Scherzfotos oder Wiederbetätigung?

Ein Rechts­irr­tum wur­de letz­te Woche Mitt­woch (19.7.2017) einem 21-jäh­ri­gen Kas­sier aus Telfs am LG Inns­bruck als Ver­ge­hen nach § 3g des Ver­bots­ge­set­zes zur Last gelegt. Vor dem Geschwo­re­nen­ge­richt unter der Lei­tung von Rich­te­rin Mag. Nad­ja Obwie­ser muss­te sich der Tel­fer dafür recht­fer­ti­gen, in sei­ner Woh­nung Devo­tio­na­li­en der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ära offen aus­ge­stellt und Whats­app-Nach­rich­ten mit ein­schlä­gi­gen Bil­dern zu die­ser Zeit ver­schickt zu haben. Es galt zu klä­ren, wo der pri­va­te Rah­men, inner­halb des­sen der Besitz von NS-Mate­ria­li­en zuläs­sig ist, endet und der Tat­be­stand der Wie­der­be­tä­ti­gung – auch mit beding­tem Vor­satz – als straf­recht­lich rele­vant gege­ben war. Wir dan­ken dem Bericht­erstat­ter aus Inns­bruck für Bericht und Überlassung.

Mar­co K. wur­de im Novem­ber 2016, nach­dem er beschul­digt wor­den war, ein Funk­ge­rät ent­wen­det zu haben, im Zuge einer ange­ord­ne­ten Haus­durch­su­chung durch die Poli­zei in Gewahr­sam genom­men und gab an, die in sei­ner Tel­fer Woh­nung sicher­ge­stell­ten Gegen­stän­de (Haken­kreuz­fah­ne, Mes­ser und diver­se Anste­cker mit Haken­kreuz­sym­bo­len, Sold­bü­cher aus dem 2. Welt­krieg, ein Sie­gel­ring mit Haken­kreuz, diver­se Fotos mit ein­schlä­gi­gen Abbil­dun­gen) von sei­nem Groß­va­ter geerbt zu haben. Der Vor­wurf des Dieb­stahls wur­de fal­len gelassen.

In der ein­lei­ten­den Beleh­rung der Geschwo­re­nen ver­wies die Staats­an­wäl­tin dar­auf, dass sich der Ange­klag­te Mar­co K. eines Gefähr­dungs­de­likts schul­dig gemacht habe, weil der objek­ti­ve Tat­be­stand im Sin­ne der Ankla­ge bereits durch die offe­ne Zur­schau­stel­lung von Nazi­zeit-Relik­ten (eine Haken­kreuz­fah­ne neben dem Fern­seh­ge­rät im Wohn­zim­mer auf­ge­hängt, diver­se Anste­cker und Mes­ser mit Haken­kreuz­mo­ti­ven) durch die Besu­che durch Freun­de gege­ben sei.

Der Ver­tei­di­ger, Dr. Lint­ner, ver­wies auf den Umstand, dass es sich bei den rele­van­ten Gegen­stän­den ledig­lich um Erb­stü­cke aus der Ver­las­sen­schaft des Groß­va­ters von Herrn K., Roland K., hand­le, die durch die Ein­brin­gung ins Wohn­zim­mer Erin­ne­rungs­wert, aber kei­nen Bezug zu rech­tra­di­ka­lem Gedan­ken­gut habe.

Die Ein­ver­nah­me von Zeu­gen – alle­samt enge Freun­de des Beklag­ten – soll­te die Umstän­de erhel­len. Phil­ipp B. will im Nacht­käst­chen ein Sold­buch gese­hen haben und eine Box mit Anste­ckern und diver­sen Fotos. Georg W. soll ein Bild gese­hen haben, das ihm auf Whats­app zuge­schickt wor­den sei und einen uni­for­mier­ten Mann mit roter Bin­de und Haken­kreuz zei­ge. Das Bild habe den Zusatz „dres­sed to kill“ gehabt. Maxi­mi­li­an B. bezeich­ne­te K. als „einen vom glei­chen Schlag“, kann sich aber an nichts Genau­es erin­nern, obwohl er im Poli­zei­be­richt noch bestä­tig­te, die oben erwähn­ten Gegen­stän­de in der Woh­nung des Ange­klag­ten gese­hen zu haben. Er erin­ner­te sich an eine Medail­le, die ihm K. geschenkt habe, auf der sich eine Gra­vur „1939“ und ein Haken­kreuz befun­den habe, auch ein aus Ita­li­en mit­ge­brach­tes „Führ­erbier“ sei ihm in Erinnerung.

Dem Gericht erzählt Mar­co K., er sei ein Samm­ler, die beschlag­nahm­ten Gegen­stän­de übten einen gewis­sen Reiz auf ihn aus, sei­ne Ein­stel­lung sei jedoch nicht natio­nal­so­zia­lis­tisch geprägt („Sehe ich so aus?“). Die Erin­ne­rung an sei­nen gelieb­ten Groß­va­ter, bei dem er bis zu des­sen Tod vor über 10 Jah­ren gelebt habe, sei der Grund gewe­sen, sich nicht von den Relik­ten zu tren­nen. In Erman­ge­lung von Fotos des Groß­va­ters sei er eben auf das Auf­stel­len der Relik­te angewiesen.

Dass sich sei­ne Freun­de, mit denen er angeb­lich alles bere­det habe, was man „unter Freun­den so bere­det“, nicht an den Groß­va­ter erin­ner­ten bzw. anga­ben, dass K. die Din­ge gekauft habe, kön­ne er sich nicht erklä­ren, es sei ein­fach zu lan­ge her. Hit­ler sei ein „fas­zi­nie­ren­der Mensch“ gewe­sen, der es geschafft habe, die Mas­sen zu begeis­tern und Arbeit zu sichern (Auto­bahn, Indus­trie). Über­haupt sei die alte Zeit viel bes­ser gewe­sen, weil die gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren enger gewe­sen seien.

Der Rich­te­rin gegen­über bekräf­tigt K. sei­ne Abnei­gung gegen­über „Aus­län­dern“, sol­che „Nicht­bür­ger“ kön­ne er abschie­ßen wie „Facken“ [umgangs­sprach­lich für Schwei­ne] (auch im Poli­zei­be­richt akten­kun­di­ge Aus­sa­ge). Aber aus­län­der­feind­lich sei er des­halb nicht. Die ver­schick­ten Fotos sei­en „Scherz­fo­tos“ gewe­sen, unter Freun­den durch­aus üblich. Die Begeis­te­rung für Hugo Boss sei der Grund für das Foto mit dem Sol­da­ten in Uni­form. Hin­zu­ge­kauf­te Devo­tio­na­li­en sei­en aber eine „Dumm­heit“ gewesen.

Der Ver­tei­di­ger erkann­te kei­ner­lei schuld­haf­tes Ver­hal­ten sei­tens sei­nes Man­dan­ten. Es sei das Recht eines jun­gen Men­schen, beson­de­re Ereig­nis­se „spoo­ky, schräg, skur­ril“ zu emp­fin­den, die Nazi­zeit sei dafür ein gutes Bei­spiel, ver­gleich­bar mit der Fas­zi­na­ti­on von Vide­os über Unfäl­le im Inter­net. Diver­se Berich­te und Doku­men­ta­tio­nen in den Medi­en befeu­er­ten die­ses Inter­es­se beim jun­gen Publi­kum noch dazu, die Schu­le und das dort wei­ter­ge­ge­be­ne Wis­sen reg­ten zum Inter­es­se an der Nazi­zeit an. Es sei daher „logisch“, dass sich Men­schen wie Mar­co K. in der von die­sem skiz­zier­ten Wei­se verhielten.

Die Staats­an­wäl­tin sah sowohl äuße­re als auch inne­re Tat­sei­te als gege­ben an. K. habe bil­li­gend in Kauf genom­men, dass Außen­ste­hen­de die Gegen­stän­de bei ihren Besu­chen in Augen­schein neh­men konn­ten bzw. durch K. bewusst auf die­se auf­merk­sam gemacht wor­den sei­en (indem er ihnen das Innen­le­ben sei­nes Nacht­käst­chens mit Sold­buch und Box gezeigt habe). Der Tat­be­stand der Wie­der­be­tä­ti­gung sei klar erbracht. Geschen­ke und zuge­schick­te Fotos sei­en dazu ein­deu­ti­ge Bewei­se. Eine Bestra­fung sei unumgänglich.

Die Geschwo­re­nen erkann­ten den Ange­klag­ten in allen Punk­ten für schul­dig. Die Rich­te­rin führ­te die Begrün­dung im Sin­ne der Staats­an­walt­schaft aus mit der Beto­nung, dass Unwis­sen nicht vor Stra­fe schüt­ze und der Ver­ur­teil­te im Lau­fe der Ermitt­lun­gen sei­ne Leh­ren zie­hen konn­te. Die Aus­sa­gen sei­ner Freun­de hät­ten ihm zum Nach­teil gereicht, da sei­ne Behaup­tung, die in sei­ner Woh­nung sicher­ge­stell­ten Gegen­stän­de sei­en Erb­stü­cke sei­nes Groß­va­ters, nicht auf­recht zu erhal­ten sei, wenn sich kei­ner der Zeu­gen an einen sol­chen Bezug erin­nern kön­ne. Die beschlag­nahm­ten Gegen­stän­de blie­ben konfisziert.

10 Mona­te Stra­fe ergin­gen, davon 6 Mona­te bedingt auf 3 Jah­re. 4 Mona­te ergin­gen unbe­dingt in Form einer Geld­stra­fe von 240 Tag­sät­zen zu 12 Euro. Staats­an­wäl­tin und Ver­tei­di­ger erba­ten sich Bedenk­zeit, das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.