Wiener Neustadt: Noch immer in den falschen Kreisen?

Die Anzeige wegen Wieder­betä­ti­gung erfol­gte schon am 15. Juli 2013. Wieder ein­mal war es Uwe Sail­er, der Daten­foren­sik­er und Krim­i­nalpolizist aus Linz, der bei Ingo L. NS-Wieder­betä­ti­gung ver­mutete. Ingo L. hat­te schon eine sehr lange Kar­riere als Neon­azi hin­ter sich, bis es zur Anzeige kam. Im Prozess selb­st kamen einige wesentliche Fra­gen nicht oder kaum zur Sprache, wie der fol­gende gründliche Prozess­bericht von A. N. zeigt.


Am 28.1.2015 wird in Wiener Neustadt wieder ein­mal ein Fall von Wieder­betä­ti­gung ver­han­delt. Dem Angeklagten Ingo L. wird vorge­wor­fen, in den Jahren 2012 – 2014, zu dem Zeit­punkt in Gun­trams­dorf ansäs­sig, wieder­holt Face­book-Post­ings getätigt zu haben, in denen er die NS-Zeit ver­her­rlichte, und die mit den Worten Sieg Heil oder einem Hak­enkreuz ende­ten, unter anderem ein Post­ing am 20.4.: „Papa Adolf, alles Gute zum Geburt­stag“. Außer­dem ver­link­te er Musik bekan­nter Recht­srock­grup­pen wie Stahlge­wit­ter, Blitzkrieg oder Gigi und die Braunen Stadtmusikanten.

Bei der Ver­hand­lung vor drei Rich­terIn­nen und acht Geschwore­nen bekan­nte sich der Angeklagte für schuldig im Sinne der Anklage und erk­lärte, sich dessen bewusst zu sein, dass er „Blödsinn gemacht“ habe. Er hätte sich in sein­er Jugend in „falschen Kreisen“ bewegt, hätte sich aber schon vor Jahren davon los­ge­sagt. Allerd­ings hätte er ein Alko­hol­prob­lem gehabt, und so nach dem fün­ften Bier sei er halt wieder in alte Ver­hal­tens­muster „reinge­fall­en“ und habe Post­ings getätigt, an die er sich oft am näch­sten Tag nicht mehr erin­nern hätte können.

Bei der Befra­gung durch die Rich­terIn­nen entste­ht ein recht klares Bild des Werde­gangs des Angeklagten. Er wuchs in Wels auf, Begriffe wie „Scheiß-Tschusch“ oder all­ge­meine Aus­län­der­feindlichkeit seien ganz nor­mal gewe­sen, das heißt, in seinen Worten, er wuchs auf „als ganz nor­maler Arbeit­er­bua eben“. Mit 13 malt er ein Hak­enkreuz an die Haustür, das noch teil­weise erkennbar ist, „weil’s net obage­ht“. Mit 15 lässt er sich ein Hak­enkreuz auf den Unter­arm tätowieren, später den Spruch „Blood and Honour“

Als Jugendlich­er schloss er sich ein­er Gruppe Gle­ichal­triger an, die es cool fan­den, die gle­ichen Jack­en zu tra­gen, mit einan­der auszuge­hen und Musik zu hören. Sym­bole wie 88 oder Odal-Rune sind ihm bestens ver­traut. Aber: „Wenn’s in Wels spazieren gehen und wen fra­gen, weiß ein jed­er, was das heißt.“ Er kan­nte offen­sichtlich kein anderes Umfeld. Lei­der wird in diesem Zusam­men­hang wed­er von der Anklage noch von den Rich­terIn­nen auf die Rolle sein­er Eltern oder der Schule einge­gan­gen. Erwäh­nt wird nur sein Brud­er, der „noch immer a Glotzn“ habe. Erwach­sene wer­den zwar erwäh­nt: in sein­er Gruppe seien auch zwei Erwach­sene gewe­sen – deren Rolle wird allerd­ings nicht weit­er hin­ter­fragt. Der Angeklagte erk­lärt aber, der Begriff Sieg Heil sei erst in der Gruppe zum Musikhören etc. dazugekom­men, als er Kon­tak­te zur FPÖ hat­te. Auch hier wird nicht expliz­it darauf einge­gan­gen, ob die erwäh­n­ten Erwach­se­nen diese Kon­tak­te darstellten.

Der Angeklagte meint nur, dass er sich von der Gruppe ent­fer­nte, als es darum ging, Mit­glied bei der FPÖ zu wer­den, da sei es ihm zu poli­tisch gewor­den. Aus diesem Grund hätte er sich vor ca. 6 Jahren von der Bewe­gung losgesagt.


Ver­her­rlichung der NSU-Mörder: Gigi & die Braunen Stadtmusikanten
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Er sei ja kein poli­tis­ch­er Men­sch. Begriffe wie Blood and Hon­our bedeuten für ihn Dazuge­hörigkeit, anson­sten sei er in erster Lin­ie Patri­ot. Den Begriff Ide­olo­gie ver­wen­det er zwar des Öfteren, kann ihn aber nicht erk­lären. Im Jahr 2010 allerd­ings grün­det er den Bil­lard­club White Wolves – diese Namensge­bung deutet doch sehr darauf hin, dass dieser Club bewusst poli­tisch aus­gerichtet ist.

Vgl. dazu Wikipedia: „The White Wolves is a puta­tive British nation­al­ist and racist mil­i­tant organ­i­sa­tion — adher­ing to the doc­trine of lead­er­less resis­tance [1] — which claimed respon­si­bil­i­ty for sev­er­al racial­ly moti­vat­ed bomb­ings in Lon­don in 1999.
„The White Wolves is a tiny secre­tive group of nazi fanat­ics organ­ised in cells. It first came to atten­tion in 1994 when it issued a ‚blue­print for ter­ror’ in which it set out the events now being played out in Lon­don. Copy­ing the con­cept of „lead­er­less resis­tance” from Amer­i­can far-right extrem­ists, they formed small cells and planned ter­ror bomb­ings and cold- blood­ed mur­der.” [2] The anony­mous 15 page 1994 blue­print for ter­ror — which announced the for­ma­tion of the White Wolves, con­tained prac­ti­cal instruc­tions on bomb mak­ing, and which called for a race war [3] — has been wide­ly attrib­uted to the then neo-nazi ide­o­logue David Myatt. [4]Mike Whine, head of the Board of Jew­ish Deputies the­o­rised that the White Wolves were a splin­ter group of Com­bat 18, deriv­ing their name from a Ser­bian para­mil­i­tary formation.“

Der Angeklagte erk­lärt sich zwar, wie erwäh­nt, schuldig im Sinne der Anklage, sagt aber, sich nie dessen bewusst gewe­sen zu sein, etwas Ille­gales zu tun. Er ver­ste­ht nicht, warum das Ver­linken von Liedern, die auf YouTube 5000 und mehr Likes haben, nicht erlaubt sei, eben­so war er sich kein­er Schuld bewusst, als er Hak­enkreuze oder Sieg Heil postete. Das sei nur im Suff und aus Frust geschehen, und eigentlich hätte er ja nie etwas getan, nie­man­den „mas­sakri­ert“ oder so. 

Der akten­führende Beamte vom Ver­fas­sungss­chutz erk­lärt als Zeuge, dass bei der Ein­ver­nahme durch die Polizei nach ein­er Anzeige durch Uwe Sail­er kein ver­w­ert­bares belas­ten­des Mate­r­i­al am PC des Angeklagten gefun­den wurde, allerd­ings am Handy Audio­dateien und drei ein­schlägige Bilder, u.a. Porträts von Adolf Hitler. Der Angeklagte habe bei der Vernehmung erk­lärt, er sei sich dessen nicht bewusst gewe­sen, dass das ver­boten sei. Beziehun­gen zu Lud­wig Reinthaler wer­den erwäh­nt, aber nicht weit­er erläutert. Zu anderen ein­schlägi­gen Kon­tak­ten kann der Beamte keine namentlichen Angaben machen.

Bei den Schlussplä­doy­ers wird sowohl von der Staat­san­wältin als auch von der Vertei­di­gung als Milderungs­grund vorge­bracht, dass der Angeklagte koop­er­a­tiv und tat­sachengeständig sei, nicht ein­schlägig vorbe­straft, und dass nach seinen Angaben seine derzeit­ige Lebens­ge­fährtin, mit der er zwei Kinder hat, ihn bei der Abkehr von der Naziszene bestärke.

Er wird schuldig gesprochen im Sinne der Anklage, die ver­hängte Strafe ist denkbar mild: 100 Tagessätze à 5.- und 18 Monate Frei­heitsstrafe auf Bewährung mit verpflich­t­en­der Bewährung­shil­fe. Der Angeklagte nimmt die Strafe an. 

Für den Zuschauer bleiben einige Fra­gen offen:

  • Warum wer­den offen­sichtliche Diskrepanzen bei Zei­tangaben nicht weit­er ver­fol­gt? Z.B. ange­bliche Abkehr von der Szene und Grün­dung der White Wolves, Abkehr und Zeit­punkt der Postings
  • Warum wird auf die Herkun­ft der Hitler-Bilder am Handy nicht einge­gan­gen? Der Angeklagte meint, er könne sich nicht erin­nern, wer ihm die geschickt habe, da er das Handy ja sich­er schon seit fünf Jahren habe. Das muss doch nachvol­lziehbar sein, oder?
  • Warum kann der ein­ver­nommene Beamte vom Ver­fas­sungss­chutz nur sehr vage Angaben bzgl. Zeitrah­men und Kon­tak­t­per­so­n­en machen, wird aber nicht näher dazu befragt?
  • Warum wird die Rolle der FPÖ so offen­sichtlich unter den Tisch gekehrt?
  • A. N.