicht erin­nern.“ „Sie haben ja gegen alle etwas!“ „Ich war wie in Tran..!“ (…) Auch die Staats­an­wäl­tin hak­te ein: „Ihre Trance-Geschich­te ist nichts ande­res als eine Aus­re­de. Außer­dem sit­zen sie hier die gan­ze Zeit mit einem süf­fi­san­ten Lächeln. Gemein­sam mit den gefun­de­nen Such­be­grif­fen auf ihrem PC nach „SS“ und „Juden­ka­ri­ka­tu­ren“ spie­gelt das schon einen Aus­druck ihrer inne­ren Hal­tung wider!“ (meinbezirk.at, 17.8.22)

Der Trance-Zustand, die Tablet­ten, der Alko­hol, zudem auch noch der Tod der Cou­si­ne und der Uroma als Erklä­rungs­ver­su­che schie­nen nicht gewirkt zu haben. Es gab einen ein­stim­mi­gen Schuld­spruch, 14 Mona­te Haft bedingt und eine Geld­stra­fe über 960 Euro. Der Ange­klag­te akzep­tier­te, von der Staats­an­wäl­tin gab’s kei­ne Erklä­rung, daher ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Bez. Mattersburg/Eisenstadt: Schrei­du­el­le vor Gericht

Sehr ein­sich­tig hat­te sich der 39-jäh­ri­ge Ange­klag­te aus dem Bezirk Mat­ters­burg, der inzwi­schen nach Klos­ter­neu­burg ver­zo­gen ist, vor Gericht nicht gezeigt: Er lie­fer­te sich mit der Rich­te­rin so lan­ge Schrei­du­el­le, bis die ziem­lich barsch ihn auf­for­der­te, den Mund zu hal­ten und zwi­schen­durch sogar dem Gerichts­prä­si­den­ten der Kra­gen platzte.

Ange­klagt war der Bur­gen­län­der aus dem Bezirk Mat­ters­burg, Ende 30, ledig, wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung. Übri­gens nicht sein ers­ter Kon­takt mit der Jus­tiz. Immer­hin ist er bereits fünf­mal wegen Kör­per­ver­let­zung und ein­mal wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung ver­ur­teilt. Dafür ver­büß­te er auch eine sechs­mo­na­ti­ge Haftstrafe.
Vor­ge­wor­fen wur­de ihm von der Staats­an­wäl­tin, dass er Fotos und Sprü­che mit natio­nal­so­zia­lis­ti­schem Inhalt über Social-Media-Platt­for­men wie Facebook/WhatsApp öffent­lich gepos­tet bzw. wei­ter­ge­lei­tet hat. So etwa das Bild einer SS-Uni­form­kap­pe, bei der als Hin­weis für Flücht­lin­ge stand: „An die­ser Müt­ze erken­nen sie ihren Sach­be­ar­bei­ter“. Die Ablich­tung von Adolf Hit­ler führ­te den Text: „Sch.…, habe den Ofen ange­las­sen!“ (meinbezirk.at, 11.8.22
)

Sei­ne zwi­schen 2016 und 2019 ver­öf­fent­lich­ten ein­schlä­gi­gen Pos­tings sei­en „sicher nicht poli­tisch gemeint“ (BVZ, 11.8.22, S. 30), er sei als Jugend­li­cher in einer rech­ten Grup­pe gewe­sen, die er aber ver­las­sen habe, nach­dem er sich mit einer aus Ungarn stam­men­den Roma befreun­det hät­te. Zu den Pos­tings kamen ein­schlä­gi­ge Chat­nach­rich­ten, Täto­wie­run­gen und Hit­ler­grü­ße und dar­auf ein ein­stim­mi­ger Schuld­spruch: nicht rechts­kräf­ti­ge 14 Mona­te Haft auf Bewäh­rung und die Über­nah­me der Pro­zess­kos­ten (500 Euro).