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Hans-Henning Scharsach: Widerstand gegen das Netzwerk des Hasses!

Hans-Hen­­ning Schar­sach hat am 20. Juni 2018 den Bru­­no-Krei­s­ky-Son­­der­­preis für sein Buch „Stil­le Macht­er­grei­fung. Hofer, Stra­che und die Bur­schen­schaf­ten“ erhal­ten. Bei der Preis­ver­lei­hung durch das SPÖ-Ren­­ner-Ins­ti­­tut im ORF-Radio­­kul­­tur­haus hielt Schar­sach eine beein­dru­cken­de Rede, deren Manu­skript der Red­ner uns dan­kens­wer­ter­wei­se zur Ver­fü­gung stell­te. Hans- Hen­ning Schar­sach: Rede zur Ver­lei­hung des Bru­­no-Krei­s­ky-Prei­­ses für das poli­ti­sche Buch 2017 Mei­ne sehr […]

26. Jun 2018

Hans- Hen­ning Schar­sach: Rede zur Ver­lei­hung des Bru­no-Krei­sky-Prei­ses für das poli­ti­sche Buch 2017

Mei­ne sehr geehr­ten Damen und Her­ren, lie­be Freun­din­nen und Freun­de. Ich will heu­te nicht auf den Inhalt mei­nes Buches ein­ge­hen, ich will erklä­ren, wofür es geschrie­ben wur­de: Es ist ein Buch für den zivil­ge­sell­schaft­li­chen Wider­stand gegen den Abbau demo­kra­ti­scher Freiheitsrechte.

Das beginnt bei der Pres­se­frei­heit. Joseph Goeb­bels hat Begrif­fe wie „Sys­tem­me­di­en“ und „Lügen­pres­se“ einst als Waf­fe gegen Demo­kra­tie und Mei­nungs­viel­falt ein­ge­setzt. Mit genau die­sen Nazi-Aus­drü­cken atta­ckiert die FPÖ heu­te seriö­se Medi­en. „Faschis­mus­keu­le“, „Rot­funk“, „lin­ke Gesin­nungs­s­ta­si“, „Men­schen­jagd“, „Lynch­jus­tiz“: Wir alle ken­nen die Aus­drü­cke – und wer sich zeit­ge­schicht­lich ein wenig aus­kennt, erkennt auch das Sys­tem: Das ist die Täter-Opfer-Schuld­um­kehr der Nazis, mit der die FPÖ kor­rekt arbei­ten­de Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten zu Tätern macht.

All das ist kei­nes­wegs harm­los. Das ist der Ver­such, die wich­tigs­te Kon­troll­in­stanz unse­rer Demo­kra­tie zu beschädigen. 

Es ist die Zivil­ge­sell­schaft, die gemein­sam mit der Oppo­si­ti­on dafür kämp­fen muss, dass die Ein­schüch­te­rung von Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten fol­gen­los bleibt und dass der ORF vor dem Zugriff der Regie­rungs­par­tei­en geschützt wird – not­falls durch ein neu­es ORF-Volks­be­geh­ren, das neben­bei bemerkt vie­le mei­ner Freun­din­nen und Freun­de schon jetzt für unver­meid­lich halten.

Wider­stand gilt es auch gegen Ein­schrän­kun­gen des Demons­tra­ti­ons­rechts zu leis­ten: Wir haben einen Innen­mi­nis­ter, der „Platz­ver­bot statt Denk­ver­bot“ gefor­dert hat. Platz­ver­bot heißt Ein­schrän­kung des Demons­tra­ti­ons­rech­tes. Denk­ver­bot ist jenes Neo­na­zi-Voka­bel, mit dem Rechts­extre­me seit Jahr­zehn­ten gegen das Ver­bot natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Wie­der­be­tä­ti­gung agi­tie­ren. Nichts beschreibt den Zustand unse­rer Demo­kra­tie bes­ser als ein Innen­mi­nis­ter, der das Demons­tra­ti­ons­recht atta­ckiert und sich dabei des typi­schen Neo­na­zi-Voka­bu­lars bedient.

Unse­res Schut­zes bedarf auch der Rechts­staat. Wann immer FPÖ-Poli­ti­ker wegen schwe­ren Betrugs, Untreue, Vor­teils­nah­me, Bestech­lich­keit, fal­scher Zeu­gen­aus­sa­ge ver­ur­teilt wer­den, reagiert die Par­tei­füh­rung mit Vor­wür­fen wie „Polit­pro­zess“, „Gesin­nungs­jus­tiz“, „Polit­will­kür“. Unser Innen­mi­nis­ter emp­fin­det die Ver­ur­tei­lung eines FPÖ-Poli­ti­kers nicht als Schand­fleck für sei­ne Par­tei, son­dern als „Schand­fleck für Öster­reichs Jus­tiz“. Und wie­der die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Täter-Opfer-Umkehr: Wie­der wer­den Täter zu Opfern gemacht.

Was aber das Wich­tigs­te ist: Lie­be Freun­din­nen und Freun­de, wir müs­sen ver­su­chen, den Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­chern die Angst zu neh­men. Der Innen­mi­nis­ter lässt kei­ne Gele­gen­heit aus, Angst vor Asyl­su­chen­den zu ver­brei­ten. Die Kri­mi­nal­sta­tis­tik aber belegt etwas ganz ande­res: Noch nie war Öster­reich so sicher wie heu­te. In den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren ist die Zahl der Anzei­gen gesun­ken, die Auf­klä­rungs­quo­te gestie­gen. Die Flücht­lings­kri­se des Jah­res 2015 hat zu kei­nem Anstieg der Kri­mi­na­li­tät geführt.

Die Täter­grup­pe der Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät sieht übri­gens ganz anders aus, als Kickl glau­ben machen will. Da füh­ren näm­lich mit deut­li­chem Abstand Rumä­nen und Deut­sche – also EU-Bür­ger – vor Serben.

Gestie­gen ist dafür eine ande­re Art der Straf­ta­ten, näm­lich die recht­ex­trem und ras­sis­tisch moti­vier­te Gewaltkriminalität.

Zuletzt müs­sen wir end­lich damit begin­nen, Wider­stand gegen das Netz­werk des Has­ses zu leis­ten, das die Frei­heit­li­chen im Inter­net eta­bliert haben. Von der kleins­ten Orts­grup­pe bis zur Bun­des­par­tei, vom ein­fa­chen Mit­glied bis zur Par­tei­spit­ze wer­den Hass-Pos­tings ver­brei­tet und die unglaub­lichs­ten Lügen ins Netz gestellt.

Stra­che ver­öf­fent­licht auf sei­nem Inter­net-Auf­tritt frei erfun­de­ne Über­fäl­le Bil­la und Hofer. Der ehe­ma­li­ge Kärnt­ner FPÖ-Chef schil­dert den Mord in einem Flücht­lings­la­ger, den es nie gege­ben hat. Auf FPÖ-Sei­ten wird behaup­tet, ein Frau sei gestor­ben, weil die Ret­tung wegen des Flücht­lings-Cha­os zu spät gekom­men sei, ein Kind habe wegen der Behand­lung von Flücht­lin­gen kei­ne The­ra­pie bekom­men, in Kin­der­gär­ten dürf­ten christ­li­che Fes­te wie Weih­nach­ten und Ostern nicht mehr gefei­ert wer­den, usw, usw. Alles nicht wahr, alles frei erfun­den. Aber was ein­mal im Netz ist, das lässt sich nicht mehr ein­fan­gen, das wird tau­send­fach geteilt und lebt auch dann noch wei­ter, wenn die Lügen längst wie­der­legt sind.

Sogar die Fotos, die den von der FPÖ behaup­te­ten Hor­ror bewei­sen sol­len, sind oft gefälscht. Einen Bericht über gewalt­tä­ti­ge Pro­tes­te gegen den Aka­de­mi­ker­ball belegt Stra­che mit Bil­dern von bren­nen­den Bar­ri­ka­den. Fotos, die Angst machen. Aber sie stam­men nicht vom Aka­de­mi­ker­ball. Sie sind irgend­wann bei Stra­ßen­schlach­ten in der Tür­kei auf­ge­nom­men worden.

Screen­shot Stra­ches FB-Sei­te von heimatohnehass.com
Screen­shot des Ori­gi­nals von heimatohnehass.com

Nach einem Ter­ror­an­schlag mit zahl­rei­chen Toten pos­tet Stra­che das Video einer „isla­mis­ti­schen Freu­den­kund­ge­bung“. Da sieht man dun­kel­haa­ri­ge Män­ner, die sich jubelnd um den Hals fal­len. Aber es sind kei­ne Isla­mis­ten. Und sie jubeln nicht über den Ter­ror. Das Foto ist vier Jah­re alt und zeigt die paki­sta­ni­sche Cri­cket-Natio­nal­mann­schaft, die jubelt, weil sie den Welt­cup gewon­nen hat.

Was sol­che Fäl­schun­gen aus­lö­sen, kann man danach auf Stra­ches Face­book-Auf­tritt lesen. Da gibt es unzäh­li­ge Pos­tings wie „an den Gal­gen“, „an die Wand“, „erträn­ken“, „eine Kugel“, „anzün­den“. Oder: „KZ muss sei­ne Türen wie­der öff­nen“, „Maut­hau­sen auf­sper­ren und ich bin der ers­te Hei­zer“, „Adolf Hit­ler, wir brau­chen dich“.

Lie­be Freun­din­nen und Freun­de, es liegt an uns, FPÖ-nahe Medi­en und frei­heit­li­che Face­book-Auf­trit­te zu beob­ach­ten. Wir müs­sen der­ar­ti­ge Fäl­schun­gen und Hass­ti­ra­den öffent­lich machen. Wir müs­sen dafür sor­gen, dass sie doku­men­tiert wer­den, dass seriö­se Medi­en sie zum The­ma machen.

Nicht zuletzt sind es die sozia­len Rech­te, die wir ver­tei­di­gen müs­sen. Immer wei­ter öff­net sich die Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­sche­re zwi­schen Arm und Reich. 

Oxfam, eine welt­weit ope­rie­ren­de Ent­wick­lungs­or­ga­ni­sa­ti­on, die sich der Bekämp­fung der Armut ver­schrie­ben hat, mach­te 2014 die nüch­ter­nen Zah­len zu einem ein­präg­sa­men Bild: In einem ein­fa­chen Rei­se­bus hät­ten jene 85 Män­ner Platz, die so viel besit­zen, wie die ärme­re Hälf­te der Welt, wie 3,6 Mil­li­ar­den Menschen.

Aber die­ses Bild muss­te drei Jah­re spä­ter bereits neu gezeich­net wer­den. 2017 genüg­te bereits ein Klein­bus für nur acht Män­ner, die so viel besit­zen wie die ärme­re Hälf­te der Welt. 

Star-Öko­no­men wie Tho­mas Piket­ty und Nobel­preis­trä­ger wie Joseph E. Stig­litz oder Paul Krug­man bie­ten Rezep­te gegen die­se Ent­wick­lung an – nicht um die Armen zu schüt­zen, son­dern um die Markt­wirt­schaft zu ret­ten, weil die­ses Sys­tem, das die Ärms­ten aus­hun­gert wäh­rend weni­ge Super­rei­che zu Her­ren der Welt wer­den, in einen welt­wei­ten Wirt­schafts­kol­laps zu mün­den droht.

Unter dem Ein­druck sol­cher Sze­na­ri­en wird in den meis­ten west­li­chen Län­dern ver­sucht, die­ser Ent­wick­lung gegen­zu­steu­ern. Nicht in Öster­reich. Hier hat ein jun­ger Bun­des­kanz­ler der ÖVP die christ­li­che Sozi­al­leh­re außer Kraft gesetzt, in der Soli­da­ri­tät und die Sozi­al­pflich­tig­keit des Eigen­tums fest­ge­schrie­ben sind. Gemein­sam mit sei­nem Koali­ti­ons­part­ner sorgt er dafür, dass die Ärms­ten noch ärmer wer­den, damit die Rei­chen durch eine anschlie­ßen­de Steu­er­re­form noch rei­cher wer­den kön­nen – als Beloh­nung für groß­zü­gi­ge Par­tei­spen­den, wie kri­ti­sche Jour­na­lis­ten mei­nen. Auch dage­gen müs­sen wir Wider­stand leis­ten: Im Par­la­ment, auf unse­ren Inter­net-Sei­ten, durch Leser­brie­fe in den Medi­en, not­falls auf der Straße.

Lie­be Freun­din­nen und Freun­de, auf der Web­site des Frei­heit­li­chen Aka­de­mi­ker­ver­ban­des Salz­burg fand sich fol­gen­der Ein­trag (Zitat): „Demo­kra­tie schafft immer Unord­nung. Sie spal­tet das Volk. Sie ist eine Fehl­ge­burt der Geschich­te, die Hure des Westens.“

Demo­kra­tie als „Fehl­ge­burt der Geschich­te“ und „Hure des Wes­tens“: Prä­zi­ser kann man es nicht auf den Punkt brin­gen, was Öster­reich droht, wenn Oppo­si­ti­on und Zivil­ge­sell­schaft sich den Anschlä­gen auf unse­re Frei­heits­rech­te nicht ent­schlos­sen in den Weg stellen.

Wenn mei­ne Bücher dazu Anstö­ße geben, hat sich die Arbeit gelohnt.