Wie alles begann: Täter-Opfer-Umkehr
Es war im Juli 2009, als sich der Klubobmann der FPÖ, Strache, mit einer Wortmeldung zur Geschäftsordnung ans Rednerpult des Nationalrats stellte und den angeblich größten kriminellen Spitzelskandal der Zweiten Republik herbeizureden versuchte. Im Mittelpunkt des fantasierten Skandals: der Abgeordnete Öllinger, der den Linzer Kriminalbeamten Uwe Sailer beauftragt habe, mit ihm die FPÖ auszuspionieren, und dafür sogar bezahlt habe.
Die folgenden Monate haben mein Leben ziemlich verändert. Am Abend des gleichen Tages noch hatte das Parlament einen Untersuchungsausschuss eingesetzt – so schnell wie noch nie, weder zuvor noch danach. Innerhalb weniger Tage kamen dann noch strafrechtliche Anzeigen und Ermittlungen gegen Sailer und nach Aufhebung meiner parlamentarischen Immunität auch gegen mich dazu. An die Fortsetzung meiner normalen bzw. geplanten Arbeiten war in den folgenden Monaten nicht mehr zu denken.
Dabei waren gerade die der Anlass für Straches Erregung. Ich hatte in den Monaten zuvor beobachtet, dass interne Informationen aus dem Parlament ungefiltert bei den Neonazis von Alpen-Donau und auf einer deutschen Neonazi-Seite gelandet waren – bevor noch die zuständigen Gremien und die damalige Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer, davon erfahren haben. Ich habe Prammer darüber und zu einem besonders merkwürdigen Vorfall informiert: einem seltsamen Briefentwurf aus dem FPÖ-Klub, der dann mit der Fax-Kennung der Familie Gudenus auf den erwähnten Neonazi-Seiten faksimiliert veröffentlicht wurde. Der von mir informierte „Kurier“ befragte dazu zwar auch die FPÖ-Spitzen, verschob aber die Veröffentlichung des redaktionellen Beitrags von Tag zu Tag.
Die FPÖ wusste von meinen Recherchen, und ich ahnte, dass sich die Blauen etwas gegen mich einfallen lassen würden. Das waren Mails, die mir – auf welch verschlungenen Wegen auch immer – gestohlen wurden, aus denen Strache dann seinen Spitzelskandal mixen wollte. Ein Rohrkrepierer für die FPÖ und Strache, denn der Untersuchungsausschuss förderte tatsächliche Kontakte zwischen FPÖ-Funktionären und Neonazis zu Tage, aber keinen Spitzelskandal, keine Beauftragung, keine Honorare. Obwohl FPÖ-Abgeordnete während des U‑Ausschusses dann noch einmal mit weiteren massiven Falschanschuldigungen in Anzeigen nachlegten, konnten schlussendlich weder der U‑Ausschuss noch die strafrechtlichen Ermittlungen irgendeinen Vorwurf der Blauen bestätigen.
In bewährter rechtsextremer Methode der Opfer-Täter-Umkehr hatten die Freiheitlichen das Parlament und einen U‑Ausschuss instrumentalisiert, um sich selbst aus der „Schusslinie“ zu bringen, verstiegen sich sogar zu der grotesken, aber wiederholten Behauptung, die Grünen stünden hinter der Neonazi-Website „Alpen-Donau“. Die „Alpen-Donau“-Neonazis nützten diese Zeit, um noch mehr gegen Linke und Grüne zu hetzen und einzelnen Personen zu drohen.
Martin Graf, die „Olympia“ und der Ku Klux Klan
In diese Zeit fielen auch Recherchen zu Martin Graf, dem Dritten Präsidenten des Nationalrats, seiner Burschenschaft Olympia und seinen parlamentarischen Mitarbeitern, die nicht nur über ihre Bestellungen bei einem Neonazi-Versand eng mit dem rechtsextremen Lager verbunden waren.
Schließlich konnten wir in dieser Zeit auch noch den exakten Aufenthaltsort des schweren Neonazi, Antisemiten und ehemaligen Ku Klux Klan-Gurus David Duke in Zell am See ausfindig machen, der damals schon über mehrere Jahre völlig unbehelligt von dort seine Hetzpropaganda mittels Videobotschaften im Netz verbreiten konnte und trotz eines Schengen-Aufenthaltsverbotes immer wieder nach Österreich zurückkehren durfte.
Agieren und nicht nur Reagieren
Das war die Zeit, in der die Vorstellung von einer Website reifte, mit der wir nicht nur reagieren, sondern auch agieren konnten. Das wollten wir über die folgenden Ziele erreichen:
- Aufbau und Betrieb einer redaktionell gestalteten Website mit Archivfunktion
- Beobachtung und Dokumentation von rechtsextremen und neonazistischen Aktivitäten (auch zum Schutz von Personen, die von Neonazis bedroht werden)
- Vernetzung und Kommunikation mit anderen Antifa-Gruppen
- Shutdown von „Alpen-Donau“
Nach einem fulminanten Start unserer Seite wurden wir sehr rasch mit der betrüblichen Erfahrung konfrontiert, dass die Zugriffe rasch wieder zurückgingen, weil wir zunächst nicht regelmäßig (= täglich) Beiträge liefern wollten und konnten. Wir mussten also nachbessern – eine heikle Gratwanderung, denn viele Beiträge setzen intensive Recherchen voraus. Der Grüne Klub im Parlament und dann auch die Bildungswerkstatt der Grünen (GBW) haben dabei über mehrere Jahre durch Kooperationsprojekte und finanzielle Beiträge diese Arbeit überhaupt erst ermöglicht – bis dann 2017 das Aus für die Grünen im Parlament kam. Wir mussten unsere Strukturen auf völlig neue Grundlagen stellen, einen Verein gründen und um Förderungen und finanzielle Beiträge bei privaten UnterstützerInnen und Institutionen werben. Nach einigen Monaten, in denen SdR offline war, gingen wir im Mai 2018 wieder online – dank der Beiträge von Grünen, Liste Jetzt, SPÖ Wien, AUGE und vielen einzelnen AntifaschistInnen. Danke an alle!
Von den Zielen, die wir uns in der Anfangsphase gesteckt haben, ist uns gelungen:
- Der Shutdown von „Alpen-Donau“: Natürlich haben wir dieses Ziel nicht alleine erreicht, aber wir haben auch noch in guter Erinnerung, wie uns zunächst von der Exekutive erklärt wurde, dass der Shutdown nicht möglich sei, weil der Server der Neonazis in den USA liege und etwas später dann, dass wir mit unseren Recherchen (z.B. die parlamentarische Anfrage zu Alpen-Donau) die Ermittlungsarbeiten behindern würden. Das Gegenteil war der Fall, denn danach ging’s plötzlich Schlag auf Schlag mit der Sperre der Nazi-Seite und der Aufdeckung von deren Mitgliedern.
- Die Vernetzung und Kommunikation mit anderen antifaschistischen Institutionen und Gruppen läuft teilweise sehr gut, wäre aber insbesondere seit Verknappung der Ressourcen ausbaufähig. Hier wären regelmäßige auch grenzüberschreitende Meetings wünschenswert und notwendig.
- Die Dokumentation und Beobachtung von rechtsextremen und neonazistischen Aktivitäten ist unser Kerngeschäft: über 5.000 redaktionell gestaltete Beiträge auf SdR und zahlreiche Recherchen, die wir anderen Medien, Parteien oder befreundeten Einrichtungen zur Verfügung gestellt haben. Unsere Aktivitäten zum Schutz von bedrohten Personen und individuelle Beratungen liefen klarerweise überwiegend hinter den Kulissen ab.
- Die ursprünglich gesetzten Ziele wurden sukzessive erweitert, insbesondere um die Bereiche Prozessbeobachtung und Beratungs- und Bildungsarbeit.
10 Jahre SdR – „Highlights“ Wir können hier nur in kurzen Stichworten einige wenige „Highlights“ aus den zehn Jahren dokumentieren. Wir beanspruchen dabei ausdrücklich nicht die (alleinige) Urheberschaft, sondern freuen uns, dass wir gemeinsam mit anderen daran mitwirken konnten.
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Gegenwart und Zukunft
Der Aufbau der Website ist uns zweifellos gelungen, auch der jahrelange Betrieb mit konstant hohen Zugriffszahlen, die vor allem aufs umfassende Archiv zurückzuführen sind. Aber wir wissen aufgrund der angespannten finanziellen Situation nicht, ob es uns auch nächstes Jahr noch geben wird. Das ist extrem belastend und sehr unbefriedigend, denn wenn es SdR nicht geben würde, müsste sie neu erfunden werden: eine Plattform, die tagesaktuell Nachrichten und redaktionelle Beiträge über rechtsextreme Vorfälle und Ereignisse dokumentiert, recherchiert und archiviert. Ja, das Archiv: Die Suchfunktion bei SdR müsste dringend verbessert werden, die Seite selbst ist etwas behäbig und unmodern geworden, leidet an zahlreichen kleineren Gebrechen, die der Benutzungsfreundlichkeit entgegenstehen. Allein: Uns fehlt das Geld für einen umfassenden Relaunch, mit dem auch neue Tools implementiert werden könnten.
So lästig es auch sein mag: Wir ersuchen dringend weiter um Unterstützung, Spenden, Daueraufträge! Vielleicht geht’s leichter, wenn Ihr die Arbeit von SdR anhand einzelner oder mehrerer Erfolge bewertet. Denn eines ist klar: Der Rechtsextremismus verschwindet nicht, gerade nicht in Österreich.
Spenden an: Stoppt die Rechten |
Zum Abschluss: Ich danke allen, die uns bisher unterstützt haben – finanziell, personell, durch Beiträge, durch Support in den sozialen Netzwerken. Bei dieser Gelegenheit will ich auch an Gabi Moser und Ekkehard Muther erinnern, die beide im Vorstand unseres Vereins aktiv waren und uns tatsächlich bis zu ihrem letzten Atemzug unterstützt haben.
Vorfälle und Hinweise Wer Vorfälle melden oder uns Hinweise geben will, kann uns jederzeit kontaktieren: Wir garantieren eine schnelle Beantwortung und – so wie in den letzten zehn Jahren auch – selbstverständlich den Schutz unserer InformantInnen, der für uns immer Priorität hat. |