Wien-Favoriten: Wie AKP und FPÖ voneinander profitieren

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Am 24. Juni 2020 grif­fen Erdo­gan-Anhän­ger, Graue Wöl­fe und selbst­er­nann­te „Wäch­ter von Favo­ri­ten“ eine Kund­ge­bung zu Frau­en­rech­ten an. Die Frau­en­kund­ge­bung, die von ver­schie­de­nen Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen in Wien orga­ni­siert wur­de, rich­te­te sich gegen Femi­zi­de, patri­ar­cha­le und sys­te­ma­ti­sche Gewalt. Auf dem Reu­mann­platz woll­ten die Frau­en­recht­le­rin­nen vor allem auf die zuneh­men­de Gewalt gegen Frau­en wäh­rend der Coro­na-Kri­se auf­merk­sam machen. Gast­bei­trag von Berî­van Aslan.

Nach der Kund­ge­bung gin­gen die rechts­extre­mis­ti­schen und frau­en­feind­li­chen Angrif­fe wei­ter. Dar­auf­hin muss­ten sich die Frau­en­recht­le­rin­nen in das Ernst-Kirch­we­ger-Haus (EKH) bege­ben, um sich vor kör­per­li­chen Angrif­fen zu schüt­zen. Auch danach wur­den die Teil­neh­me­rin­nen der Kund­ge­bung vor dem EKH von Rechts­extre­mis­ten atta­ckiert. Inner­halb kur­zer Zeit ver­sam­mel­te sich Hun­der­te von rechts­extre­men Män­nern vor dem Gebäu­de, wor­auf­hin es zu einem Groß­ein­satz der Poli­zei kam. Nach­dem die Frau­en im EKH von Rechts­extre­mis­ten und den Groß­ein­satz der Poli­zei ein­ge­kes­selt waren, folg­te ein soli­da­ri­scher Pro­test vor dem EKH sei­tens anti­fa­schis­ti­scher Kreise.

In der Ver­gan­gen­heit hat es wie­der­holt Angrif­fe auf tür­kei­stäm­mi­ge demo­kra­ti­sche Ver­ei­nen gege­ben. Die angrei­fen­den Rechts­extre­mis­ten zeig­ten kei­ner­lei Scheu vor der Poli­zei, zeig­ten den Wolfs­gruß direkt vor den Beam­tIn­nen und skan­dier­ten rechts­extre­me Paro­len. Der Wolfs­gruß ist ein Erken­nungs- und Gruß­zei­chen der tür­ki­schen rechts­extre­mis­ti­schen Grau­en Wöl­fe und Natio­na­lis­ten. Trotz mas­si­ver Pro­tes­te des tür­ki­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums wur­de der Wolfs­gruß in Öster­reich verboten.

Wolfsgruß und nationalistische Parolen (Foto Presseservice Wien)

Wolfs­gruß und natio­na­lis­ti­sche Paro­len (Foto Pres­se­ser­vice Wien)

Am dar­auf fol­gen­den Tag gab es einen Pro­test gegen die faschis­ti­schen Angrif­fe. Immer wie­der ver­such­ten Erdo­gan-Anhän­ger und Graue Wöl­fe zu pro­vo­zie­ren – dies­mal bes­ser orga­ni­siert: mit tür­ki­schen Fah­nen, Wolfs­grü­ßen, rechts­extre­men Paro­len, IS-Paro­len und Pro-Erdo­gan-Slo­gans. Die anti­fa­schis­ti­sche Kund­ge­bung wur­de inner­halb einer Stun­de mehr­mals ange­grif­fen und gestört.

Antifaschistische Solidaritätskundgebung (Foto Presseservice Wien)

Anti­fa­schis­ti­sche Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung (Foto Pres­se­ser­vice Wien)

Etwa 200 bis 300 rechts­extre­me Män­ner ver­sam­mel­ten sich erneut beim EKH, wo sie über län­ge­re Zeit ran­da­lie­ren konn­ten. Sie grif­fen das EKH mit Stei­nen, Fla­schen und Feu­er­werks­kör­pern an und ver­such­ten gewalt­sam in das Gebäu­de ein­zu­drin­gen. Dabei wur­den meh­re­re Fens­ter­schei­ben ein­ge­schla­gen und par­ken­de Autos beschä­digt. Zeu­gin­nen und Zeu­gen am Tat­ort war­fen der Poli­zei zöger­li­ches Vor­ge­hen vor: Die Poli­zei habe sich trotz der offen­sicht­lich dro­hen­den Eska­la­ti­on zurückgezogen.

Am drit­ten Tag gab es ver­stärk­ten Poli­zei­ein­satz, den­noch wur­den nach der anti­fa­schis­ti­schen Kund­ge­bung, Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer ange­grif­fen und ver­letzt. Es han­delt sich um Atta­cken auf demo­kra­ti­sche, anti­fa­schis­ti­sche und eman­zi­pa­to­ri­sche Struk­tu­ren, die auf die repres­si­ve Poli­tik der tür­ki­schen Regie­rung unter der Füh­rung von Erdo­gan zurück­zu­füh­ren sind. Seit 2016 wer­den regie­rungs­kri­ti­sche Per­so­nen, Men­schen­grup­pen, Orga­ni­sa­tio­nen, Medi­en und Jour­na­lis­tIn­nen mas­siv unter­drückt und kri­mi­na­li­siert. Unter dem Deck­man­tel „Ter­ror­be­kämp­fung“ wur­den Tau­sen­de Per­so­nen inhaf­tiert, miss­han­delt und sus­pen­diert. In den letz­ten Jah­ren nah­men die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angrif­fe und die geziel­ten Angrif­fe auf kur­di­sche Frau­en­ak­ti­vis­tin­nen enorm zu.

Es ist nicht hin­nehm­bar, dass jede Frie­dens­kund­ge­bung oder Demons­tra­ti­on gegen die Men­schen­rechts­la­ge in der Tür­kei in die PKK-Gülen-Schub­la­de* gelegt wird! Es ist auch nicht hin­nehm­bar, dass erdo­gan­kri­ti­sche Per­so­nen in Öster­reich denun­ziert und in der Tür­kei ange­zeigt wer­den! Es ist absurd, dass jede Kri­tik an die Regie­rung Erdo­gans als „ter­ro­ris­tisch“ ein­ge­stuft wird!

Seit Jah­ren ver­su­che ich auf die­se gefähr­li­chen rechts­extre­mis­ti­schen Grup­pen und den Ein­fluss aus der Tür­kei hin­zu­wei­sen. Auch als Mit­glied des Natio­nal­rats for­der­te ich den sofor­ti­gen Stopp der AKP-Lob­by­or­ga­ni­sa­tio­nen (erdo­g­an­na­he Orga­ni­sa­tio­nen in Österreich).

Die öster­rei­chi­sche Poli­tik hat die­se zuneh­men­de Gefahr für unse­re Inte­gra­ti­ons­po­li­tik mas­siv unter­schätzt. Rechts­po­pu­lis­ten und Recht­ex­tre­me wie die FPÖ instru­men­ta­li­sie­ren nun der­ar­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen – wie in Favo­ri­ten – ras­sis­tisch. Auch Erdo­gan pro­fi­tiert davon, wenn sei­ne Macht in Öster­reich sicht­bar wird. Gleich­zei­tig zer­stö­ren die­se bei­den Par­tei­en – die FPÖ und die AKP – mit ihrer Poli­tik unse­re jahr­zehn­te­lan­ge Inte­gra­ti­ons­ar­beit. Tür­kei­stäm­mi­gen Men­schen wird bewusst, dass ihnen das Zuge­hö­rig­keits­ge­fühl ent­zo­gen wird. So pro­fi­tiert die AKP von der xeno­pho­ben Poli­tik der FPÖ und die FPÖ indi­rekt von der AKP. Am Ende scha­den die­se Poli­ti­ken Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te in Öster­reich. Sie wer­den zum Spiel­ball von rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en. Durch die­se Metho­den wird von ihren wah­ren Pro­ble­men in Öster­reich abge­lenkt, was schwer­wie­gen­de Fol­gen für das gesell­schaft­li­che Leben in Öster­reich zur Fol­ge hat. Aus die­sem Grund brau­chen wir drin­gend Auf­klä­rungs­ar­beit in vie­len ver­schie­de­nen Berei­chen. Da die Kriegs­ge­nera­ti­on in Euro­pa lei­der aus­stirbt und der Rechts­po­pu­lis­mus immer mehr Raum bekommt, ist es wich­tig, dass anti­fa­schis­ti­sche Arbeit in der Bil­dung ver­an­kert wird.

Mei­ne Soli­da­ri­tät gilt all denen, die sich nicht nur in Öster­reich, son­dern welt­weit für eine fai­re, gleich­be­rech­tig­te, öko­lo­gi­sche und dis­kri­mi­nie­rungs­freie Gesell­schaft ein­set­zen. Mei­ne Soli­da­ri­tät gilt all jenen, die tag­täg­lich mit struk­tu­rel­ler Gewalt, Ras­sis­mus und Faschis­mus kon­fron­tiert sind.

Berî­van Aslan (Juris­tin, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tin, Grü­ne Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­te von 2013 bis 2017 und Kan­di­da­tin für den Wie­ner Gemeinderat)

*Tau­sen­de Men­schen- und Frau­en­rechts­akt­vis­tin­nen, Hun­der­te von Jour­na­lis­tIn­nen, Aka­de­mi­ke­rIn­nen und öffent­li­che Bediens­te­ten sind in der wegen „Ter­ror­pro­pa­gan­da“ und „Mit­glied­schaft zur ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung“ festgenommen.

Foto­do­ku­men­ta­tio­nen und Schil­de­run­gen der Vor­fäl­le fin­den sich auf presse-service.at
Inter­view mit Berî­van Aslan auf Puls 24 (26.6.20)