Die antifaschistische Gegendemonstration startete um ca. 12h30 vom Christian-Broda-Platz (Wiener Westbahnhof), auffällig langsam setzte sie sich in Bewegung, scheinbar gewillt, die Demonstration der Identitären zu verzögern bzw. zu blockieren. Die Demonstration der Identitären sollte um 14 Uhr starten. Also etwa eineinhalb Stunden nachdem die Gegendemonstration sich in Bewegung setzte. Entgegen dem üblichen Vorgehen der Wiener Polizei, zeigte sie sich gegenüber den Identitären ausgesprochen kulant und bewilligte sofort eine Alternativroute und das eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Demoauftakt der Identitären. Durch die Entscheidung der Polizei musste der Gürtel teilweise und auch die Burggasse, eine der wichtigsten Durchzugsstraßen in Wien, gesperrt werden.
Rechtsextreme aus allen Ländern
Wie angekündigt versammelten sich bei den Identitären RechtsextremistInnen aus allen Ländern, wie Tschechien, Ungarn, Frankreich, Italien und Deutschland. Aber auch bekannte einheimische Rechtsextreme waren auf der Demonstration zu sehen. So beispielsweise Ludwig Reinthaler, mit intensiven Kontakten zur neonazistischen AFP (Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik). Im November 2008 nahm er an einer rechtsextremistischen Gegendemonstration zur Gedenkfeier an die Opfer des Novemberpogroms teil. Im August 2009 verbot der Verfassungsdienst des Magistrates Wels die Kandidatur der von Reinthaler angeführten Liste „Die Bunten” für die Gemeinderatswahl in Wels da ein Verstoß gegen das NS-Verbotsgesetz geortet wurde.
Auch Christopher P. begleitete die Demonstration. Christopher P. ist bei der Burschenschaft Germania, er war auch schon beim RFS Graz und Bezirksparteiobmann von Graz-Umbegung. Auf Facebook zeigt sich Christopher P. gerne in Feierlaune mit dem ehemaligen Bezirksobmann des RFJ Deutschlandsberg: Stefan J.. Der ist benfalls bei der Burschenschaft Germania und trat als (damaliger) Bezirksobmann des RFJ Deutschlandsberg für die Abschaffung des NS-Verbotsgesetz ein. Beim Sommerfest 2007 des BFJ tauchte J. gemeinsam mit Gottfried Küssel und Felix B. auf. Die ab 2007 in Haft sitzenden Aktivisten des neonazistischen Bunds freier Jugend (BfJ) bezeichnete J. als „volkstreuen Aktivisten aus Oberösterreich“ und als und als „politische Gefangene“.
Blockade
Schon in der Burggasse kam es zu vereinzelten Blockadeversuchen. Als die Identitären das Volkstheater ereichten, gelang es AntifaschistInnen die Rechtsextremen entgültig zu blockieren. Entgegen den Aussagen der Identitären war weder die Demo-Route so geplant (so nach Polizeiangaben), noch sollte das Volkstheater Versammlungsende sein. Ganz im Gegenteil, der Einsatzleiter empfahl den Identitären, ihre Kundgebung zu beenden und während ein Jürgen B. es nicht fassen konnte und verlangte, die Demonstration müsse bis zum Ende geführt werden, feilschte Martin S. um jede Minute.
Pfefferspray-Einsatz als Körperverletzung?
Dem vorausgegangen war ein massiver Polizeieinsatz gegen die Blockade. Zahlreiche Bilder zeigen, wie PolizistInnen fliehende AntifaschistInnen verfolgten und am Boden Knieende mit Pfefferspray angriff.
In Deutschland gab es bei ähnlichen Einsätzen von Reizgas auch schon Anzeigen wegen Körperverletzung gegen BeamtInnen. So wurde gegen einen deutschen Polizisten am 1. Mai Anzeige erstattet, weil er ohne Notwendigkeit Pfefferspray einsetzte. 2011 hatten zwei Berliner Zivilpolizisten Kollegen angezeigt, nachdem sie von ihnen am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg grundlos mit Pfefferspray attackiert und durch Faustschläge verletzt wurden. Während der Stuttgart-21-Proteste wurden ebenfalls Polizisten wegen exzessiven Pfefferspray-Einsatz angezeigt.
In den Bestimmungen zum Waffeneinsatz ist eindeutig festgehalten, dass Waffen nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn es kein gelinderes Mittel gibt. Wie damit der Einsatz von Pfefferspray gegen am Boden knieedende oder friedlich stehende Menschen gerechtfertigt werden kann, bleibt ungeklärt.
Im Zuge der der Polizei-Aktionen kam es, wie die Polizei berichtete, zu einzelnen Würfen mit Steinen und Flaschen. Auf Fotos, die von der Polizei zur Verfügung gestellt wurden, sieht man u.a. eine Person mit einer Steinschleuder, sowie Bilder eines Schlagstock und eines Armeetaschemesser.
230 € „Verwüstungen”
Nachdem die Identiären ihre Kundgebung aulösen mussten, wurden sie unter Polizeischutz zu einem Restaurant gebracht. Auch hier kam es zu antifaschistischen Protest und einem viel kritisierten Polizeieinsatz. Die Polizei begründete einen der kritisierten Polizeieinsätze mit „Verwüstungen” in einer Filiale der Drogeriekette Douglas. „Demonstrantinnen erzählen die Geschichte ganz anders: Einige hätten sich ‚gejagt von der Polizei’ in der Josefstädter Straße in das Geschäft geflüchtet, beim Polizeieinsatz seien dann auch Waren zu Bruch gegangen”, berichtet derStandard. Ein Anwalt einer vorübergehend Festgenommenen spricht von einem Sachschaden von 230 Euro. „Mit dem Betrag konfrontiert, relativiert ein Polizeisprecher seine Formulierung von einer angeblichen ‚Verwüstung’ des Geschäfts wieder.” (derstandard.at)
Polizeigewalt
In der Josefstädterstraße kam es dann auch zu einem folgenreichen Vorfall, bei der eine Aktivistin der Arbeiterkammer-Fraktion KOMintern verletzt wurde, als sie ihre Tochter schützen wollte. Sie erlitt einen doppelten Beinbruch. Der Bericht von KOMintern:
Unsere Freundin und Genossin E. wurde heute nach den Übergriffen der Polizei auf AntifaschistInnen schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Betriebsrätin und KOMintern-Aktivistin musste nach dem doppelten Beinbruch operiert werden. Ein KOMintern-Genosse wurde verhaftet, als er sich nach ihrem Zustand erkundigen wollte.
Widersprüche
Widersprüchliche Meldungen gibt es zu der Aussage, dass eine schwangere Frau, im Zuge einer Polizeiaktion, eine Fehlgeburt erlitt. Die Staatsanwaltschaft Wien hatte am Montag angeordnet, den ärztlichen Befund im betreffenden Spital des Krankenanstaltenverbunds zu beschlagnahmen. Aus diesem ging nach Aussagen des Wiener Polizei-Sprecher Johann Golob hervor, dass die Frau nicht schwanger gewesen sei.
Das Bündnis „Offensive gegen Rechts” (OGR) schreibt in einer Presseaussendung:
Die Offensive gegen Rechts wurde im Anschluss an die Kundgebung von einer Frau kontaktiert. Sie berichtete, dass sie im Rahmen der Übergriffe eine Fehlgeburt erlitt. Zu keinem Zeitpunkt bestanden Gründe ihre Aussage von unserer Seite in Zweifel zu ziehen. Auch andere AugenzeugInnen schickten uns Berichte, dass es in Zuge des Polizeieinsatzes auf der Josefstätterstraße zu Übergriffen auf eine Frau kam, die angab, schwanger zu sein. AugenzeugInnen geben an, dass sie trotz ihrer Angaben niedergestoßen wurde. (…) Von uns wurden keine Informationen an die Medien weiter gegeben. Dennoch mussten wir nach den Bericht von derstandard.at bestätigen, dass eine Betroffene sich bei uns gemeldet hat. Auch wenn dieser Fall von unserer Seite nicht geklärt werden kann, gibt es zahlreiche Berichte, die den unverhältnissmäßigen Polizeieinsatz bestätigen.
Und doch verursacht eine Aussage einer Polizeisprecherin noch immer schwere Verstörungen, auf die Frage nach der schwangeren Frau, meinte sie: „Prinzipiell gilt: Wenn man sich der Polizei in den Weg stellt, muss man mit Konsequenzen rechnen, auch wenn man schwanger ist.”
Reaktionen
Nach dem Polizeieinsatz werden Rufe nach Konsequenzen laut. Bereits bei den Protesten gegen den WKR-Ball stand die Polizei unter massiver Kritik. Wurde der damalige Polizeieinsatz noch mit dem sogenannten „Schwarzen Block” gerechtfertigt, internationalen Demo-TeilnehmerInnen und Sachschaden in der Wiener Innensatdt, steht diesem Polizeieinsatz ein Sachschaden von 230 € entgegen, eine kaputte Scheibe eines Polizeiautos und vereinzelte Stein- und Flaschenwürfen, wie die Polizei bestätigt.
Die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich, Julia Herr und die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Wien, Marina Hanke, kritisieren das Vorgehen der Polizei und bekräftigten die Rücktrittsforderung an den Wiener Polizeipräsidenten Pürstl. Auch von Seiten der Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS), des Verbands Sozialistischer StudentInnen (VSSTÖ) und der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) gab es scharfe Kritik am Vorgehen der Polizeiführung.
David Ellensohn, Klubobmann der Grünen Wien, hat eine klare Botschaft an alle Rechtsextremen:
Wir brauchen euch nicht in Wien, wir wollen euch nicht in Wien. Wien hat keinen Platz für Rechtsextreme. (…) Eine 14jährige wird inhaftiert, eine friedliche Demonstrationsteilnehmerin liegt mit gebrochenem Bein auf dem Gehsteig. Diese Bilanz für den Polizei-Einsatz letzten Samstag hört sich verstörend an.” Ellensohns Vorschlag: „Mir geht hier es nicht um — verständliche — Rücktrittsaufforderungen. Wichtiger ist mir, dass sich ein Einsatz wie vom vergangenen Samstag nicht wiederholt. Ein runder Tisch mit VertreterInnen von Bundespolizei, Stadt Wien und Demonstrations TeilnehmerInnen soll darauf achten, dass die Fehler der Polizei nicht mehr passieren. Wer in Wien an einer Demonstration gegen Rechtsextremismus teilnimmt, muss davon ausgehen können, dass die Polizei kein Gesundheitsrisiko darstellt.
Auch Birgit Hebein, Gemeinderätin in Wien, fordert Konsequenzen und kritisiert den Polizeieinsatz:
Wenn Straftaten von Polizisten bagatellisiert werden, dann wird das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Wenn die Einsatzstrategien in keinem Verhältnis mehr zu den eigentlichen Aufgaben der Polizei stehen und wenn die Polizei voller Sympathie Rechtsextreme begleitet, die grölend durch unsere Stadt ziehen, dann haben wir ein Problem. Entweder ist der Apparat, zersetzt von freiheitlichen AUF-Beamten, nicht mehr steuerbar oder die Polizeiführung agiert im Auftrag der Politik mit einer aus dem Ruder laufenden Ordnungspolitik.
Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen
Eine Kennzeichnungspflicht fordert der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser in einer ersten Reaktion, denn „eine sichtbare Kennzeichnung der Dienstnummern an der Uniform von Polizisten muss kommen. In vielen Ländern wie Frankreich, Italien oder den USA ist das Standard.” Zahlreiche Schilderungen würden zeigen, dass die Wiener Polizei grundsätzlich und gesetzwidrig die Angabe von Dienstnummern auf Nachfrage verweigert hat. Steinhauser ist überzeugt, dass die Maßnahme alleine deshalb deeskalativ wirken würde. „Wir werden uns genau anschauen, was gestern passiert ist und wer die Verantwortung trägt. Friedlicher antifaschistischer Protest wie Sitzblockaden müssen möglich sein”, schließt der Grüne Justizsprecher.
Tatsächlich gibt es die Kennzeichnungspflich in zahlreichen Ländern und wird dort erfolgreich angewendet. In Deutschland gab es sie bereits 1848 und wurde erst wieder im 20. Jahrhundert aufgegeben. In mehreren Bundesländern wurde sie aber wieder eingeführt: Baden-Württemberg, Brandenburg, in Zukunft auch in Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. Ebenso in Belgien, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Polen, Rumänien, teilweise Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, teilweise Vereinigtes Königreich, USA und Zypern. In Schweden gibt es keine Kennzeichnungspflich, es sei denn, BeamtInnen sind zum Beispiel durch das Tragen eines Helmes unkenntlich, in welchem Fall sie eine Nummer oder ihren Dienstausweis offen tragen müssen. In den meisten Ländern tragen PolizistInnen eine individuelle, aber anonymisierte Nummern, aber in vielen Ländern ist auch der Namen an der Uniform angebracht. Auch Amnesty International setzt sich für eine Kennzeichnungspflicht ein und hat dafür gewichtige Argumente.