Der misslungene Paragraph gegen „staatsfeindliche Bewegungen“

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Im Juni soll ein neu­er straf­recht­li­cher Rund­um­schlag gegen Staats­kri­tik beschlos­sen wer­den. Die bestehen­den Geset­ze gegen Rechts­extre­mis­mus hin­ge­gen wer­den nicht nach­ge­schärft. Ein Kom­men­tar von Ange­li­ka Ade­nsa­mer* zum Gesetz gegen „staats­feind­li­che Bewe­gun­gen“.

In der aktu­el­len Novel­le des Straf­ge­setz­bu­ches, die im Herbst in Kraft tre­ten soll, hat Jus­tiz­mi­nis­ter Brand­stet­ter einen neu­en Tat­be­stand vor­ge­se­hen, der die Grün­dung und Teil­nah­me an „staats­feind­li­chen Bewe­gun­gen“ straf­bar machen soll. Die Plä­ne gehen dabei sogar so weit, selbst die „Erfin­dung staats­feind­li­cher Kon­struk­te“ sowie ent­spre­chen­de Theo­rien zu kri­mi­na­li­sie­ren, sie ande­ren zugäng­lich zu machen, die­se Theo­rien nach außen zu ver­tre­ten und sich dar­auf zu berufen.

Der neue Straf­tat­be­stand rich­tet sich in ers­ter Linie gegen Grup­pie­run­gen wie die soge­nann­ten „Reichs­bür­ger“, „Free­man“ oder „One People’s Public Trust“ (OPPT). Die­se haben ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Cha­rak­ter, teil­wei­se auch mit star­ken rechts­extre­men Ein­schlä­gen. Dass die­ses Gesetz jedoch über das Ziel hin­aus schießt weil es auch zivil­ge­sell­schaft­li­che Grup­pen tref­fen kann, wur­de an ande­ren Stel­len schon viel­fach kri­ti­siert. (1)

Angst bei den Rechten
Doch auch die Rech­ten machen sich Sor­gen – auf der Inter­net­sei­te der rechts­extre­men Zeit­schrift info-direkt heißt es: „Die Stoß­rich­tung der geplan­ten Geset­zes­no­vel­le ist gera­de­zu auf die Iden­ti­tä­re Bewe­gung und ins­be­son­de­re die Kri­mi­na­li­sie­rung ihrer Unter­stüt­zer sowie För­der­ver­ei­ne gemünzt.“ (2) Da die straf­recht­li­che Ver­fol­gung von rechts­extre­men Grup­pen wie den „Iden­ti­tä­ren“ bis jetzt kei­ne Prio­ri­tät gewe­sen zu sein scheint, ist die­se Ein­schät­zung jedoch zu bezwei­feln. (Vgl. u.a. als Bsp: Link derstandard.at)

Es gibt auch eine par­la­men­ta­ri­sche Stel­lung­nah­me zu der geplan­ten Straf­rechts­re­form von Wil­fried Grie­ßer, der bei den Gemein­de­rats­wah­len 2015 für die FPÖ Möd­ling kan­di­dier­te und im Zuge der Debat­te um die Ände­run­gen im Sexu­al­straf­recht mit gewalt­ver­herr­li­chen­den und frau­en­feind­li­chen Äuße­run­gen auf­ge­fal­len ist – Stich­wort „wild­ge­wor­de­ner Penis“. Er schreibt, mit dem neu­en Straf­tat­be­stand ent­ste­he ein „Ver­bots­ge­setz light“. Ins­be­son­de­re der Deutsch­na­tio­na­lis­mus, so zeigt er sich besorgt, kön­ne damit straf­bar wer­den. Dies zeugt von einem – viel­leicht absicht­lich – fal­schen Ver­ständ­nis des Ver­bots­ge­set­zes, denn die­ses hat im Gegen­satz zum extrem vage for­mu­lier­ten neu­en Tat­be­stand der „staats­feind­li­chen Bewe­gun­gen“ einen kon­kre­ten ideo­lo­gi­schen Bezug und ging aus einer his­to­ri­schen Not­wen­dig­keit her­vor. Es fal­len eben nicht alle Rechts­extre­me dar­un­ter, und eben­so­we­nig wer­den alle Rechts­extre­me unter das neue Gesetz fallen.

Ent­ge­gen den Beteue­run­gen des Jus­tiz­mi­nis­ters ist der neue Para­graph eben nicht genau an die „Reichs­bür­ger“ ange­passt, son­dern so weit for­mu­liert, dass jeg­li­che Staats­kri­tik aus ver­schie­dens­ten poli­ti­schen Lagern dar­un­ter fal­len könn­te: Anarchist_innen eben­so wie Deutsch­na­tio­na­le und Monarchist_innen. Die­se Vor­gangs­wei­se steht ganz in der Tra­di­ti­on einer Vor­stel­lung von Extre­mis­mus als gegen­über­lie­gen­den Polen, an deren rech­ter und lin­ker Sei­te gefähr­li­che Extremist_innen ste­hen, wäh­rend sich in der Mit­te der kapi­ta­lis­ti­sche par­la­men­ta­risch-reprä­sen­ta­ti­ve Staat befin­det, des­sen Befür­wor­tung die ein­zig bür­ger­lich akzep­ta­ble Gesin­nung zu sein scheint. Die­ses Modell ist als theo­re­ti­sche Ana­ly­se aller­dings man­gel­haft und führt zu eben sol­chen pro­ble­ma­ti­schen Para­gra­phen, in denen eman­zi­pa­to­ri­sche Staats­kri­tik mit men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gien gleich­ge­setzt wer­den kann.

Offe­ne Lücken
Die Geset­ze, die jetzt schon gezielt gegen gefähr­li­che rech­te Ideo­lo­gien gerich­tet sind, das Ver­bots­ge­setz und der Ver­het­zungs­pa­ra­graph haben immer noch gro­ße Straf­bar­keits­lü­cken. Nach dem Ver­bots­ge­setz ist zwar heu­te die Leug­nung des Holo­caust straf­bar, aber auch nur in sei­ner Gesamt­heit. Eine Lücke, die von vie­len Rechts­extre­men und Neo­na­zis genutzt wird, ist die Leug­nung nur eines Teil­aspekt der NS-Mas­sen­ver­nich­tung (wie z. B. Gas­kam­mern in einem bestimm­ten KZ) oder auch das Leug­nen der deut­schen Kriegs­schuld. (Vgl. Link derstandard.at)

Auf der ande­ren Sei­te stel­len Asylwerber_innen noch immer kei­ne „Grup­pe“ dar, die durch den Ver­het­zungs­straf­tats­be­stand geschützt wird, obwohl genau die­se Men­schen im Moment beson­ders viel het­ze­ri­scher Gewalt aus­ge­setzt sind. Das bedeu­tet auch, dass das Auf­ru­fen zu Gewalt gegen die­se nicht als Ver­het­zung bestraft wer­den kann. Die­se Mög­lich­keit besteht nur, wenn es sich gegen „Ausländer_innen“ all­ge­mein oder bestim­me eth­ni­sche Grup­pen richtet.

Dass jetzt aus­ge­rech­net die „Reichs­bür­ger“ schon für das rei­ne Zuge­hö­rig­keits­be­kennt­nis bestraft wer­den kön­nen sol­len, steht im Miss­ver­hält­nis dazu, was am Ende des rechts­extre­men Spek­trums noch erlaubt ist. 

Befug­nis­se erwei­tern vor einer FPÖ-Regierung
Bereits in den letz­ten Jah­ren wur­de eine Viel­zahl an Erwei­te­run­gen von Poli­zei­be­fug­nis­sen umge­setzt, sei es im Poli­zei­li­chen Staats­schutz­ge­setz, in einer Neu­fas­sung des Sucht­mit­tel­ge­set­zes. Auch an der Ver­ein­fa­chung ras­sis­ti­scher Kon­trol­len im öffent­li­chen Raum oder anhand der letz­ten Ein­schrän­kun­gen der Ver­samm­lungs­frei­heit zeigt sich: der Poli­zei wer­den mehr und mehr Befug­nis­se und Spiel­räu­me gege­ben. Sie kann ermit­teln, Daten sam­meln, Ver­samm­lun­gen unter­sa­gen, auf­lö­sen, Ver­wal­tungs­stra­fen ver­hän­gen, und auch auf Ver­dacht hin Per­so­nen fest­neh­men und der Staats­an­walt­schaft über­füh­ren. Schon jetzt hat die Poli­zei eine star­ke rech­te Schlag­sei­te, die sich etwa durch die oft­mals ein­sei­ti­gen Ermitt­lun­gen aber auch die zur Schau gestell­ten Ideo­lo­gien ihrer Mit­glie­der zeigt. (3) Soll­te es nun wirk­lich – wie zu befürch­ten ist – nach den nächs­ten Natio­nal­rats­wah­len zu einer Regie­rungs­be­tei­li­gung der FPÖ kom­men, wird sich dies mas­siv ver­schlim­mern. Jetzt noch Befug­nis­se aus­zu­wei­ten und vage Gesin­nungs­straf­tat­be­stän­de zu schaf­fen, und damit den auto­ri­tä­ren Staat schon vor­aus­zu­neh­men, ist einer der schwers­ten Feh­ler der der­zei­ti­gen Regie­rung. Anstatt die rechts­staat­li­che Kon­trol­le aus­zu­wei­ten und zu stär­ken, anstatt Sicher­hei­ten in das Sys­tem ein­zu­bau­en, die den Rechts­staat und demo­kra­ti­sche Grund­prin­zi­pi­en auch gegen eine rech­te Regie­rung ver­tei­di­gen kön­nen, wer­den aus­schließ­lich Befug­nis­se erweitert. 

Dass es kei­ne Kri­tik am Staat, wie er heu­te besteht, geben darf, scheint wich­ti­ger zu sein, als rechts­extre­me, neo­na­zis­ti­sche und auto­ri­tä­re Strö­mun­gen zu bekämp­fen. Es zeugt mehr von einem auto­ri­tä­ren als von einem demo­kra­ti­schen Staats­ver­ständ­nis der Regie­rung, dass sie Staats­kri­tik – ganz egal aus wel­cher Rich­tung – als sol­che stren­ger bestra­fen will, als men­schen­ver­ach­ten­de Het­ze und Rassismus.


*Ange­li­ka Ade­nsa­mer ist Juris­tin und Kri­mi­no­lo­gin und hat für das Netz­werk Kri­ti­sche Rechts­wis­sen­schaf­ten eine par­la­men­ta­ri­sche Stel­lung­nah­me zum geplan­ten Straf­tat­be­stand der „staats­feind­li­chen Bewe­gun­gen“ geschrie­ben. Sie ist Redak­ti­ons­mit­glied der Zeit­schrift juri­di­kum und arbei­tet der­zeit am Insti­tut für Rechts- und Kriminalsoziologie.

Ver­wei­se:
(1) Amnes­ty Inter­na­tio­nal (2017): Amnes­ty-Stel­lung­nah­me: Gesetz gegen „staats­feind­li­che Bewe­gun­gen“; Netz­werk Kri­ti­sche Rechts­wis­sen­schaf­ten (2017): Par­la­men­ta­ri­scher Stel­lung­nah­me zur Ein­füh­rung des Straf­tat­be­stan­des „Staats­feind­li­che Bewe­gun­gen“; Stein­hau­ser, Albert (2017): Ein eige­nes Straf­ge­setz gegen Reichs­bür­ger?; Ster­kl, Maria (2017): Mehr NS-Wie­der­be­tä­ti­gung im Netz

(2) Stain, Hugo (2017): Tota­li­ta­ris­mus 2.0 – Regie­rungs­kri­ti­ker ins Gefäng­nis? Online abruf­bar unter: hxxp://info-direkt.eu/2017/01/03/totalitarismus‑2–0‑regierungskritiker-ins-gefaengnis/ (17.5.2017)

(3) Sie­he z.B. den zivi­len Poli­zei-Gewerk­schaf­ter bei der Räu­mung der Piz­ze­ria Anar­chia, sie­he Link (vice.com)