Familie und Volk
Anhand einer sorgfältig Lektüre des ausgewählten Textmaterials und der anschließenden Interpretation zahlreicher Textpassagen geht der Autor den Fundamenten des freiheitlichen Weltbilds auf den Grund und unterzieht die freiheitliche Deutung von Individuum, Familie, Volk, Staat, Europa, Gesellschaft und Politik einer nachvollziehbaren Kritik. Eine zentrale Rolle im Denken der FPÖ spielen demnach die vermeintlich naturgegeben „Daseinsformen“ des Menschen: Familie, Volk und Nation. So arbeitet sich der Autor in seiner Analyse von der kleinsten Einheit, dem Individuum vor über die Familie („Kernzelle des Volks“) bis hin zum Kollektiv („Volk“) und klärt dadurch über die in dem Denken betriebene Naturalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen sowie die als naturhaft verstandene Einbindung in darauf aufbauende, größere Kollektive auf. Dafür widmet er sich in einem ersten Kapitel insbesondere dem Freiheitsbegriff der FPÖ und zeigt dabei, dass in ihrem Denken die Verantwortung und Freiheit des Individuums letztlich als Verpflichtung für das „Volk“ und seiner Interessen ausgelegt wird. Hervor sticht in Auingers Werk die ausführliche Analyse der Vorstellungen von „der Frau: in der Familie“ im Denken der FPÖ, den damit verbundenen Rollenzuschreibungen sowie ihren vermeintlich naturgegebenen Aufgaben in der Familie sowie auch der Gesellschaft. Bereits im zweiten Kapitel widmet sich der Autor ausführlich diesem in der Rechtsextremismusforschung bis heute vernachlässigtem Themenfeld und behandelt dadurch auch den zutiefst sexistischen, antifeministischen und homofeindlichen Charakter der freiheitlichen Publikationen.
Identität vs. Andere
Nicht zuletzt dekonstruiert der Autor, der Anfang der 2000er auch ein Buch über Jörg Haider („Haider. Nachrede auf einen bürgerlichen Politiker“) verfasst hat, Vorstellungen von Heimat und Identität, die stets als Abgrenzung zu „Anderen“ (Migrant_innen, Geflüchteten aber auch sozial Schwächeren) fungieren. Dabei macht Auinger deutlich, wie inhaltsleer und dadurch prekär die Wiederbelebung der Vorstellung nationaler, völkischer bzw. kollektiver Identität im Grunde genommen ist. Neben den gängigen rassistischen Argumentationen der FPÖ zeigt der Autor auch, wie die FPÖ systematisch soziale Problem- und Schieflagen zu ethnisiert und ausschließlich die „Zugewanderten“ für soziale Missstände verantwortlich macht. Auinger greift dabei viele bereits bekannte Argumente und Analysen der FPÖ auf, führt diese aber durch seine intensive Studie der Originaltexte deutlich detailreicher und tiefgründiger aus als bisherige Beschäftigungen mit dieser Partei. Indem Auinger nicht nur die Logiken des freiheitlichen Gedankengebäudes offenlegt, sondern diese auch zu Ende denkt, wird deutlich, dass zahlreiche Facetten des freiheitlichen Gedankenguts tatsächlich noch menschenverachtender und rassistischer sind als eins dies erwartet hätte.
Leerstellen
Einzig der Untertitel „Blaupause der Neuen Rechten in Europa“ ist irreführend, da im Grunde genommen gar nicht darauf eingegangen wird, in welcher Art und Weise sich andere Gruppierungen (der neuen Rechten) der Argumentationsweisen der FPÖ bedienen, oder warum diese als „Blaupause“ fungieren solle. Eine Leerstelle des Buchs ergibt sich außerdem durch die unzufriedenstellende Thematisierung des freiheitlichen Antisemitismus, dem in einer verklausulierten Form nach wie vor große Bedeutung innerhalb der Partei zukommt. Umso bitterer da das Buch in einem Verlag veröffentlicht wurde, der bereits in der Vergangenheit dadurch aufgefallen ist, dass er Autoren wie Israel Shamir eine Publikationsmöglichkeit seines antisemitisches Machwerk „Blumen aus Galiläa“ bot. Dieses wurde vom DÖW sogar als „eine der übelsten Hetzschriften nach 1945“ bezeichnet. Auch die Verwendung durchwegs antiquierter Sprache zählt zu den Mankos des Buchs, da Auinger immer noch von „In- und Ausländern“ oder auch von „Fremdenfeindlichkeit“ spricht obgleich derartige Begrifflichkeiten seit geraumer Zeit in der Kritik stehen, da Rassismus als solcher benannt werden sollte und zudem auch jene trifft, die als „Fremde“ ausgemacht werden, unabhängig davon, ob die Projektion den Tatsachen entspricht oder nicht. Der fragwürdige Zugang zu Sprache spiegelt sich letztlich auch in der Nicht-Verwendung geschlechtergerechter Sprache wieder. Gleichzeitig lassen jedoch kreative Wortschöpfungen wie „freiheitliche Naturkundler“ oder „Wurzelösterreicher“ sowie der stellenweise sarkastische Ton des Autors die Analyse, die auch zahlreiche Originalzitate enthält, nicht zu trocken werden. Zusammenfassend hat Auinger nicht nur eine gründliche Analyse vorgelegt, sondern auch ein Nachschlagwerk bzw. ein Standardwerk der Analyse der von der FPÖ vertretenen Weltanschauung geschaffen.
Auinger, Herbert (2017): Die FPÖ – Blaupause der Neuen Rechten in Europa. Wien: Promedia Verlag.